Ausstellungen

Nachts im Museum

Mit seinen Video-, Sound- und Rauminstallationen unternimmt der Künstler Christoph Brech im Bayerischen Nationalmuseum eine Zeitreise ins Mittelalter. Und küsst so manchen historischen Schatz wach

Von Alexandra González
17.08.2016

Wie ungleiche Schwestern ringen die Epochensammlungen des Bayerischen Nationalmuseums um die Gunst der Besucher. Hier locken Glanz und Gloria des grellen, extrovertierten Barock und Rokoko, frisch herausgeputzt in renovierten Sälen. Dort fristen die stillen Kunstwerke des Mittelalters ein Dämmerdasein. Bunt zusammengewürfelte Podeste und Vitrinen, zum Teil noch aus den Sechziger­jahren, Schmuddelecken und Bodenschäden machen es den in sich gekehrten Objekten nicht leicht. Und doch hat sich der Videokünstler Christoph Brech für die aschenputtelhafte Mittelalterabteilung entschieden. Zwischen den alten Werken und seinen rund 21 Installationen will er einen Dialog anstoßen. Dabei wird vieles bloß einander zugeraunt. Denn darum geht es Brech: genau hinzuhören, hinzusehen, die innere Vornehmheit der Dinge zu entdecken.

Für die Ausstellung „Überleben“ im Bayerischen Nationalmuseum kehrt Brech zu jener Sammlung zurück, die er schon als Student an der Münchner Akademie hingebungsvoll zweimal wöchentlich besuchte. Bevor er hier Malerei studierte, ließ er sich zum Gärtner ausbilden. Im Jahr 2012 gelang ihm der inter­nationale Durchbruch, als er, mit einer Sonder­lizenz ausgerüstet, die verborgenen Winkel der Vatikanischen Museen fotografisch erkundete.

Mit ihrer stoischen Ruhe und einem gewissen Grad an Abstraktion sei die romanische und gotische Kunst ein ideales Spielfeld für ihn, sagt der 52-jährige Brech während unseres Rundgangs, der wenige Wochen vor der Eröffnung stattfindet. Er lacht viel, strahlt aus hellwachen Augen und wirkt wie ein großer Junge, den die eigene Begabung (da wären die Kunst, die Musik und eine kluge, mitreißende Art, sich auszudrücken) mehr amüsiert als ängstigt. Noch ist nicht alles zu sehen, einige Begegnungen finden vorerst auf dem Bildschirm seines Laptops statt.

Den starken Auftakt zur Schau bildet die Arbeit „Eternal Eclipse“. Ein zwischen 1220 und 1230 entstandenes Kalksteintympanon, das Christus zwischen Sonne und Mond zeigt, korrespondiert mit dem NASA-Video einer Sonnenfinsternis. Schöner Kontrast, doch genügt ein bisschen Hightech, um sich gegen die archaische Wucht der uralten Darstellung zu behaupten? Durchaus, denn das manipulierte Filmmaterial fesselt die Aufmerksamkeit des Betrachters durch das seltsame Verhalten des Mondes. Er versucht, nach allen Seiten von der Sonne wegzukommen, doch es misslingt. So bleibt es ewig finster. Hier wird das Mittelalter verdunkelt, doch auch an der Düsternis unserer Gegenwart kein Zweifel gelassen.

Nur leise schwingt der christliche Bezug in der Ikonografie mit. Die Werke sprechen für sich

Die Exponate des Hauses sind wundervolle Kostbarkeiten aus süddeutschen Kirchen und Klöstern: Glasgemälde, Elfenbeintafeln, Altäre, Skulpturen aus Holz und Stein, Knotensäulen. Teils sakral, teils profan, immer als autonomes Kunstwerk zugänglich. Da das Museum um 1900 von seinem Architekten Gabriel von Seidl für die Sammlungen maßgeschneidert wurde, sind auch die unterschiedlichen Mittelalterräume stilistisch auf die ausgestellten Objekte zugeschnitten. Als würde man von einer Stimmungswolke auf die nächste hüpfen: vom romanischen Minimalismus über die Behaglichkeit bürgerlicher Stuben zum Erhabenen gotischer Kathedralen.

Brech versteht die Abteilung als Projektionsfläche. „Ich spiegele, verdoppele, verhülle, drehe um 180 Grad, verdunkle, entferne oder füge hinzu, sodass einzelne Objekte der Sammlung, manchmal auch ganze Räume in neue, oft unerwartete Zusammenhänge gebracht werden.“ Geradezu liebevoll nimmt er sich einer Regensburger Marienfigur aus Weidenholz an, die sich unter ihrem plissierten Umhang versteckt. Neun Spiegel – sie zitieren die Lichtreflektoren an der Saaldecke – befestigt Brech unterhalb dieser Verkündigungsmadonna. Wer aus der Perspektive des Engels in die Spiegel hineinsieht, entdeckt die anrührenden Details der Mariendarstellung völlig neu: die reich geschnitzte Kante ihres Schleiers, ihre zarten Hände, das ambivalente Lächeln. Indem Brech den Blick umleitet, bringt er die große Anmut und Seelentiefe dieser Skulptur zum Leuchten.

