Ausstellungen

Flaka Haliti – Die Grenzgängerin

Aus Pristina an die Isar: Die Künstlerin Flaka Haliti hat wie viele ihrer Landsleute Flucht und Vertreibung erlebt. Heute erkundet sie mit ihren Installationen das Thema Identität in einer transnationalen Welt. Die Galerie Deborah Schamoni präsentiert ihre Arbeiten noch bis 17. Juni auf der Art Basel

Von Simone Sondermann
09.11.2017

Nach dem Ende des Kosovo-Krieges schickte die NATO rund 50000 Soldaten. Die multinationale Friedenstruppe KFOR sollte helfen, das umkämpfte Gebiet im Westbalkan wiederaufzubauen und die Rückkehr der vertriebenen Kosovo-Albaner zu gewährleisten. Zahlreiche Feldlager wurden errichtet und mit allem ausgestattet, was Soldaten für ein akzeptables Alltagsleben brauchen, von der Krankenstation bis zur Sofaecke. Heute, 18 Jahre später, sind noch immer KFOR-Truppen im Land stationiert, allerdings wurden sie in den vergangenen Jahren allmählich reduziert, auf gut ein Zehntel der ursprünglichen Stärke. Wenn mal wieder ein Feldlager aufgegeben wird, lädt man die Einheimischen ein, sich zu bedienen. Vor allem lokale Händler nehmen alles mit, was man noch brauchen kann, und verkaufen es dann weiter.

Streikende Roboter

Bei einem dieser Militärflohmärkte hat sich Flaka Haliti eingedeckt. Sie erwarb Bodenplatten aus Stahl, Zaunteile, alte Kühlschränke. Im März dieses Jahres konnten Besucher der Galerie LambdaLambdaLambda in Pristina dann sehen, wozu. In einem mit einem Kachelmuster bemalten kahlen Raum, der den Charme einer leeren Industrieküche versprühte, saß ein quietschgrüner Roboter. Freundlich lächelnd wandte er sein Komma-Strich-Gesicht zur gegenüberliegenden Wand, wo zwei auf Plexiglas gemalte Flügel hingen. Der komplizierte Titel der Installation „its urgency got lost in reverse (while being in constant delay)“ – etwa: seine Eile ging im Rückwärtsgang verloren (während er dauerhaft zu spät war) – spielt mit dem merkwürdigen Zwischenzustand dieses Roboters, der offenbar gerade eine Verschnaufpause machte, die Hände auf den Knien, der Rücken zur Wand. Statt zu arbeiten, per definitionem sein Wesen, einfach nur dasaß. Wer ihn sich genauer anschaute, konnte in seinen Eingeweiden die verschlungenen Wärmeleiter eines Kühlschranks erkennen, in Füßen und Brust die gestanzten Bodenplatten, über die einstmals Soldaten liefen. Der Roboter, der dort hockte, war ein recyceltes Feldlager.

Flaka Haliti wurde 1982 in Pristina geboren. Wie mehr als eine Million Kosovo-Albaner musste sie während des Krieges fliehen, erst in ein Flüchtlingslager und dann zu einem Cousin nach Mazedonien. Nach dem Ende der Kampfhandlungen kehrte Halitis Familie zurück. Sie selbst absolvierte zunächst ein Grafikstudium in Pristina, bevor sie 2008 an die Frankfurter Städelschule ging. Seit vier Jahren lebt sie in München, in ihrem kleinen Schwabinger Souterrain-Studio plant und steuert sie ihre Projekte, entwirft Prototypen mit ihrem Team. Dass sie sich nach dem Studium für München als Lebens- und Arbeitsort entschieden hat und nicht wie so viele Künstler für Berlin, hatte vor allem private Gründe. Ihr Freund arbeitet hier als selbstständiger Architekt. Sie schätzt an München aber auch die Überschaubarkeit der Szene, den für sie positiven Mangel an Ablenkung. „Berlin ist gut für bereits etablierte Künstler, die die tolle Infrastruktur dort nutzen können. Aber für junge Künstler am Anfang der Karriere ist es ein sehr schwieriges Pflaster“, merkt sie an und zieht im grünen Hinterhof ihres Studios an einer Zigarette. Sie als Münchnerin zu bezeichnen wäre wohl dennoch unzutreffend, auch wenn sie die hohe Lebensqualität der Stadt zu schätzen weiß und seit diesem Jahr von der Münchner Galerie Deborah Schamoni vertreten wird.

Flaka Haliti: „Ich beginne mein Albanisch zu vergessen“

Erzählt Haliti über ihre Arbeit und ihr Leben, entsteht der Eindruck einer, zumindest in Teilen, selbst gewählten Ortlosigkeit. Sie pendelt regelmäßig nach Wien, wo sie an der Akademie der bildenden Künste ihren Doktor macht, große Teile ihrer Familie leben nach wie vor im Kosovo, dazu kommen die für junge Künstler typischen Auslandsstipendien, die sie in den vergangenen Jahren jeweils für mehrere Monate nach Florenz und Kanada brachten. Ihre Sprache ist Englisch, sie nimmt in Kauf, auch nach zehn Jahren in Deutschland beim Einkauf für eine Touristin gehalten zu werden. „Ich beginne mitunter selbst mein Albanisch zu vergessen, ich kann einfach nur eine Sprache zur selben Zeit beherrschen“, erklärt sie. Auf der Venedig-Biennale 2015 stand Flaka Haliti als Vertreterin des Kosovo erstmals im Fokus der internationalen Kunstwelt. Das jüngste Land Europas, das noch immer nicht von allen UN-Staaten anerkannt wird, war erst zum zweiten Mal bei der wichtigen Ausstellung dabei. Vor den strahlend weißen Wänden des von Haliti bespielten Pavillons erhoben sich hohe Metallskulpturen, die wie Zäune aussahen und den Betrachter weit überragten. Man konnte zwischen ihnen umhergehen. Der Boden war bedeckt mit intensivblauem Sand, der den Besuchern an den Schuhen kleben blieb und den sie so, ohne es zu wollen, aus dem Pavillon hinaustrugen.

