Der Autodidakt Alfred Otto Wolfgang Schulze alias Wols war ein Pionier der Nachkriegs-Abstraktion. Auf dem Kunstmarkt steigen für seine Zeichnungen die Preise. Doch wie belastet ein Fälschungsverdacht das Angebot?
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31.07.2023
Seinen Künstlernamen verdankte der als Alfred Otto Wolfgang Schulze geborene Fotograf, Zeichner und Maler Wols (Berlin 1913 – 1951 Paris) angeblich dem Hörfehler einer Telefonistin. Karriere machte er in Paris, wohin er 1932 emigrierte. Längst wird der Autodidakt als Wegbereiter des Tachismus und Informel gewürdigt, doch vor seinem späten Erfolg war sein Leben verdunkelt von Flucht, existenzieller Not, Sucht und Krankheit. Sein plötzlicher Ruhm kam erst mit der Hinwendung zur Malerei, doch den weitaus größten Teil seines Œuvres nimmt das Medium der Zeichnung ein.
Zum Werkumfang gibt es durchaus unterschiedliche Angaben. In seiner 2003 erschienenen Monografie zu den Papierarbeiten des Künstlers erfasste Philipp Gutbrod 843 als authentisch eingestufte Blätter, weitere 222, die er in Zweifel zog und erkleckliche 450 Fälschungen. Bei dieser Einteilung stützte er sich auf den nie erschienenen Werkkatalog seines Onkels Werner Haftmann, dem künstlerischen Leiter der drei ersten Documenta-Schauen, auf denen auch Wols vertreten war. Anlässlich der ihm gewidmeten Ausstellung „Histoires naturelles“ im Pariser Centre Pompidou von 2020 kam Bettina Wohlfahrt dagegen auf 910 Aquarelle und 170 Zeichnungen, von denen sich rund zehn Prozent in öffentlichen Sammlungen befinden. Problematisch sind jedoch nicht allein die widersprüchlichen Angaben zu den Stückzahlen oder die hohe Anzahl unverifizierbarer Blätter: Gutbrod hatte unverblümt eine „Fälscherwerkstatt“ vermutet, die Wols’ Witwe Gréty und ihr letzter Mann Marc Johannès betrieben hätten. Dabei bezog er sich auf eine Beobachtung Haftmanns, der die unternehmende Witwe „beim Malen à la Wols“ gesehen haben soll.
Im Juni 2011 betraute der Erbe Marc Johannès’ das Pariser Auktionshaus Aponem mit der Versteigerung von Wols’ künstlerischem Nachlass, zu dem neben sieben Gemälden 118 Aquarelle und Zeichnungen gehörten. Den höchsten Erlös brachte damals mit 120.000 Euro ein als „Letzte Gouache“ bezeichnetes Blatt von 1951 (zweifellos eine aufwertende Maßnahme der Verkäufer, denn Wols selbst hatte keine seiner Arbeiten mit Bildtiteln versehen). Mehrere der angebotenen Lose waren bei Gutbrod als Fälschungen gelistet. Ein weiteres Indiz für die Anfechtbarkeit wenigstens einiger der Positionen könnte sein, dass der Einlieferer für das umfangreiche Konvolut nicht das Parkett internationaler Häuser suchte – was angesichts einer Gesamttaxe von rund 5 Millionen Euro naheliegend gewesen wäre – sondern stattdessen einen lokalen Anbieter mit der Vermarktung beauftragte.
Diesem Verdacht widersprach allerdings im Vorfeld der Auktion ein weiterer Kenner des Pariser Tachisten: In einem Interview mit der Zeitung Die Welt erinnerte sich der Kunsthistoriker und Händler Ewald Rathke, dass seit den späten Fünfzigerjahren mehr und mehr Fälschungen auf den Markt gelangten. Von Aponem war er für die Begutachtung der Arbeiten hinzugezogen worden, sah in diesem Fall allerdings keinen Grund, ihre Echtheit in Frage zu stellen. Er räumte jedoch ein, dass manches nachträglich koloriert und so für den Verkauf optimiert worden sei. Auch einige Bestätigungen durch die Ehefrau zog er in Zweifel, hielt es aber für ausgeschlossen, dass diese handwerklich in der Lage gewesen sei, den Stil ihres Mannes auf professionellem Niveau zu kopieren. Doch was bedeutet diese Einschätzung für den Umgang mit dem Rest der Offerte?
Letzte Sicherheit bieten neben entsprechenden Gutachten nur Ausstellungsprominenz und die Erwähnung in der Literatur. Das auffällige Preisgefälle ist zum Teil auch damit zu erklären. 125 Lose wurden seit 2013 versteigert; wenn man die Aponem-Auktion herausrechnet, entspricht das in etwa dem Umfang der Offerte in der vorigen Dekade. Allerdings haben sich seither die Verkaufschancen drastisch verschlechtert: Während zuvor nicht einmal jedes fünfte Blatt liegenblieb, mussten sich die Einlieferer seither darauf einstellen, auf der kleineren Hälfte ihrer Ware sitzenzubleiben; seit 2019 sind es sogar 55 Prozent. Hat die 2011erneut angefachte Echtheits-Debatte gerade im Segment der Zeichnungen die Käufer zu größerer Vorsicht veranlasst? Offenbar nicht ganz, denn was verkauft wurde, ist zum Teil deutlich teurer geworden. Zwar stiegen Verzweiflungszuschläge unter 2000 Euro von einem auf zehn Prozent, doch insgesamt sank der Anteil der Transaktionen im vierstelligen Bereich von 37 Prozent auf etwas mehr als ein Viertel. Entsprechend verteuerten sich gesuchte Qualitäten. 18 statt zuvor nur acht Prozent der Lose wurden mit mehr als 50.000 Euro bewertet, und fünf überwiegend in die späten Vierzigerjahre datierte Blätter durchbrachen die Schallmauer von 100.000 Euro, was vor 2013 nur zweimal gelungen war.