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Sammlung Grimani: Himmlische Antike

Nach der Zwangspause wartet Venedig mit einer noch wenig beachteten Sensation auf: Die Sammlung Grimani kehrt temporär in ihr altes Heim zurück

Von Petra Schaefer
05.08.2020

Der Titel der Kunstbiennale in Venedig 2019, „May You Live In Interesting Times“, versprach einen spannenden Auftakt der Zwanzigerjahre. In diesem Sommer liest sich das Motto unter anderen Vorzeichen, denn mit der Pandemie kam es zum Stillstand des kulturellen Lebens. Für Venedig sind es trotz allen Leids interessante Zeiten, da die Insel, die sonst unter enormen Besucherströmen ächzt, endlich wieder atmet. Nachdem die diesjährige Architekturbiennale und geplante große Ausstellungen wie die Carpaccio-Retrospektive im Dogenpalast auf 2021 verschoben wurden, bietet sich die Gelegenheit, stattdessen eine kleine Sensation zu sehen, die zwar zur Kunstbiennale eröffnet wurde, bisher aber eher unbeachtet blieb. Im Palazzo Grimani am Campo Santa Maria Formosa wird mit „Domus Grimani 1594–2019“ die berühmte Antikensammlung von Giovanni Grimani (1506–1593) mit Skulpturen, Büsten und Reliefs vom 5. Jahrhundert vor Christus bis in die Spätantike präsentiert.

Ursprünglich galt Grimani-Palast als schlichtes Bauwerk

Der venezianische Gelehrte Francesco Sansovino schreibt in seinem Werk „Venetia città nobilissima et singolare“ im Jahr 1581, dass der Grimani-Palast auf die römische Form „reduziert“ sei. Die zeitgenössische Architekturkritik fremdelte offenbar mit den baulichen Veränderungen des aus dem Mittelalter stammenden Palastes, die der Patrizier Giovanni Grimani nach seiner Ernennung zum Patriarchen von Aquileia im Jahr 1545 vornehmen ließ. Für den Umbau stand ein Domus, das Stadthaus der römischen Antike mit zentralem Atrium, ebenso Pate wie die zeitgenössischen Paläste in der Papststadt, an denen sich die prachtvolle Ausstattung orientiert. Vom quadratischen, lichtdurchfluteten Innenhof, den eine Loggia ziert, führt eine tonnengewölbte Prunktreppe zum Obergeschoss, die der ab 1550 in Rom tätige und zwischen 1563 und 1565 in Venedig weilende Maler Federico Zuccari mit Grotesken und mythologischen Figuren gestaltete.

Auch die weitere Innenausstattung ist dem toskanisch-römischen Manierismus verpflichtet, mit Fresken und Stuckaturen von Giovanni da Udine, der als Schüler von Raffael an der Gestaltung der Vatikan-Loggien und der Villa Farnesina in Rom mitwirkte, sowie mit Fresken und Gemälden des Florentiners Francesco Salviati, die heute zum Teil nur in Kopien erhalten sind. Prachtvolle Säle, die „Goldkammer“ und „Blattwerksaal“ heißen, verleihen dem Palazzo Grimani eine Grandezza, wie sie anderen venezianischen Patrizierpalästen nicht zu eigen ist.

Doch die Malerei war hier ursprünglich nur ein Beiwerk und stand hinter dem Herzstück, der Präsentation der Antikensammlung der Familie in der Tribuna, zurück. Und so münden die Raumfluchten im Obergeschoss im Antiquarium, einem rechteckigen, mit Marmor verkleideten Raum, dessen spitz zulaufende Rosettendecke in einer Öffnung endet, die durch eine Laterne überdacht ist. Hier wird im Rahmen der Ausstellung erstmals seit 400 Jahren die bedeutende Sammlung am Ort ihrer Bestimmung gezeigt. Die Rückführung der Kollektion in die Tribuna, die der private Verband Venetian Heritage ermöglichte, ist keine Rekonstruktion des ursprünglichen Camerino delle antichità, folgt aber in der Aufstellung einiger zentraler Objekte der Bestandsaufnahme vor der Überführung in die Markusbibliothek.

Damals wie heute nimmt den zentralen Platz unterhalb der Deckenöffnung die großformatige Darstellung der mythologischen Szene „Raub des Ganymed“ ein. Die besondere Lichtführung in der Tribuna, die an das Pantheon in Rom erinnert, verleiht der Figurengruppe eine starke Licht-Schatten-Wirkung, die sie vor dem hellen Deckenhintergrund hervortreten lässt. In dieser römischen Kopie eines späthellenistischen Modells aus dem 2. Jahrhundert nach Christus krallt der im Adler personifizierte Zeus den Knaben an sich, der nur mit einer phrygischen Mütze und einer sehr kurzen Chlamys bekleidet ist, und zieht ihn im Schutz seiner ausgebreiteten Flügel zu sich. Der Blick Ganymeds zum Adler und die Gesten seiner Hände lassen die Überraschung über den Übergriff des Göttervaters anklingen. Gleichzeitig ist die Körperhaltung des Knaben entspannt und von klassischer Eleganz, sodass sich in diesem Werk Spannung und Ruhe die Waage halten.