Man kommt nicht umhin, an den Typus der Mondsichelmadonna zu denken, den Mond als Reflektor unter den Himmelskörpern, weil er das Sonnenlicht zurückwirft. Meist schwingt der christliche Bezug in der Ikonografie nur leise mit. „Die Werke sprechen für sich“, sagt Raphael­ Beuing, der Kurator der Ausstellung. „Es spielt keine Rolle mehr, ob ihnen etwas Kirchliches anhaftet.“

Andererseits: Würden manche Installationen überhaupt funktionieren, räumten sie dem Sakralen nicht ihren Platz ein? Zum Beispiel „Vice Versa“. Mit Bergkristall-Cabochons verziert und gefasst, ist dieses Christophorus-Büstenreliquiar eine um 1510–1520 gefertigte Schnitzarbeit des niederländischen Meisters von Elsloo. In der Brustnische, die eigentlich dem Überbleibsel des Heiligen vorbehalten wäre, parkt nun ein Modellauto, ein SUV in Schwarz, die meistgewählte Pkw-Farbe hierzulande. Sie kommt schon sehr leise daher, Brechs feine Stichelei in Richtung der religiösen Verehrung, die die Deutschen für ihr Auto hegen.

Platte Provokationen sind ihm fremd. Lieber betreibt er ein subtiles Spiel mit verschiedenen Bedeutungsebenen. Kritik schwirrt, wenn überhaupt, sachte durch die Szenerie wie das Käuzchen in seiner Arbeit „La Civetta“. Ein kleiner Bildschirm ist in das aufgerissene Löwenmaul einer Uhren-Schlagfigur von 1513 eingelassen. Sie stammt aus dem Zisterzienserkloster Heilsbronn und zieht alle Blicke auf sich – wegen eines Skeletts, das auf der Raubkatze reitet und mit einem Knochen die Stunde schlägt. In Brechs Video sieht man die Kuppel des Petersdoms in der Dämmerung leuchten. Am Ende der Sequenz schreit das Käuzchen. Ein Todesomen im Angesicht der katholischen Machtzentrale? Ganz schön gewagt für einen Künstler, der vor Kurzem vom Vatikan eingeladen wurde, den emeritierten Papst zu fotografieren.

Obgleich er seine existenziellen Sujets sehr nuanciert behandelt, setzt er immer wieder auf sinnliche Überwältigung

Obgleich er seine existenziellen Sujets – Zeit, Übergänge, Licht, Kosmos – sehr nuanciert behandelt, setzt er immer wieder auf sinnliche Überwältigung. Dann eignet er sich mit vollflächigen Videoprojektionen ganze Räume an wie etwa die Passauer Stube samt spätgotischem Himmelbett. In „Monsalvat“ überziehen golden glänzende Schwäne, gefilmt in einer eiskalten Nacht, wie eine bewegte Fototapete das häusliche Schlafzimmer. Straßengeräusche rauschen im Hintergrund, bald überlagert von Wagners Lohengrin-Vorspiel (Hallo, Schwanenritter!). Die Wasservögel, dicht zusammengedrängt auf dem letzten offenen Stück des zufrierenden Kanals, verhalten sich aggressiver. Einem schweren Traum nicht unähnlich, graben sich die Bilder dieser fantastischen Videomalerei ins Bewusstsein ein. Benannt ist „Monsalvat“ nach der Gralsburg aus Wolfram von Eschenbachs Versepos „Parzival“, ein diffuser Unort wie das Reich des Schlafs.

Die Ausstellung „Überleben“ ist nicht aus einem Guss entstanden. Von den 21 Video-, Klang- und Rauminstallationen hat Brech acht Arbeiten, darunter „Eternal Eclipse“ und „Vice Versa“, eigens für diese Schau produziert. Die älteren Werke, zwei davon Leihgaben der Sammlung Goetz, spiegeln sein Schaffen aus
25 Jahren wider. Brech sprudelte über vor Inspiration, doch viele Einfälle mussten auf den Prüfstand. Natürlich gebe es Grenzen, räumt der Kurator Raphael Beuing ein, konservatorische ohnehin. Christoph Brech erzählt gut gelaunt davon, wie ihn die Einschränkungen beflügelt hätten. „Die letzten Ideen sind die besten! Mit jedem neuen Entwurf bin ich tiefer eingestiegen.“ Von dem Plan, einen Haufen Schrott zwischen einer Gruppe von Ritterrüstungen auszubreiten, hat der Museumsmann ihn abgehalten. Nun schweben heliumgefüllte Ballons aus verspiegelter Folie über den Panzerkleidern. Das Gewölbe, die Objekte, die Besucher reflektieren sich in der Oberfläche, kalt glänzend wie Edelstahl. Bis die Ballons anfangen zu schrumpfen, faltig werden, absinken und ihre Jeff-Koons-hafte Perfektion verlieren. Es ist der Taumel zwischen Leichtigkeit und Erdenschwere, Heiterkeit und Düsternis und das Gefühl der Sympathie für eine ganze Epoche, das von der Ausstellung bleibt.

Service

Abbildungen

Bastian Krack

Info

„Christoph Brech – Überleben“, bis 4. September im Bayerischen Nationalmuseum, München. Die Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst zeigt eine Satellitenausstellung

Dieser Artikel erschien in der

WELTKUNST Nr. 116 / 2016

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