Raffael im Dorotheum

Mit allen Wassern gewaschen

Im Wiener Auktionshaus Dorotheum wechselte eine neu entdeckte Raffael-Zeichnung diese Woche für 338.000 Euro ihren Besitzer

Von Stefan Weixler
26.10.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 17/23

Hochbegabt waren sie alle drei. Doch der Älteste brachte wenig zu Ende, weil er „nie die Vollkommenheit zu erreichen glaubte, die seinem Geist vorschwebte“: Leonardo da Vinci (1452 – 1519). Der Mittlere benahm sich meist „so schrecklich, dass man mit ihm keinen Umgang pflegen konnte“: Michelangelo Buonarroti (1475 – 1564). Und so bevorzugte die High Society im Rom des frühen 16. Jahrhunderts zunehmend den Jüngsten: Raffaello Santi (1483 – 1520), der offensichtlich mit allen Wassern gewaschen war. Zunächst einmal war ihm „von der Natur jene Güte und Bescheidenheit verliehen, die bisweilen solche schmückt, die den verschiedensten Menschen stets liebreich erscheinen.“ Dann baute er sich möglichst schnell noch eine große Werkstatt auf, sodass selbst riesige Aufträge problemlos mit Gehilfen abgewickelt werden konnten. Und zu guter Letzt nutzte er für seine Kunst ganz ohne Scham die Inventionen von Kollegen – betrieb, um an einschlägige Informationen zu kommen, sogar Werkspionage. Als hinter verriegelten Türen Michelangelos Deckenfresken in der Cappella Sistina entstanden, besorgte er sich beispielsweise heimlich einen Schlüssel. Und siehe da: „Die Kenntnis der Arbeitsweise Michelangelos brachte ihn dahin, seinem Werke eine bedeutendere Größe und mehr Würde zu verleihen.“ Infolgedessen giftete Michelangelo noch Jahrzehnte danach: „Alles, was er in der Kunst vermochte, hatte er von mir.“ Aber wie dem auch sei. Damals meinten jedenfalls nicht wenige, „Raffael sei Michelangelo in der Malerei im Allgemeinen völlig ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen.“ Und absolut sicher ist: In Sachen Employability hatte Raffael ganz klar die Nase vorn.

Nicht zuletzt aufgrund seiner Soft Skills stand Raffael ab 1508 fast zwölf Jahre lang kontinuierlich in Diensten des Vatikans. Er leitete den Neubau von St. Peter, entwarf Tapisserien für die Sixtinische Kapelle. Hauptsächlich aber war er in dieser Zeit mit einer stattlichen Reihe von Fresken im päpstlichen Palast beschäftigt. Den Anfang machte die Stanza della Segnatura, in der unter anderem die berühmte „Schule von Athen“ realisiert wurde. Ende 1519 – also nur wenige Monate vor seinem Tod – kam dann ein für päpstliche Empfänge und offizielle Zeremonien bestimmter Saal an die Reihe, der mit vier Szenen aus der Legende des ersten Christenkaisers Konstantin bebildert werden sollte.

Wie Zeichnungen belegen, hat Raffael definitiv noch damit begonnen, zwei davon zu konzipieren. Zum einen Konstantins Vision eines himmlischen Kreuzes als Siegeszeichen, der zu Folge er kurz darauf unter christlicher Flagge in das alles entscheidende Gefecht gegen den Usurpator Maxentius zog. Zum anderen die nachfolgende Schlacht an der Milvischen Brücke vor Rom, die Konstantin denn auch tatsächlich – quasi mit göttlicher Hilfe – gewann. Umgesetzt wurden die Bilder allerdings erst posthum durch Raffaels Schüler Giulio Romano und Giovanfrancesco Penni. Ganz ohne Vorgaben mussten die beiden dann die Fresken zu Konstantins Taufe und Konstantins Schenkung angehen, weil diese Szenen erst 1522 / 23 nach einer Planänderung ins Programm rutschten.

