Karl Hagemeister

Silberpappeln und Wellenkämme

Auf dem Auktionsmarkt haben die Werke des Landschaftsmalers Karl Hagemeister in den letzten zwei Jahren eine Aufwertung erlebt, die bei der Kunst des 19. Jahrhunderts nur selten zu beobachten ist. Wie kam es dazu?

Von Michael Lassmann
23.08.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 13/22

Der Landschaftsmaler Karl Hagemeister (Werder 1848 – 1933) wurde von Zeitgenossen als Prototyp des Einzelgängers und Künstler-Eremiten beschrieben. Er selbst wirkte an der Legendenbildung fleißig mit und behauptete in seinen Erinnerungen, „keine Akademie besucht, kein Vorbild gehabt, keine Richtung verfolgt, sondern mich nur durch Naturstudien weiterentwickelt“ zu haben. In Wirklichkeit hatte er zwei Jahre bei Friedrich Preller d. Ä. in Weimar studiert; auf einer von diesem angeregten Studienreise nach Rügen entdeckte er die schroffe Schönheit der Ostseeküste, die in seinem späten Schaffen so viel Raum einnahm. Preller brachte ihm auch die Barbizonisten nahe, die im subjektivierten, intimen Naturerlebnis wie in der beiläufigen Wahl des oft eng gefassten Bildausschnitts unleugbar auf seine Landschaftsauffassung wirkten. Ein Italienaufenthalt blieb folgenlos, wichtiger wurden für ihn die Impressionisten, die er 1884 auf einer Frankreichreise mit seinem Freund und Mentor Carl Schuch studieren konnte. Wohl unter Manets Einfluss überwand er die gediegene Tonigkeit seiner Palette und fand zu einer frischeren, aus der unmittelbaren Wahrnehmung des Lichts gewonnenen Farbigkeit. Das kostete ihn die langjährige Freundschaft mit Schuch, der ihn für seine Neuorientierung mit dem endgültigen Bruch bestrafte.

Hagemeister kehrte allein in die Heimat zurück und lebte zunächst in Ferch und im Entenfang, bis er nach dem Tod seiner Mutter wieder sein Elternhaus in Werder bezog. Versuche in der Figurenmalerei blieben Episode, und so konzentrierte er sich wieder ausschließlich auf Landschaften. Seine jährlichen Aufenthalte in Lohme an der Ostküste Rügens zwischen 1908 und 1915 setzten in seinem Schaffen eine weitere Zäsur: Unter dem andersartigen Eindruck der dortigen Landschaft wie wohl auch der japonisierenden Mode der Zeit entstanden nun expressive, in der Flächenbetonung straff zusammenfassende Landschaften und Wogenbilder. Eine schwere chronische Erkrankung zwang ihn, seinen Beruf um 1917 endgültig aufzugeben.

Karl Hagemeister Birken am Bach Dr. Fischer
Die eng in den Bildausschnitt gerückten „Birken am Bach“ vervierfachten im Juni bei Dr. Fischer in Heilbronn mit einem Höchstgebot über 40.000 Euro den Taxwert. © Dr. Fischer, Heilbronn

Auf dem Auktionsmarkt hat Hagemeister in den letzten zwei Jahren eine Aufwertung erlebt, wie sie im Segment des 19. Jahrhunderts nur selten zu beobachten ist. Wesentliche Impulse für diese Entwicklung und wohl auch für die Motivation der Akquise gab sicher die ihm gewidmete Potsdamer Ausstellung von 2020. Mit 96 Losen nahm die Offerte seit 2012 um 20 Prozent zu, trotzdem konnte der Anteil der erfolgreichen Transaktionen im gleichen Zeitraum von ohnehin respektablen 74 auf 95 Prozent gesteigert werden. Die gewachsene Nachfrage spiegelt sich auch in der Preisentwicklung. Die Quote der Abschlüsse bis 5000 Euro, die zuvor noch 25 Prozent betragen hatte, konnte halbiert werden, entsprechend akzeptierten 70 Prozent der Käufer nun mindestens fünfstellige Preise. Zum Vergleich: Vor 2012 hatte sich nur jeder Vierte in diesen Bereich bequemen müssen. Besonders augenfällig ist die rasante Verteuerung im oberen Preissegment. Nachdem in den Nullerjahren lediglich ein Gemälde mit mehr als 50.000 Euro bewertet wurde, gelangten in der zurückliegenden Dekade bereits 16 Lose über diese Hürde – bis auf zwei Ausnahmen alle erst in den letzten 24 Monaten! Zusätzlich getriggert wurde der rasante Kursanstieg durch die Erfolgsserie bei Ketterer, München, wo 2020 erstmals vier Zuschläge über 100.000 Euro gelangen und damit jedenfalls vorerst ein neues Preisniveau etabliert werden konnte.

Angesichts der noch frischen Entwicklung scheint seitens der Käufer derzeit noch nicht entschieden, wofür man auch künftig getrost etwas tiefer in die Taschen greifen darf. An der Preisspitze finden sich Datierungen aus dem 19. ebenso wie aus dem 20. Jahrhundert, und neben den begehrten Brandungen gefielen auch meditative Uferlandschaften und herbstliche oder winterliche Waldinterieurs. Wer Dekoratives in repräsentativen Abmessungen anbieten kann, darf sich meist auf ein gutes Geschäft freuen. Im Ausland allerdings scheint man dem aktuellen Trend noch nicht ganz zu trauen; das einzige Los, das jemals auf einer britischen Auktion irrlichterte, wurde nach zwei vergeblichen Versuchen schließlich erleichtert für ein paar Hundert Pfund abgegeben. So bleibt die Wertschätzung Hagemeisters bis auf Weiteres ein Phänomen des deutschen Markts, wo unverändert nahezu 100 Prozent der Ware umgeschlagen werden.

Karl Hagemeister Waldweiher Ketterer
Das Bietgefecht um den um 1884 entstandenen „Waldweiher“ endete im Juli 2020 bei Ketterer in München erst bei 175.000 Euro – die Erwartungen hatten bei 35.000 Euro gelegen. © Ketterer, München

Ein verheißungsvoller Wert gelang bei Jeschke / Van Vliet, Berlin, gleich zu Beginn des letzten Jahrzehnts: Dort hatte man den Wert des großformatigen Stimmungsbilds „Silberpappeln, Märkische Uferlandschaft“ von 1902 zwar nur mit 18.000 Euro beziffert, den Zuschlag jedoch erst bei 61.000 erteilen können. An solche Preise war das Publikum damals offenbar noch nicht hinreichend gewöhnt, und so gelang erst im Juni 2015 bei Van Ham, Köln, wieder ein vergleichbares Ergebnis. Eine 1912 datierte bewegte See mit dem anekdotischen Titel „Schwerer Nordwest“ wurde dort von 25.000 auf 60.000 Euro gehoben.

Nächste Seite