Ausstellungen

Der Kunstherbst in Wien

Eine Blockbuster-Schau mit Pieter Bruegel dem Älteren, ein runder Messegeburtstag auf der Hofburg und das Ende eines morbiden Jubiläumsjahres. Zahlreiche Kunstereignisse erwarten uns im Herbst in Wien

Von Nina Schedlmayer
09.11.2018

Es kommt eher selten vor, dass ein Museum mit einem Spot eines international renommierten Regisseurs punkten kann. Doch große Häuser ziehen große Namen an. Und so kam es, dass der mehrfach oscarnominierte Wes Anderson, bekannt für Filme wie „Grand Budapest Hotel“, einen Clip für das Wiener Kunsthistorische Museum (KHM) drehte. Der Star durchforstete gemeinsam mit seiner Frau, der Schriftstellerin und Kostümbildnerin Juman Malouf, die Sammlungen des Hauses. Dazu gehört nicht nur die berühmte Gemäldegalerie, sondern auch: die Kunstkammer, die Ägyptisch-Orientalische Sammlung, das Schloss Ambras, die Schatzkammer, das Weltmuseum, das Theatermuseum und einiges mehr – 14 Standorte, zahllose Depots, an denen vier Millionen Objekte aus über 5000 Jahren versammelt sind! Daraus stellte das Paar eine Schau aus 423 Exponaten zusammen, vieles davon wurde noch nie gezeigt. Zu sehen ist die Ausstellung nun bis zum 28. April.

In Andersons Film, einer rasanten Montage aus Werken, treffen Porträts, Geigen, Stillleben, Kimonos, Vasen, Büsten, Alabasterobjekte, ein Nilpferd und vieles mehr aufeinander. „Gegenstände von großer Bedeutung, die üblicherweise als Solitäre in einem Schaukasten präsentiert werden, finden sich neben anderen Objekten in gemeinsamen Vitrinen – als Komparsen einer unvertrauten Inszenierung“, schreibt Kurator Jasper Sharp, der für die Contemporary-Schiene im KHM verantwortlich ist. „In fernen Gegenden der Welt von unbekannten Händen hergestellte Objekte werden neben Werken einiger der größten Meister der europäischen Kunstgeschichte zu sehen sein.“

Landschaften, Bauernszenen und Wimmelbilder in großer Bruegel-Retrospektive

Einem solchen großen Meister der Kunstgeschichte rollt das Museum gegenwärtig den Teppich aus: Als Once-in-a-Lifetime-Chance bewirbt es die Ausstellung zu Pieter Bruegel dem Älteren, die 30 seiner rund 40 Gemälde versammelt, ein spektakuläres Unterfangen, das eine geradezu vorbildhafte Blockbuster-Schau ist. Denn dahinter stecken tief greifende internationale Forschungsarbeiten (siehe auch WELTKUNST August 2018, „Das Rätsel des Raben“). Dass die Schau ein Publikumsrenner ist, davon kann man sich tagtäglich am Eingang überzeugen. Und just in dem Augenblick, in dem das KHM wohl gestürmt wird, verabschiedet sich die Generaldirektorin: Auf Sabine Haag folgt der Deutsche Eike Schmidt, aktuell noch Direktor der Uffizien. Haag geht, zehn Jahre nach Amtsantritt, mit Bravour und einer Sensationsausstellung.

