Ausstellungen

Rembrandts eigenwilliger Erbe

Das Mauritshuis in Den Haag würdigt den Niederländer Nicolaes Maes

Von Angelika Storm-Rusche
13.12.2019

Hätte Rembrandt Harmensz. van Rijn nicht so viele gelehrige Schüler gehabt, dann wären nicht so viele Gemälde im Stil des Meisters entstanden. Manche kamen seinen eigenen so nahe, dass sie sogar ihm zugeschrieben wurden und einige Verwirrung stifteten, bis das Rembrandt Research Project 1968 begann, die Spreu vom Weizen zu trennen. Auch Nicolaes Maes (Dordrecht 1634 – 1693 Amsterdam) zählte zu den Talenten, denen es keine Mühe machte, einen „Rembrandt“ zu malen. Allerdings brachte das die eigene Karriere nicht voran, so dass der junge Nicolaes begann, sich zu emanzipieren und eigene Wege zu beschreiten. Den Prozess seiner Loslösung und Selbstfindung führt jetzt das Mauritshuis Den Haag in der Ausstellung „Nicolaes Maes – Rembrandts vielseitiger Schüler“ vor Augen.

Nicolaes Maes wechselnde Vorbilder

Ob Nicolaes Maes von 1646 bis 1648 oder von 1650 bis 1652 bei Rembrandt in Amsterdam gelernt hat, bleibt offen. Das Gemälde „Christus segnet die Kinder“ aber muss noch vor seiner Rückkehr in die Heimatstadt Dordrecht im Dezember 1653 entstanden sein. Denn, 1652 / 53 datiert, zeigt es alle charakteristischen Merkmale, die man bei Rembrandt bewundert: das tonige Kolorit der Figuren, die perfekte Stofflichkeit ihrer Gewänder, die „Spotlights“ auf den Gesichtern und den beseelten Ausdruck im Antlitz Christi. Kein Wunder, dass das Gemälde lange als ein Werk seines Lehrers galt und Nicolaes Maes erst 1915, durch zwei zweifelsfreie Zeichnungen von eigener Hand unterstützt, zugeordnet wurde. Offenkundig, und zwar insbesondere durch die lebhafte Farbwahl, schwindet die Dominanz Rembrandts in den biblischen Historien „Die Vertreibung der Hagar“ und „Das Abrahamsopfer“. Dann aber, als Maes wieder daheim in Dordrecht ist, entdeckt er die Vorbildlichkeit von Dürers Kupferstich „Christi Geburt“ aus dem Jahr 1504. Wortwörtlich hat er die architektonisch geprägte Komposition übernommen, jedoch die Szene in eine „Anbetung der Hirten“ verwandelt und vor einen landschaftlichen Hintergrund gesetzt. Immerhin war es Dürer, der den Begriff „Landschaftmaler“ (sic!) geprägt hatte.

Vorübergehende Hinwendung zum Genrebild

Mit dem Gemälde „Junge Frau im Fenster“ startet Nicolaes Maes einen Themenwandel. Sinnend lehnt sie, auf einem gestickten Kissen abgestützt, aus einem weit geöffneten Fenster. Noch repräsentiert dieses Bild kein reines Genre, da es auch Porträtcharakter hat und das Fenster stilllebenhaft von Spalierfrüchten gerahmt ist. Dann aber setzt Maes’ Serie der Genrebilder ein, die sich auf das häusliche Leben der Hausfrauen und Mägde konzentrieren. Sie hüten ihre Kinder und nähen oder klöppeln Spitzen. Etliche Frauen sind betagt und geben sichtbar ihrer Müdigkeit nach. Es sind stille Bilder. Aber auch derbe oder komische Züge, wie man sie vom holländischen Genre kennt, tauchen auf: „Die faule Magd“ oder „Der schlafende Mann mit Taschendiebin“ lassen den Betrachter schmunzeln. Er wird ungewollt zum Komplizen. Und wegschauen kann er auch nicht, wenn die „Lauscherinnen“ unterwegs sind. Vielsagend heben sie einen Zeigefinger an den Mund und neigen das lauschende Ohr dahin, wo es verdächtige Geräusche gibt. Im Hintergrund lässt sich der Anlass ihrer Neugierde, meist ein Liebespaar, erahnen. 

Nicolaes Maes hat diese verstohlenen Szenen in kleinen Skizzen sorgfältig vorbereitet. Den Schauplätzen hat er erstaunlich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Nun also reift der Rembrandt-Schüler Maes zum Spezialisten detailgetreuer Innenräume und damit seinerseits zum Vorbild heran. Pieter de Hooch und selbst Johannes Vermeer sollen, heißt es im Mauritshuis, sich an seinen Interieurs mit perspektivisch ausgefeilten Durchsichten geschult haben.

Nach Stilwandel kaum wiederzuerkennen 

Die Datierungen der Gemälde legen nahe, dass Nicolaes Maes die Genremalerei nach der Mitte der 1650er-Jahre zugunsten der Porträts aufgab, was mindestens 900 Bildnisse (!) gegenüber rund 40 Genrebildern bestätigen. Zunächst geben sich die Porträts noch konventionell. „Jacob Trip“ und „Margaretha de Geer“ hat Maes als Pendant in herkömmlicher schwarzer Kleidung mit weißen Kragen konzipiert, einander zugewandt, wie auch Rembrandt Ehepaare porträtierte. Dann schließlich setzt sein Stilwandel ein, der einen ganz anderen Maler vermuten lässt. Signaturen aber bekräftigen Maes’ Autorenschaft. Beispielsweise porträtiert er ein „Mädchen mit einem Reh“ und einen „Knaben als Jäger“, wohl Geschwister, mit lebhaften Gesten vor wilder Landschaft und in kostbaren Seidengewändern, der Knabe in römischem Fantasiekostüm. Dieses verwegene Gewand wird der Maler noch mehrmals, auch im anspruchsvollen „Bildnis einer unbekannten Familie“ einsetzen.

Rückblick auf eine große Karriere

1673, als Rembrandt bereits seit vier Jahren tot ist, kehrt Maes endgültig nach Amsterdam zurück. Hier häufen sich die Poträtaufträge. Er macht sich den jetzt gefragten internationalen Porträtstil zunutze, der Rembrandts pastose Malerei abgelöst hatte. Offenbar geraten ihm jetzt die aristokratischen Porträts von Anthonis van Dyck (1599 – 1641) zum Vorbild, die er in Antwerpen gesehen haben muss. Dem Mauritshuis ist es gelungen, ein Ensemble von vier privaten Bildnissen ein und derselben Leidener Familie van Alphen zusammenzuführen. Eines ist eleganter als das andere. Insbesondere Simon van Alphen schaut standesbewusst, nonchalant, fast schon arrogant in die Welt. Aber auch Dirck sowie Maria und selbst das Kind Beatrix van Alphen tragen ihre elitäre Haltung in Luxus zur Schau. Dass Nicolaes Maes es geschafft und zu Wohlstand gebracht hat, demonstriert er 1680 / 85 im Selbstbildnis als Maler mit Allongeperücke – für Rembrandt undenkbar!

Service

Ausstellung

„Nicolaes Maes – Rembrandts vielseitiger Schüler“

Mauritshuis, Den Haag
bis 19. Januar

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 19/2019

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