Ausstellungen

Ungeordneter Übergang

30 Jahre nach dem Mauerfall reflektiert der Kunstpalast Düsseldorf in einer pointierten Ausstellung den Umgang mit DDR-Kunst

Von Christiane Meixner
18.11.2019

Sie dürfte ruhig wütend sein und sich die Nachbarschaft von Willi Sitte verbitten. Dessen Kunst hängt nur ein paar Räume entfernt von der Cornelia Schleimes. 1980 ließ Sitte die Malerin nicht in den Verband Bildender Künstler der DDR. Als Präsident der Organisation hatte er die Macht über Lebensläufe. Eine Rebellin, die sich zur Punkbewegung zählte, war im ostdeutschen Kunstbetrieb unerwünscht. Ab 1981 durfte sie nicht mehr ausstellen, drei Jahre später ließ man sie nach West-Berlin ausreisen. Was im Dresdner Atelier zurückblieb, wurde vernichtet.

Cornelia Schleime, o.T., 1986, Tusche auf Japanpapier, kaschiert auf Vlies, 247 x 248 cm, Privatleihgabe, courtesy Cornelia Schleime, Foto: Eric Tschernow
Cornelia Schleime, o.T., 1986, Tusche auf Japanpapier, kaschiert auf Vlies, 247 x 248 cm, Privatleihgabe, courtesy Cornelia Schleime, Foto: Eric Tschernow

Doch Schleime, Jahrgang 1953, ist viel zu cool, um sich drei Dekaden nach dem Mauerfall noch aufzuregen. Von Berlin aus etablierte sie ihre Malerei in ganz Deutschland – was für den 2013 verstorbenen Sitte nicht gilt. Dass beide nun ihren Platz in der Ausstellung „Utopie und Untergang. Kunst in der DDR“ im Düsseldorfer Kunstpalast haben, wirkt wie eine späte Genugtuung für die Verfemte. Dem Fernsehsender Arte erklärte Schleime, nun könne jeder die Werke miteinander vergleichen. Die Unterschiede liegen offen. Sitte feiert den Männerkörper, wie er sich auf dem repräsentativen Gemälde „Nach der Schicht im Salzbergwerk“ (1982) als fleischiger Akt unter der Dusche präsentiert. Schleimes isolierte Figur auf einer unbetitelten Zeichnung im Großformat besteht aus Kaffeesatz, sie wirkt düster, fragmentiert, unbehaust. Hier der erfolgreiche Staatsmaler, dessen hyperpräsente sozialistische Werktätige aus heutiger Sicht bloß abstoßen. Dort die Unangepasste, die sich noch in Dresden als Performerin nackt mit Stricken fesselte, um ihre Unfreiheit zu demonstrieren. 

Die Ausstellung gibt Raum für Komplexität

Wenn sich ostdeutsche Kunst so leicht sortieren ließe, böte die Schau in Düsseldorf nicht mehr als 13 Kabinette für entweder Konforme oder Protestler. Es war aber immer vielschichtiger, und so versucht dieser erste Überblick einer westdeutschen Institution nach 1989 laut Kunstpalast-Direktor Felix Krämer einen „neuen und offenen Blick auf das Kunstschaffen in der DDR“, um die Komplexität der Biografien zu erfassen. Dafür setzt er auf junge Kuratoren wie Steffen Krautzig, die die polemischen Debatten des „deutschen Bilderstreits“ in den Neunzigerjahren nur noch als Historie kennen. Statt sich wie damals zu fragen, ob die Werke überhaupt museumswürdig sind, betrachtet man sie nun fern jeder politischen Vereinnahmung mit Interesse für individuelle Sujets und die Graustufen zwischen damaligen Staatskünstlern und Dissidenten.

Wilhelm Lachnit, „Gliederpuppe“, 1948, Öl auf Tempera auf Sperrholz, 75 x 110 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Erbengemeinschaft Wilhelm Lachnit, Foto: bpk/Nationalgalerie, SMB