Kulturpolitische Spannungen an der Kunsthalle Wien

Auch anderswo werden demnächst neue Gesichter zu sehen sein. Im Frühjahr gab der Leiter der Kunsthalle Wien, Nicolaus Schafhausen, seinen Rückzug zu Ende März 2019 bekannt – aus politischen Gründen, wie er sagte. Dabei hat die österreichische Regierung aus der rechtskonservativen ÖVP und der rechtpopulistischen FPÖ keinen Einfluss auf die Institution, die von der Stadt finanziert wird. Die zuständige Stadträtin, Veronica Kaup-Hasler, war früher Leiterin des Steirischen Herbsts, eines innovativen Mehrspartenfestivals in Graz. Zu Redaktionsschluss war die Stelle Schafhausens noch nicht ausgeschrieben; doch noch im Herbst solle das geschehen, erklärt die Pressesprecherin von Kaup-Hasler auf Anfrage. Die Stadträtin habe „einen Think-Tank mit internationalen ExpertInnen eingeladen, um unterschiedliche Meinungen und Positionen zu hören und neue Ideen zu reflektieren“. Sie wolle die Ausrichtung und auch den Standort der Kunsthalle „neu denken“.

Die Viennacontemporary sucht eine neue Führung

Ebenso sucht die Viennacontemporary, Wiens wichtigste Messe für Gegenwartskunst, eine neue künstlerische Leitung. Christina Steinbrecher-Pfandt, die in den vergangenen Jahren die Veranstaltung international gut aufgestellt hat, zieht aus privaten Gründen nach San Francisco. Wie Geschäftsführer Renger van den Heuvel gegenüber der WELTKUNST erklärt, haben schon mehrere Personen von sich aus Interesse an dem Job bekundet. „Wir suchen jemanden, der den österreichischen Markt gut kennt, aber auch ein internationales Netzwerk hat“, sagt er. Bis spätestens Ende des Jahres soll die Nachfolge feststehen. Schließlich gilt auch für Kunstmessen: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Der Kunststandort Wien im Aufschwung

Obwohl die Viennacontemporary keineswegs zu den umsatzstarken Big Playern zählt, wirkt sie sich überaus positiv auf den Kunststandort Wien aus. Dieser ist im Aufschwung. Das zeigt sich auch daran, dass seit einigen Jahren laufend deutsche Galerien Standorte hier eröffnen oder gleich ganz übersiedeln, zuletzt Christian Siekmeiers ­Galerie Exile. Schon zuvor zog Croy Nielsen von der deutschen in die österreichische Hauptstadt. Beck & Eggeling aus Düsseldorf und Crone aus Berlin eröffneten ebenfalls einen zusätzlichen Standort in der Donaumetropole. Und wie geht es ihnen in Wien? Michael Beck: „Sehr gut! Das liegt aber nicht an den überwältigenden Verkäufen, sondern an den Ausstellungen und Museen sowie an der Stadt selbst.“ Die global agierende Galerie interessiere sich nicht für den überdrehten und aggressiven Markt, wie er etwa in London herrsche. „Da sind wir in Wien sehr gut aufgehoben.“ Das Geschäft rechnet sich jedenfalls: Vor allem mithilfe von Katharina Husslein, die den Wiener Standort führt, fanden sich schon drei „wirklich aktive Sammler“.

An der Viennacontemporary nahm die Galerie zwar teil, allerdings mehr, um ein Statement zu setzen. Denn verkaufstechnisch kann Michael Beck nicht von Sensationen berichten: Nur ein paar Papierarbeiten der Künstlerin Tamara K. E. seien weggegangen. Und doch: „Ich finde die Messe erfrischend, die großen Messen sind einander schon zu ähnlich. Auch Markus Peichl von der Galerie Crone bereut den Schritt nach Wien nicht. Habe er anfänglich dafür nur Kopfschütteln geerntet, so sei das Gegenteil aller Befürchtungen eingetreten. „Wien ist eine sehr vitale Stadt mit einem durchaus guten Sammlerumfeld.“ Die Galerie habe neue Sammler gewonnen – auch er betont die Verdienste seines schon lange in Wien ansässigen Galeriechefs Andreas Huber. „Und die Leute reden viel über Kunst, mehr, als wir in Berlin gewohnt sind“, sagt Peichl. „Berlin ist sehr eventgetrieben, Wien ist gesetzter.“

