Ausblick auf die Biennale

Anish Kapoor in Venedig

Der Künstler Anish Kapoor bespielt einen verlassenen Renaissancepalast in Venedig – und gibt einen ersten Ausblick auf die kommende Biennale

 

Von Petra C. Schaefer
01.12.2021

Für große Gesten ist der Künstler Sir Anish Kapoor bekannt. Unlängst erweiterte er die Rotunde der Pinakothek der Moderne in München mit seiner monumentalen Installation „Howl“ hinaus in den Stadtraum und machte das Museum so auch während der Lockdown-Schließung erfahrbar.

Nun treibt der indisch-britische Künstler, der von sich selbst sagt, er sehe sich als „ein Maler, der ein Bildhauer ist“ in Venedig ein Großprojekt voran: mit seiner 2017 gegründeten Anish Kapoor Stiftung bezieht er den Palazzo Manfrin am Guglie-Kanal im Stadtviertel Cannaregio. Der seit über zwanzig Jahren verlassene Renaissancepalast, in dem sich zuletzt eine öffentliche Schule befand, wird derzeit unter Hochdruck restauriert und soll zur 59. Kunstbiennale ab April 2022 teilweise geöffnet werden. Kapoor zeigt sich überzeugt von der Wahl Venedigs, denn als eine Stadt zwischen dem Westen und dem Osten habe sie „eine besondere Kraft inne“.

Anish Kapoor Venedig Biennale Palazzo Manfrin
Mit seiner 2017 gegründeten Stiftung hat Anish Kapoor den Palazzo Manfrin am Guglie-Kanal im Stadtviertel Cannaregio bezogen. © Luca Zanon

Wie ihn diese Kraft konkret und metaphorisch umfängt, zeigte sich im November bei einer Pressekonferenz im Museum Gallerie dell’Accademia, in dem Kapoor zur Kunstbiennale eine große Ausstellung präsentieren wird. Der Künstler sitzt im Halbdunkeln vor einem Votivgemälde von Jacopo Tintoretto und das Scheinwerferlicht umrahmt seinen ergrauten Schopf so, dass es aus der Ferne aussieht, als trage er einen Heiligenschein. Diese nicht-physische Erscheinung lässt an seine Installation „Ascension“ in der San Giorgio Basilika zur 54. Kunstbiennale im Jahr 2011 denken. Damals erhob sich vor dem Hochaltar eine enorme ephemere Rauchsäule, die bis unter die Kuppel ragte und im Sonnenlicht wie ein Weg zum Himmel wirkte. „The non-objekt“ sei es, was ihn interessiere, so Kapoor, „Das nicht Dinghafte“, das zwischen physischer und nicht-physischer Präsenz oszilliert.

Als Vorblick auf seine Schau zur Biennale, die mit über fünfzig Gemälden, Skulpturen und in-situ-Installationen in den Gallerie dell’Accademia und zusätzlich im neuen Stiftungssitz Palazzo Manfrin ältere und neue Werke des Künstlers für einen Dialog zusammenbringen wird, dient das Gemälde „Black Within Me“ von 2021. Im Mittelpunkt des großformatigen Ölgemäldes steht ein enormer, pastos gestalteter, kopfloser schwarzer Rumpf auf schwarzem Grund, der durch ein flackerndes Rot von hinten erhellt wird. Wie ein loderndes Feuer durchbricht es das Körperfragment und zersetzt es mit hellen Striemen. Das im Bildtitel benannte ‚schwarze Innere‘ lässt sich so als eine doppelte – äußere und innere – Zerrissenheit deuten.

Anish Kapoor Venedig
Anish Kapoor im November bei einer Pressekonferenz im Museum Gallerie dell’Accademia, in dem der Künstler zur Kunstbiennale eine große Ausstellung präsentieren wird. Den Hintergrund ziert ein Votivgemälde von Jacopo Tintoretto. © Marta Buso

Formal haben Kapoors Werke eine große Nähe zur venezianischen Malerei „mit der Verwendung der Pigmente, der Perspektiven und der Lichtreflexe“ so der Leiter der Gallerie dell’Accademia Giulio Manieri Elia. Tatsächlich weisen die raschen Pinselstriche und der starke Hell-Dunkel-Kontrast dieser jüngsten Arbeit eine hohe Affinität zu einigen Gemälden von Tizian und Tintoretto auf. So lässt es an das in der Gesuiti-Kirche in Venedig befindliche Gemälde Tizians „Das Martyrium des Heiligen Laurentius“ von 1558 denken. Dort sieht man im Bildvordergrund den stark schattierten Unterkörper des Märtyrers, den helle Flammen erleuchten. Der nur mit einem Lendentuch bekleidete Laurentius windet sich unter den Folterwerkzeugen und streckt seine linke Hand flehend zum göttlichen Licht im nachtschwarzen Himmel, während sein Leib den glühenden Flammen ausgesetzt ist. Die bei Tizian ausführlich dargestellte Dramatik des menschlichen Todeskampfes in der Hoffnung auf Erlösung spiegelt sich in Kapoors Werk wider. Doch trotz der ikonographischen Nähe beabsichtigt Kapoor kein konfessionelles Bekenntnis, denn „er verhandelt vielmehr die großen Themen der Menschheit, das Leben, den Tod und das Leiden“ so Mario Codognato, Leiter der Anish Kapoor Foundation. Aber seine Affinität zur christlichen Kultur wird in anderen Werken durch die Bildtitel explizit, wie in der eingangs erwähnten Installation Ascension (Himmelfahrt) oder in der Skulptur „Die Heilung des Heiligen Thomas“ von 1989.

Doch auch seine Zugehörigkeit zur jüdischen Religion wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Kapoors neue Wohn- und Arbeitsstätte in Venedig in unmittelbarer Nähe des jüdischen Ghettos liegt, wo sich die hiesige Gemeinde am Shabbat in den historischen Synagogen zum Gebet trifft. Die Begegnung verschiedener Kulturen hat in der ehemaligen Löwenrepublik eine lange Tradition und so liegt es nahe, dass sich Kapoor mit seiner Stiftung in die venezianische Geschichte einschreibt. Im Palazzo Manfrin, der zunächst nur für einige Monate für die Sonderausstellung öffnet wird, wird langfristig ein neuer Ort für die Kunstproduktion geschaffen, denn es werden auch Atelierresidenzen für Künstlerinnen und Künstler eingerichtet, um den künstlerischen Austausch in Venedig zu vertiefen und auszuweiten. Diese kulturübergreifende Belebung ist ein weiterer wichtiger Impuls in der von der Monokultur Tourismus bedrängten Stadt, die von den vielfältigen kulturellen Initiativen der Biennale in den Bereichen Kunst, Architektur, Film, Musik und Theater sowie den damit verbundenen Institutionen enorm profitiert.

Service

AUSSTELLUNG

Anish Kapoor

Kuratiert von Taco Dibbits

Gallerie dell’Accademia und Palazzo Manfrin, Venedig

20. April bis 9. Oktober 2022

gallerieaccademia.it

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