Die Farbe Blau spielt in Halitis Werk eine wichtige Rolle. Sie arbeitet mit den Assoziationen des Himmels, der Sehnsucht, der Ferne, aber bei ihr ist Blau auch politisch konnotiert. Die Fahne der EU ist strahlend blau, die UN hat ihre Blauhelme, die Flagge des Kosovo zeigt die Umrisse des Landes vor tiefblauem Hintergrund. Für eine Bildserie zeichnete sie am Computer kindlich-naive Umrisse in Wolkenfotos, die mal mehr, mal weniger an Gesichter erinnerten, aber auch entfernt an geografische Gebilde, im Hintergrund stets ein strahlend blauer Himmel. Der Titel »I See a Face. Do You See a Face.« schafft einen Begegnungsraum zwischen dem fiktiven Künstler-Ich und dem Betrachter, fordert auf, die Grenze zwischen beiden zu überschreiten. Jeder kennt das Kinderspiel, in den Wolkenformationen nach Tieren, Menschen oder Fabelwesen zu suchen, in das Offene des Horizonts das Vertraute zu projizieren. Im Wiener Mumok, wo die Fotografien 2014 zu sehen waren, kontrastierte sie die Himmelsbilder mit grau gestrichenen raumhohen Pfeilern, die die Form von Grenzbarrieren hatten. Mit ähnlichen Betonelementen ist das Gebäude der UN-Verwaltung in Pristina geschützt, auch die Berliner Mauer bestand daraus.

Kinderzeichnungen in Ikea-Tüten

Im vergangenen Jahr erhielt Flaka Haliti den Ars-Viva-Preis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft, in der begleitenden Werkschau, die durch mehrere Städte tourte, zeigte sie eine Installation, die den blauen Sand ihres Venedig-Pavillons aufnahm. Sie packte ihn diesmal in große gelbe Ikea-Tüten, in den Sand steckte sie seltsame Wesen aus Metall. Auf die Frage, was es damit auf sich hat, holt Haliti ein wenig aus. Ihre Schwester lebte eine Weile mit Mann und Kind in der Elfenbeinküste, an der dortigen internationalen Schule ließ man die Kleinsten Selbstporträts zeichnen, die alle zusammen auf Geschirrtücher gedruckt wurden. Haliti bekam ein Tuch von ihrem Neffen geschenkt. Ihr fiel gleich auf, dass die krakeligen Figuren, die Kopffüßler und Smileys wenig Rückschlüsse auf die Identität der Kinder zuließen. „Ich habe ein Klassenfoto danebengelegt, aber man konnte die Kids nicht zuordnen. Weder über das Geschlecht noch die Hautfarbe“, erzählt sie. Diese Porträts übersetzte sie ins Skulpturale. Es sind geschlechtslose kleine Strolche, die in den Tüten stecken, geisterhaft durchsichtig, etwas schief lächelnd und höchst individuell. Und warum die Ikea-Tüten? „Ikea steht für einen westlichen Lebensstandard, der für die meisten hierzulande nichts Besonderes mehr ist. In den Balkan-Staaten aber ist das etwas sehr Erstrebenswertes. Im Kosovo gibt es kein Ikea.“

Das Thema der Identität treibt sie ebenso um wie das der Grenzen Europas. Seit zwei Jahren schafft sie immer wieder Werke mit dem Titel „Is it you, Joe?“. Die Serie sei eine Reaktion auf den Druck, den sie mit zunehmendem Erfolg – bis Anfang 2018 hatte sie eine Soloausstellung in der Kunsthalle Lingen – und als Künstlerin aus Südosteuropa empfinde. Der Titel spielt mit der Geschlechteridentität, Joe lässt an einen Mann denken, auch wenn der Name im Grunde androgyn ist. Ihre „Joe“-Arbeiten sind jeweils Variationen einer Grundidee und würden ihr helfen, produktiv zu bleiben, dem Markt etwas anzubieten. So klebt sie etwa Schwämme auf Marmorplatten, den Schwamm färbt sie so ein, dass er sich im Farbenspiel des Marmors tarnt. Durch kleine Eingriffe, aufgeklebte Augen oder Löcher, entsteht ein Gesicht, mal lustig, mal entsetzt, geschlechts- und alterslos, wie die Emojis, die uns tagtäglich umgeben. Hier verbindet sich die „Is it you, Joe?“-Serie mit ihrem gesamten Œuvre. Es ist eine Parallelwelt von konzeptueller Klarheit und technoider Poesie, in der die Einteilung in Mann oder Frau, Jung oder Alt, EU-Bürger oder nicht allenfalls als Zitat existiert. In der transnationalen digitalen Welt sind wir letztlich nur Komma, Strich, nur Null und eins. Das bedeutet ein Stück Freiheit.

Service

Dieser Text erschien in

WELTKUNST Mr. 135 / 2017

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