Die Art & Antique feiert ein großes Jubiläum

Besonders gesetzt ist Wien stets auf der Art & Antique in der Hofburg: In gediegenen Räumlichkeiten findet die Mischung aus Juwelen, Möbeln, Gemälden, Skulpturen, Uhren, Porzellan, Ikonen und Antiken einen würdigen Rahmen. Am aufsehenerregendsten im Programm der aktuellen Ausgabe, die vom 10. bis zum 18. November stattfindet und mit vielen langjährigen Ausstellern aufwartet, ist ein starker Neuzugang: David Aaron aus London. Die Galerie hat eine lange Tradition: Bereits 1910 wurde sie in Isfahan gegründet, mit Schwerpunkt auf islamischer und persischer Kunst. In den 1930er-Jahren berieten die Händler die Königsfamilie. 1950 übersiedelte die Kunsthandlung nach Teheran, zählte Pablo Picasso zu ihren Käufern, der dort persische Keramik fand. Während der Revolution musste man nach London fliehen, wo das Geschäft seit 1981 residiert. Heute gehören das Metropolitan Museum, der Louvre und das Tokyo National Museum zu den Kunden der Galerie, die alte Kunst offeriert, vor allem aus dem arabischen, indischen und europäischen Raum. In Wien zeigt die David Aaron Gallery, die mittlerweile von der dritten und vierten Generation geführt wird, unter anderem einen ägyptischen „Ruhenden Ibis“ aus Holz und Bronze, datiert ins siebte vorchristliche Jahrhundert.

Die Messe feiert dieses Jahr ihre 50. Ausgabe, widmet aber einem anderen Jubiläum ein Spezial: Bereits seit Anfang des Jahres hält die Wiener Moderne die Stadt in Atem, deren hundertjähriges Jubiläum von Museen und Touristikern gefeiert wird. Dabei fand 1918 die Wiener Moderne eigentlich gerade ihr Ende. Man sagt den Wienern ja gern einen gewissen Hang zum Morbiden nach. Dieser scheint sich darin zu bestätigen, dass man ausgerechnet die Todesjahre von vier Exponenten der Moderne zum Anlass nimmt, um zu feiern. Detailliert, fast genüsslich, listet die Art & Antique die Jahresregenten mitsamt deren Todesursachen namentlich auf: „Gustav Klimt starb im Februar an Lungenentzündung, Otto Wagner im April an Rotlauf, Egon Schiele wurde kurz später Opfer der Spanischen Grippe, Koloman Moser erlag im Herbst seiner Krebserkrankung.“

Auf der Art & Antique werden nun Objekte dieser Epoche – und derer gibt es viele hier! – explizit gekennzeichnet. Zu finden sind sie bei den Lokalmatadoren wie der Galerie ­Susanne Bauer, Giese & Schweiger, Kovacek & Zetter oder der Galerie bei der Albertina – Zetter. Sogar das Geschäft von Christoph Bacher mit seinem Schwerpunkt auf Antike passt in diesen Zusammenhang, ließ sich der Architekt Otto Wagner doch ebenso davon inspirieren wie Gustav Klimt und der Kunsthandwerker Kolo Moser. Aus der Zeit um 500 vor Christus offeriert Bacher eine attische Pelike – also eine doppelhenkelige Kanne – mit der Göttin Athene, dem Maler Nikoxenos zugeschrieben. Auf dem Schild der Göttin: ein Eulenkopf, wie er auch auf einem Fries von Moser zu finden ist. Die ­Galerie bei der Albertina – Zetter bietet eine Lithografie Mosers an, ebenso eine Zeichnung von Egon Schiele: Sein Selbstporträt als stehender Akt ist zart und expressiv zugleich.

