Auktion bei Irene Lehr

Unheimliche Nüchternheit

Bei Irene Lehr in Berlin kommen Werke der Neuen Sachlichkeit und aus einer Privatsammlung zum Aufruf. Ein Frauenakt von Georg Scholz gehört zu den Highlights der Auktion

Von Ivo Kranzfelder
24.04.2024

Rudolf Dischinger, geboren 1904, studierte an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe bei Georg Scholz und Karl Hubbuch und gehörte damit zur jüngeren Generation der neusachlichen Maler. 1935 entstand das Porträt seiner ehemaligen Mitstudentin Karola Hörner, die er ein Jahr zuvor geheiratet hatte. Zu dieser Zeit arbeitete er als Zeichenlehrer in Freiburg. Das hochformatige Dreiviertelporträt zeigt seine Gattin an einem Türrahmen lehnend, links vor sich angeschnitten ein Tischchen oder Podest mit einer Blume im Topf. Sie trägt ein leuchtend rotes Kleid, darüber einen beigen modischen halb offenen Bolero mit Stehkragen. Ihre Arme sind vor der Brust verschränkt, ihre akkurate Kurzhaarfrisur, der entschlossene, nach links aus dem Bild hinausgerichtete Blick und die leicht vorgeschobene Unterlippe lassen, zusammen mit ihrer insgesamt lässigen Haltung, auf eine selbstbewusste, willensstarke und emanzipierte Frau schließen. Ein Topos in der Malerei der Zeit. Das Bild lebt farblich vom komplementären Rot-Grün-Kontrast – exemplarisch an der Pflanze mit den roten Blüten direkt vor dem Gesicht der Protagonistin und den grünen Blättern darunter vorgeführt, wiederholt im roten Kleid vor dem Hintergrund der geöffneten grünen Holztür. Das ist pure Neue Sachlichkeit oder Nüchternheit, die, auch malerisch, ihre Objekte, inklusive Menschen, gleich behandelt und nichts verbirgt. Porträts sind selten in Dischingers Werk, dieses sehr persönliche Bildnis, das bis zum Tod des Künstlers in seinem Besitz war, soll 50.000 Euro oder mehr erzielen.

Rudolf Dischinger, „Bildnis Karola Dischinger“, 1935 wird bei Irene Lehr in Berlin aufgerufen
Rudolf Dischinger, „Bildnis Karola Dischinger“, 1935. © Stefan Schiske für Lehr Kunstauktionen, Berlin

Die Auktion bei Lehr umfasst diesmal fast 400 Positionen, darunter auch größere Konvolute, so etwa über 30 Werke des Bildhauers Fritz Klimsch (1870 – 1960), eines Mitgründers der Berliner Secession, aus sämtlichen Schaffensphasen – von Gips- oder Porzellanversionen (Taxen teils unter 1000 Euro) über Porträtbüsten oder zauberhafte, teils noch dem Jugendstil verpflichtete Aktfiguren aus den 1910er- und 1920er-Jahren bis hin zu den klassischen Frauenfiguren der Dreißiger- und Vierzigerjahre, die – bei allem Können – mit der zeitgemäßen Ideologie und Kunstanschauung konvergierten (Taxen bis zu 40.000 Euro). Die Arbeiten stammen sämtlich aus der Sammlung von Hermann Braun, der das Werkverzeichnis von Klimsch erstellt hat.

Fritz Klimsch, „Hockende“, 1926 / 36 wird bei Irene Lehr in Berlin aufgerufen
Fritz Klimsch, „Hockende“, 1926 / 36. © Stefan Schiske für Lehr Kunstauktionen, Berlin

Allein 40 weitere Arbeiten stammen aus der Sammlung von Hermann-Josef Bunte. Irene Lehr versteigert eine zweite Tranche nach einem ersten Teil bei Ketterer in München im Dezember letzten Jahres. Wieder einmal ist eine Einigung zur Bewahrung einer Sammlung zwischen einem engagierten Sammler und der öffentlichen Hand, diesmal in Form der Stadt Bielefeld, gescheitert. Tatsächlich kommt man – wenn man sich die Mühe machte, auch einmal in andere Länder zu schauen, auf die hierzulande, sehr vorsichtig ausgedrückt, mit selbstgerechter Herablassung geblickt wird – nicht umhin festzustellen, dass Kunst und Kultur woanders weit mehr geschätzt und gepflegt werden als bei uns. Buntes Sammlung hauptsächlich westfälischer Expressionisten um den Maler Hermann Stenner, der, 1891 geboren, 1914 im Krieg fiel, hält einige Überraschungen und Entdeckungen bereit. Die Schätzpreise starten im dreistelligen Bereich und bewegen sich bis etwa 20.000 Euro für ein Selbstbildnis Stenners oder 35.000 Euro für ein von Franz Nölken gemaltes Bildnis des Komponisten Max Reger beim Schreiben. Nölken wurde in Frankreich 1918 noch kurz vor Kriegsende getötet. Man sollte das auch als Plädoyer für mehr Kunst und weniger Krieg und Militarismus begreifen.

Franz Nölken, „Max Reger, schreibend (VI)“, 1916 wird bei Irene Lehr in Berlin aufgerufen
Franz Nölken, „Max Reger, schreibend (VI)“, 1916. © Stefan Schiske für Lehr Kunstauktionen, Berlin

Service

AUKTION

Irene Lehr, Berlin

Auktion 27. April

Besichtigung 15.–25. April

lehr-kunstauktionen.de

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