Die Sanierung des Schweizer Privatmuseums Langmatt soll mit Verkäufen aus dem Bestand gelingen. Das ist kein Präzendenzfall für andere Museen
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30.10.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 220
Die Grundsteine vieler großer europäischer Museen wurden von prestigebewusstem, altem Adel oder kunstsinnigem Klerus gelegt. Die Schweiz musste dafür auf den internationalen und nationalen Geld- und Industrieadel warten, der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aktiv war. (Ausnahmen bestätigen die Regel: Schon 1661 wurde die Wunderkammer des Renaissance-Gelehrten Basilius Amerbach in Basel zum öffentlichen Museum.) Neben den Winterthurer Sammlungen Oskar Reinhart „Am Römerholz“, seit 1958 Eidgenössischer Besitz, und Hedy Hahnloser-Bühlers Villa Flora, seit 2018 dem Kunst Museum Winterthur angegliedert, ist das Museum Langmatt in der Aargauer Stadt Baden rund 20 Kilometer nordwestlich von Zürich eine solche „industrieadlige“ Gründung.
In den Jahren 1900/1901 entstand der gründerzeitliche Fachwerkbau nach den Vorstellungen des Elektroingenieurs und Lebemanns Sidney Brown aus der Dynastie des Badener Elektrotechnikkonzerns Brown, Boveri & Cie (heute ABB) und seiner Gemahlin Jenny Brown-Sulzer, die der Winterthurer Industriellenfamilie Sulzer entstammte. Angeführt von Jenny begeisterten sich die beiden spontan für die Münchener Secession und erwarben mehrere Großformate von Franz von Stuck, Leo Putz und Julius Exter. Kaum war der dafür errichtete Galerieanbau voll, entdeckte das Paar auf seinen Frankreich-Reisen die Malerei des Impressionismus.
So trugen die Browns zwischen 1908 und 1919 Werke von Cézanne, Monet, Gauguin, Renoir, Mary Cassatt, Pissarro und Sisley zusammen – und damit den impressionistischen Kernbestand, der die herausragende Bedeutung der Sammlung Langmatt ausmacht. Von 1920 an wandten sie sich den Vorreitern des Impressionismus zu, von Pleinairisten und Barbizonisten wie Boudin und Corot bis zu Fragonard.
Ihr Sohn, Dr. John Alfred Brown, starb 1987 kinderlos und vermachte die über 50 Gemälde der elterlichen Sammlung zusammen mit der Villa Langmatt der Stadt Baden. Seinem Wunsch folgend errichtete Baden eine Stiftung mit dem Hauptzweck, „die Villa Langmatt mit Park und Kunstsammlungen der Stadt Baden zu erhalten und der Öffentlichkeit als Museum zugänglich zu machen“. Ihr Auftrag zur epochengetreuen Erhaltung der Sammlung im originalen Rahmen bescherte dem Museum Langmatt seine Sonderstellung als rare Möglichkeit, Impressionisten live zu erleben. Und Dr. Markus Stegmann, seit 2015 Direktor des Museum Langmatt, bringt diese Sonderstellung zu voller Geltung und Wirkung.
Zu den zahlreichen Sonderausstellungen mit neuer Kunst kommen Initiativen wie Touren durch die Fauna und Flora des Langmatt-Parks, die familienfreundliche Ostereiersuche oder die Oldtimertreffen mit dem Schweizer Aston Martin Owners Club, in Erinnerung an die Motorsportbegeisterung von Sidney und Jenny Brown-Sulzer. Mit dieser Angebotsbreite schaffte Stegmann eine Verbundenheit zwischen dem Museum und der Badener Bevölkerung, wie sie nur wenige Kulturinstitutionen leben. Unter seiner Leitung verdreifachte sich die Besucherzahl auf fast 20 000 Besucher pro Jahr, womit allerdings eine logistische Grenze erreicht ist.
Stegmann hatte schon bei seinem Amtsantritt erkannt, dass die über 120-jährige Museumsinfrastruktur dringend und umfassend erneuert werden muss, von den Gebäuden selbst bis zu deren Anpassung an aktuelle Standards bei Sicherheit, Barrierefreiheit und Energiehaushalt, was knapp 20 Millionen Franken kosten soll. Dass die Stimmbürger der Stadt Baden am 18. Juni mit 4637 Ja- und 1214 Nein-Stimmen den Kredit für den auf die Stadt entfallenden Anteil von 10 Millionen Franken bewilligten, erinnert an das „Wunder von Basel“: 1967 hatten die Basler Bürgerinnen und Bürger einem Rettungskredit über 6 Millionen Franken zugestimmt, um den Verbleib zweier Picasso-Werke im Basler Kunstmuseum zu sichern. Voraussetzung für diesen Renovierungsbeitrag ist, dass die Langmatt-Stiftung ihr eigenes, von Beginn an zu knappes Stiftungsvermögen so aufstockt, dass dessen Ertrag die künftigen Betriebskosten des Museums langfristig deckt, wofür bei einer Ertragskraft von 2,5 Prozent pro Jahr 40 Millionen Franken erforderlich sind.
Nach erfolgloser Prüfung anderer Möglichkeiten entschloss sich der Stiftungsrat zum Verkauf von – höchstens – drei Werken, die erst 1933 im französischen Handel angekauft worden waren. Sie kommen nun im November in New York zur Auktion. Dass damit Christie’s beauftragt wurde, ist ein Erfolg seiner Zürcher Niederlassung unter der Leitung von Jutta Nixdorf, unterstützt vielleicht durch den Christie’s-Strategen Dirk Boll, der sich mit Museumsverkäufen und deren Tücken auskennt.
Zur Bestandsschonung wird dabei übrigens nur so lange versteigert, bis das vorgegebene Betragsziel von 40 Millionen Franken erreicht ist. Nur wenn das teuerste, auf 35 bis 55 Millionen Dollar (32 bis 50 Millionen Franken) geschätzte Bild der Auswahl, Cézannes um 1890 bis 1893 gemaltes Früchtestillleben „Fruits et pot de gingembre“, dieses Ziel verfehlt, kommen sein Apfelstillleben „Quatre pommes et un couteau“ von 1885 und seine zwischen 1878 und 1879 gemalte Fischerdorfansicht „La mer à l’Estaque“ mit Schätzungen von 7 bis 10 Millionen und 3 bis 5 Millionen Dollar zum Ausruf. Rein mengenmäßig führt dieser Rettungsverkauf also zu einer Bestandsminderung von 2 bis höchstens 6 Prozent.
Dass dieser Rettungsverkauf ein Vorbild dafür liefert, wie künftig auch andere Museen zu Bestandsverkäufen gezwungen werden könnten, hält Stegmann schon deshalb für unwahrscheinlich, weil es kaum andere Museen in so prekärer Situation mit vergleichbar wertvollem Bestand gebe. Dass sich das Badener Museum aus eigener Kraft vor dem Untergang retten kann, betrachtet er daher eher als Glücksfall denn als Präzedenzfall.