Schiele hoch zwei

Über den Klassiker der Wiener Moderne wurde bereits vieles geforscht, geschrieben und geredet. Das Werk Schieles, der schon mit 28 Jahren verstarb, wurde bis heute in so vielen Ausstellungen ausgebreitet, dass man sich fragt, was dem überhaupt noch Neues hinzuzufügen sein könnte. Einen Versuch machen jene beiden Häuser, die Schiele gewissermaßen in ihrer DNA tragen: das Belvedere, also das Museum für österreichische Kunst, und das Leopold Museum, dessen Sammlungsschwerpunkt auf der Wiener Moderne liegt. Im Belvedere wirft Kuratorin Kerstin Jesse bis zum 19. Februar einen fokussierten Blick auf die eigenen Bestände – etwas, was im schnell rotierenden Ausstellungskarussell bisweilen ohnehin zu kurz kommt. Die ausführlichen Provenienzrecherchen und die materialtechnischen Untersuchungen der zwanzig Werke Schieles, die heute im Haus sind, bilden den Ausgangspunkt für eine Schau, die nebenher viel über Sammlungsstrategien erzählt, über die sich ändernde Wertschätzung von Kunstströmungen und über österreichische Kulturpolitik.

Im Leopold Museum dagegen integrierten die Kuratoren Verena Gamper und Diethard Leopold in einem – ansonsten relativ konventionellen – Schiele-Überblick zeitgenössische Positionen als „Interpunktionen“. Das funktioniert manchmal besser, etwa wenn Schieles Mutter-Bildern Skulpturen und Zeichnungen von Louise Bourgeois gegenübergestellt werden. Nicht immer aber geht die Idee so gut auf, oft wirken die Kombinationen zu gewollt. (Die Ausstellung ist allerdings erst wieder ab dem 6. Dezember zu sehen. Bis dahin ist das Leopold Museum aufgrund von Baumaßnahmen geschlossen.)

Starke Positionen und vergessene Schätze unterm Hammer

Auch anderswo werden innovative Zusammenstellungen erprobt. Der neue Ausstellungsraum des Auktionshauses im Kins­ky hat sich dem Dialog zwischen alter und zeitgenössischer Kunst verschrieben. Dort wird nun zweimal pro Jahr zeitgenössische Kunst mit Auktionsobjekten kombiniert. Zuletzt gelang das mit der Schau von Stefan Draschan – der Österreicher wurde mit seinen Fotografien von Museumsbesuchern international bekannt – recht gut. Im Frühjahr plant Im Kinsky eine Schau mit dem heute ziemlich vergessenen Kurt Hüpfner. Dessen bisweilen etwas trashige Skulpturen sind so ziemlich das genaue Gegenteil der glatt polierten Möbel von Ron Arad. Das Dorotheum, dessen Design-Department immer wieder ikonische Stücke an Land zieht, versteigert nun einige davon: darunter einen Prototyp von einem von Arads berühmten „Big Easy Chairs“, Stühlen aus harten Materialien, die jedoch die Form gemütlicher Polstersessel haben (Schätzwert: 100 000 bis 150 000 Euro).

Sensationspreis für eine alte Meisterin

Eine andere kleine Sensation hatte das Haus bereits im Oktober zu bieten: In der Altmeister-Auktion kam das Gemälde „Lucretia“ der Barockkünstlerin Artemisia Gentileschi zum Aufruf und erreichte einen Hammerpreis von 1 600 000 Euro. Nur wenig Werke der Malerin kursieren am Markt, und noch sind sie verhältnismäßig günstig. Der Gender-Pay-Gap ist bekanntlich gerade in der Kunst erstaunlich hoch. Dagegen hilft vor allem eines: ausstellen! Manche Wiener Museen zeigen stetig mehr Personalen von Künstlerinnen. Zum Beispiel die Albertina: Jetzt stellt das Haus die Fotografien der US-Amerikanerin Helen Levitt aus, berühmt für ihre Aufnahmen des Alltagslebens in den eher ärmlichen Gegenden New Yorks. Noch ein Highlight in diesem sowieso schon recht lebhaften Wiener Kunstherbst.

Service

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 150/2018

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