Unterschiedliche Anerkennung in Ost und West

Exemplarisch ist „Die Ausgezeichnete“ von Wolfgang Mattheuer. 1974 porträtierte der Maler seine Mutter an einem Tisch mit weißer Decke und Blumen. Als Vorbild für den Bauern- und Arbeiterstaat, doch das bleiche Gesicht unter dem grauen Haar sieht aus, als habe sich die Frau beinahe totgeschuftet. Zur dieser Zeit lehrte Mattheuer als Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, hatte Ausstellungen in der DDR wie im Westen. Und er wurde von der Staatssicherheit argwöhnisch beobachtet. Widersprüchliche Charaktere forderten das System heraus. So auch Bernhard Heisig, der heute als Vater der Leipziger Schule gilt und im Kunstpalast mit maßgeblichen Bildern wie dem „Brigadier II“ vertreten ist, der ab 1968 über zehn Jahre entstand. Das Sujet kam gut an, Heisigs expressiver Stil missfiel jedoch im Osten, während man ihn im Westen 1977 zur Documenta in Kassel lud. Ab den frühen Achtzigern vertrat ihn die Galerie Brusberg am Ku’dammn – ebenso wie den widerspenstigen Gerhard Altenbourg, von dem im Kunstpalast wunderbar verschrobene Zeichnungen hängen.

Die Kunstpolitik der DDR bleibt undurchsichtig

Künstler wurden in der DDR hofiert, blockiert, unterdrückt und bespitzelt; gleichzeitig ließ man ihre Werke in die Bundesrepublik und erwirtschaftete Devisen über den staatlichen Kunsthandel. Wie solche teils widersprüchlichen Entscheidungen zustande kamen, vermag die Ausstellung auch 30 Jahre später nicht zu klären. Vielmehr addiert „Utopie und Untergang“ die Biografien zu einem Mosaik diverser Erzählungen. Mit A. R. Penck gesellen sich die Werke eines ewigen Underdogs dazu, der 1980 ausgebürgert wurde, während die Abstraktionen eines Hermann Glöckner 1969 im Dresdner Kupferstich-Kabinett ausgestellt wurden und man ihm den DDR-Nationalpreis verlieh. Der ebenfalls vertretene Wilhelm Lachnit fiel mit dem Gemälde „Gliederpuppe“ (1948) dagegen in Ungnade. Der Dresdner zeigte sein Unbehagen an der Instrumentalisierung der Kunst für den Sozialistischen Realismus und wurde dafür angegriffen, bis er 1954 seine Professur aufgab.

Biographien müssen kritisch gelesen werden

Singuläre Positionen wie die Elisabeth Voigts, die als erste Frau an der Leipziger Akademie lehrte, oder ihres Studenten Werner Tübke ergänzen die Schau. Dennoch bleiben 13 Künstler mit 80 Werken ein schmaler Ausschnitt, wenn man sie mit den 106 Protagonisten vergleicht, die bis zum 3. November die Leipziger Ausstellung „Point of No Return“ im Museum der Bildenden Künste bevölkern. Mit den Biografien, ihrer Einbettung in den Kontext hält man sich in Leipzig eher nicht auf – wohl auch weil die Schau in Sachsen auf das Vorwissen ihrer Besucher baut.

Elisabeth Voigt, „Der rote Stier“, 1944-1961, Öl auf Leinwand, 130 x 180 cm, Museum der bildenden Künste Leipzig, Nachlass Elisabeth Voigt, Foto: bpk/Museum der bildenden Künste Leipzig, Michael Ehritt
Elisabeth Voigt Der rote Stier, 1944-1961 Öl auf Leinwand 130 x 180 cm Museum der bildenden Künste Leipzig

Was sie im Rheinland mitbringen, ist ungewiss. Deshalb konzentriert sich „Utopie und Untergang“ auf den einzelnen Künstler und macht Existenzen sichtbar. Dass sie unmittelbar von den politischen Bedingungen einer Diktatur beeinflusst wurden – und es teils immer noch sind –, tritt in den Hintergrund. Deshalb bleiben auch die Wandtexte der Ausstellung blass, in denen Begriffe wie Staatlicher Kunsthandel oder Berufsverbot das ideologische System der DDR thematisieren. Wer Sitte als einen ihrer härtesten Verfechter zusammen mit Schleime zeigt, riskiert die Entpolitisierung der Geschichte. Vor diesem Hintergrund wirkt die Auseinandersetzung der Künstlerin mit ihrer Stasi-Akte von 1993, als mache sie sich über ihre Bespitzelung lustig. Was es wirklich hieß, von einem engen Freund an die Staatssicherheit verraten worden zu sein, vermittelt sich aus dieser Perspektive nicht mehr.

Service

Ausstellung

„Utopie und Untergang. Kunst in der DDR“

Kunstpalast, Düsseldorf
bis 5. Januar

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 164/2019

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