Das ambitionierteste Werk der Reihe ist die Schlacht an der Milvischen Brücke. Kein Wunder. Denn hier begab sich Raffael in unmittelbare Konkurrenz zu seinen großen Rivalen Leonardo und Michelangelo, die bereits 1503 / 04 in einem viel beachteten Wettstreit monumentale Kampfszenen für benachbarte Wände der Florentiner Sala dei Cinquecento konzipiert hatten: Leonardo zur Schlacht von Anghiari, Michelangelo zur Schlacht von Cascina. Eine Welle der Begeisterung war damals durchs Land gerollt, als die Kartons für die geplanten Bilder öffentlich wurden – sodass nicht nur der gerade in Siena tätige Raffael „alle Arbeit liegen ließ, jede Bequemlichkeit vergaß“, um an den Hotspot zu gelangen. Später wurde keiner der bejubelten Entwürfe umgesetzt – Leonardo verhob sich gleich zu Beginn an farbtechnischen Experimenten, Michelangelo folgte einem päpstlichen Ruf nach Rom. Aber Fremdkopien nach den verloren gegangenen Kartons zeigen: Für Raffael hat sich die Reise anno dazumal gelohnt. Denn seine Konstantinsschlacht verbindet das Beste beider Welten: Leonardos motivische Verdichtung und Michelangelos szenische Verkettung.

Raffael
Raffael und Werkstatt, „Die Schlacht an der Milvischen Brücke“, Fresko, 1519 – 1521. © Dorotheum, Wien

Die Planungsphase für das rund 7 mal 18 Meter große Fresko, auf dem Raffael im Stile eines souveränen Massenregisseurs rund sechzig Mann und mehr als ein Dutzend Pferde in Kampfhandlungen verwickelte, muss unzählige Skizzen, Entwürfe und Studien auf Papier umfasst haben. Aber erhalten hat sich von diesem Arbeitsmaterial – wie allgemein üblich – wenig. Bis vor Kurzem wusste man lediglich von drei vorbereitenden Zeichnungen mit schwarzer Kreide: zu einem Infanteristen (Louvre, Paris), zu einem gestürzten Kavalleristen (Chatsworth House, Devonshire) und zu zwei Soldaten im Tiber, die in ein Boot zu klettern versuchen (Ashmolean Museum, Oxford) – Arbeiten, die mittlerweile alle Raffael zugeschrieben werden. Nun ist sensationellerweise ein viertes, mit Rötel gefertigtes Blatt aus diesem Kosmos aufgetaucht, das in Anbetracht des Entstehungszusammenhangs, der Strichführung und Schraffurtechnik ebenfalls von seiner Hand stammen muss.

Das Wiener Dorotheum brachte das Rarissimum, das der maßgebliche Experte Paul Joannides als Original identifiziert hat, am 25. Oktober bei 400.000 Euro zum Aufruf.

Das 22 mal 24 Zentimeter große Stück Papier zeigt Studien zu einem Pferdeauge und einem Pferdekopf, diente aber primär dazu, den strauchelnden Reiter am Flussufer zu entwickeln. Die endgültige Gestalt des Motivs ist hier schon fast – aber eben nur fast – erreicht. Denn noch hält der Soldat den Kopf, den Arm, das Schwert ein wenig anders. Außerdem fehlt die Speerspitze in der Brust des Pferdes. Solch marginale Gaps zur finalen Version an formal neuralgischen und / oder szenisch relevanten Punkten sind charakteristisch für Zeichnungen aus der Feinschliffphase eines Entwurfs – kein späterer Kopist eines abgeschlossenen Werks würde jemals auf die Idee kommen, solche Veränderungen vorzunehmen.

Weil der damals im Dunstkreis Raffaels tätige Polidoro da Caravaggio (1492 – 1543) auf der Vorder- und Rückseite einige weitere, stilistisch aber völlig differente Skizzen hinterlassen hat, war das Blatt vorübergehend in toto ihm zugeschrieben. Am 25. März 2015 kam es dann allerdings bei Christie’s Paris nur noch unter dem Stichwort „École italienne du XVIe siècle d’après Raphaël“ zum Aufruf. 1500 Euro (Taxe 2000 Euro) erzielte das Los aus der Sammlung Iohan Quirijn van Regteren Altena damals – nun hat es 338.000 eingespielt.

Zur Startseite