Die Gliederung der marmornen Wanddekorationen mit Pilastern, Ädikulen, Architraven und Rundbögen folgt dem Vorbild der römischen Sammlungen, doch die farbige Gestaltung der kleinen Säulen und des Gesimses mit rotem Marmor verleiht dem Ambiente eine warme Atmosphäre, die mit dem klassischen venezianischen Intarsien-Fußboden harmoniert. Mit weiteren kleinen grünen Farbelementen und grauen Farbabstufungen hat die Tribuna einen theatralen Charakter und ermöglicht jedem der skulpturalen Objekte einen besonderen Auftritt. Bemerkenswert ist die Anordnung der Porträtbüsten, die auf die ursprüngliche Zusammenstellung zurückgeht. Die Figuren stehen untereinander im Blickkontakt, als würden sie imaginär ein Gespräch führen, wie es in Humanistenkreisen gepflegt wurde.

Nach 500 Jahren kehrt die Sammlung Grimani in den Palast zurück

Die Rückführung der Sammlung ist spektakulär, denn sie befand sich bereits seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert in den sansovinianischen Prunkräumen der Biblioteca Nazionale Marciana am Markusplatz. Giovanni Grimani hatte testamentarisch verfügt, dass seine Antikensammlung in der Bibliothek der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und dort „der Unterrichtung sowie als Beispiel“ dienen solle. Von der ursprünglichen Schenkung mit rund 200 Werken sind freilich mit dem Ende der Republik Venedig unter der Herrschaft Frankreichs und Österreichs einige Objekte abhandengekommen. Unter anderem gelangte das berühmte Sarkophagrelief „Suovetaurilia für Mars“ in den Louvre in Paris (dort geführt als „Domitius-Ahenobarbus-Relief“). In der Ausstellung wird ein Abguss gezeigt. Dennoch bieten die jetzt ausgestellten 87 Objekte einen beeindruckenden Einblick in die formale und ikonografische Vielfalt der antiken Bildhauerkunst, welche Grimani seinen Zeitgenossen zugänglich machte und die nicht ohne Wirkung blieb.

 

Der Grundstock der Sammlung stammt aus den römischen Besitzungen der venezianischen Patrizierfamilie, die seit dem frühen 16. Jahrhundert als Mittler zwischen Rom und der Serenissima fungierte. Auf dem Quirinalshügel besaßen die Grimani eine Vigna, also ein Anwesen im Grünen mit Wohnhaus und anderen Anlagen. Die Venezianer waren so wohlhabend und einflussreich, dass in Rom die Piazza Grimana ihren Namen trug (heute Piazza Barberini). Da ihre Gebäude auf den Ruinen antiker Thermen standen, boten sie eine reiche Quelle für Skulpturenfunde. Neben den Werken aus dem eigenen Anwesen kaufte die Familie auch Objekte an, so stammt etwa das römische Marmorrelief aus dem 2. Jahrhundert vor Christus, „Suovetaurilia für Mars“, aus dem Campo Marzio in Rom. Andere Werke wurden in Venedig erworben, aufgrund der Seehandelsbeziehungen zum Nahen Osten seit Jahrhunderten ein Emporium für antike Kunstgüter.

Venedig schafft sich seine antike Vergangenheit

In der einzigen großen italienischen Stadt ohne eigene antike Vergangenheit und Monumente hatte man bereits seit dem 13. Jahrhundert mit antiken Spolien, die als Kriegsbeute importiert wurden, eine Vergangenheit rekonstruiert. Von der Bemühung um Antikisierung venezianischer Bauten zeugen noch heute die vier bronzenen Pferde und die Gruppe der Porphyr-Tetrarchen an der Markusbasilika. Im 16. Jahrhundert blühte der Antikenhandel, denn die venezianischen Patrizier schmückten sich mit Antiken, um ein hohes Alter ihrer Familien und somit einen hohen sozialen Status zu suggerieren. Dass die Grimanis ebenfalls bei Antiquitätenhändlern in Venedig Kunden waren, zeigen Stil und Ausführungsart in der Restaurierung einiger Skulpturen. So wird in der Ausstellung auch die Lebens- und Entwicklungsgeschichte einer der mächtigsten venezianischen Familien auf plastische Weise sichtbar.

Service

AUSSTELLUNG

„Domus Grimani 1594–2019“, Palazzo Grimani, Venedig

bis 30. Mai 2021

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Weltkunst Nr. 174

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