Nusch Éluard und der Surrealismus

Optiken des Unbewussten

Nusch Éluard gilt als „Muse“ der Surrealisten. Auf dem Auktionsmarkt sind sowohl ihr eigenes zeichnerisches Werk als auch die Fotografien gefragt, die Dora Maar und Man Ray einst von ihr schufen

Von J. Emil Sennewald
14.07.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 11/22

Rosalind Krauss zitiert den Surrealisten-Chef André Breton in ihrer 1993 vorgelegten Untersuchung zur Lust-Matrix moderner Bildwelten (Das optische Unbewusste) wie folgt: „Schönheit wird konvulsivisch sein oder sie wird gar nicht sein“. Und tatsächlich windet und verbiegt sich Nusch meist auf Man Rays Bildern. Oder sie wird in solarisierten Aktbildern von massiven Schatten wie ein wertvolles Juwel eingefasst. Die spätere sexuelle Befreiung vorbereitend, sollte die Kunst – Breton zufolge – die ganze Welt in Lust-Bereitschaft, in eine (freilich von Künstlern eingerichtete) Freiheitszone des Sinns wie der Sinne verwandeln. Paul Éluards Zeichnung einer Weltkarte, auf der die Kontinente wie lustvoll fließende Amöbenkörper aneinanderstoßen und die er mit „ein Paul Éluard ohne Sinn und Verstand“ signierte, mag das ebenso verbildlichen wie „Zurück zur Vernunft“ – Man Rays Fotografie eines von Schatten wie von kartografischen Höhenlinien überlaufenen Frauentorsos aus dem Jahr 1923. Éluards Karte wurde 2015 bei Christie’s Paris aus der berühmten Surrealismus-Sammlung von Myrtille und Georges Hugnet mit 1100 Euro nur knapp über die ohnehin schon niedrige Taxe von 800 Euro gehoben. Rays Fotografie, 1991 abgezogen, kam am 8. Juni bei Bassenge für 400 Euro zum Aufruf.

Die Surrealistinnen spielten dabei das „Objekt“, doch nicht als Opfer – vielmehr ging es ihnen um das Ausloten neuer Freiräume und Wünsche. Lee Millers 1937 aufgenommene Fotografie von Nusch, Paul, Man Ray, Roland Penrose und Adrienne „Ady“ Fidelin beim Picknick im Freien zeigt die beiden Damen barbusig, als begehrenswerte Körper. Gleichwohl ist der Bildraum – nicht zuletzt durch das Spiel der Blicke – in Anspielung auf Manets und Monets Gemälde „Déjeuner sur l’herbe“ organisiert. Geht es hier also um die Unterwerfung des Mannes durch die Frau, die ihn de facto qua lüsternem Blick – nur scheinbar unterwürfig – unterwirft? Ganz so banal ist es aber auch wieder nicht – zum Cadavre exquis wird der Frauenkörper nämlich erst durch die Sublimierung in der Fotografie. Und so dürfte es die entscheidende Leistung des Surrealismus sein, erkannt und ausgeschöpft zu haben, dass fotografierte Körper durch ihre Verwandlung zum Bild per se Körper der Seh-Lust sind. Damit zu spielen, daraus ästhetischen Mehrwert zu ziehen, verstanden Männer wie Frauen dieser Kunstrichtung.

Davon zeugen auch die 750 Fotografien von Dora Maar – einer engen Freundin Nuschs –, die Ende Juni in Paris bei Artcurial zur Auktion kamen. Ein Bild vom Strand bei Antibes aus dem Sommer 1937 zeigt Nusch barbusig. Sie senkt den Blick und lächelt – allerdings weniger inszeniert als in den Arbeiten Man Rays. Vielmehr wirkt sie vom Bild selbst entblößt – und so im Grunde natürlich. Dann fällt ein Detail ins Auge: Der Schatten ihres Gesichts zeichnet in ihrem Dekolleté gewissermaßen eine dritte, umgedrehte Brust. Eine Aufnahme in Mougins im Sommer 1937 zeigt Nusch erneut verschmitzt lächelnd, allerdings ist sie diesmal bekleidet. Hier wirkt ein Lichtreflex hinter ihrem Kopf wie ein Heiligenschein.

Auch Dora Maar, die immer wieder Puppen oder Frauen als Puppen abbildete, trieb mit dem optischen Unbewussten also Schabernack – oder trieb das optische Unbewusste Schabernack mit ihr? Nur ein Strandbild, das Nusch auf dem Bauch zeigt – Kopf und Schultern unterm Sonnenschirm –, scheint davon frei zu sein. Doch auch dieses, bei 6500 Euro zugeschlagene Los lebt im Reich des Imaginären. Denn Nusch „blickt“ dennoch in die Kamera: Und hinter ihren halb verschlossenen Lidern spinnen sich die Bilder weiter – gleichsam als Traum.

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