Die kanadische Malerei der Moderne ist umsatzstark, auch wenn der Markt für die Landschaftskunst weitgehend national begrenzt ist. Millionenpreise sind dennoch möglich
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30.06.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 12
„Wir haben im Ausland ausgebildete Maler, die kanadische Landschaften malen. Wir haben kanadische Maler, die ausländische Landschaften malen. Aber Künstler mit dem Geist von Kanadas Jugend im Herzen, wild, unabhängig, stark und frei von allen Konventionen, wo sind sie?“ So klagte 1904 das Saturday Night Magazine in Toronto. Denn Kanada erwies sich als eine „verspätete Nation“, wenn es um das künstlerische Selbstbewusstsein ging. Erst um 1920 änderte sich das, als sich die „Group of Seven“ bildete.
Das erzählt aktuell die Ausstellung „Magnetic North – Mythos Kanada in der Malerei 1910 – 1940“ in der Frankfurter Schirn mit rund 80 Gemälden aus Museen in Ottawa und Toronto sowie einigen Filmen. Der Titel spielt mit dem Begriff des magnetischen Nordpols, dessen Koordinaten sich sukzessiv ändern; und mit dem Traum von einer unberührten, ursprünglichen Natur im Norden des Landes, den die Maler in Bildern beschworen. Meist menschenlos und scheinbar fern jeglicher Zivilisation. Natürlich schwingt da auch jenes „True North“ mit, das in Anlehnung an ein Gedicht von Alfred Lord Tennyson in der kanadischen Nationalhymne ein Synonym für das Land ist (und 1991 Titel einer ähnlichen Ausstellung im Barbican in London war).
Andernorts hatten sich bereits vor der Jahrhundertwende Malerschulen herausgebildet, die die schönen Künste als ein Zeugnis der nationalen Eigenart und Einzigartigkeit verstanden wissen wollten. Nicht mit der Überhöhung der Geschichte mittels der Historienmalerei, die ihre akademische Macht als höchste Stufe malerischen Ausdrucks einzubüßen begann, sondern mit dem „Entdecken der Landschaft“. In Frankreich begann das mit dem Realismus der Schule von Barbizon und setzte sich mit der Lyrik des Impressionismus fort. In Amerika huldigten Maler wie Albert Bierstadt, Frederic Edwin Church, Thomas Cole der Landschaft zwischen Zivilisation und Wildnis als Grenze einer ursprünglichen und zugleich erobernswerten Natur – auch wenn der Name „Hudson River School“ von der Bindung an den Osten des Landes sprach.
Nicht zufällig beauftragten die jungen Eisenbahngesellschaften in den 1850er-Jahren Georges Inness und Asher Brown Durand, das Vordringen der Technik nach Westen als harmonische Begegnung zu malen. In Abramzewo träumte man vom alten Russland jenseits der Petersburger Westlerei, während die Peredwischniki mit ihrem Realismus das Land und seine Menschen adelten. Die „Heidelberg School“ in Australien wollte abseits der internationalen Trends „eine Malerei schaffen, die eindeutig australisch sei“. In Deutschland hofften die Künstlerkolonien in Worpswede und Dachau auf eine Erneuerung der Kunst durch die Rückbesinnung auf die Scholle – oft mit betont nationaler Frontstellung gegen den Einfluss der Franzosen. Otto Modersohn und Hans Thoma stehen beispielhaft für diese „Heimat-Malerei“.
Ein ähnlich romantisches Bild charakterisiert die Ausstellung in Frankfurt – wenngleich mit malerischen Elementen, in denen der Spätimpressionismus dem Expressionismus, aber auch der Neuen Sachlichkeit begegnete. Vergleichbar mit den amerikanischen Regionalisten – Benton, Hartley, Wood, Burchfield – die damals das wahre Amerika, jedoch bevölkert und bewirtschaftet, in den Farmen des mittleren Westen sahen. Kanada erscheint auf den Gemälden und Skizzen in der Schirn dagegen als ein Land der unberührten Wälder und der Einsamkeit, geprägt von der Kraft der Elemente – obwohl das Motiv-Repertoire der Künstler keineswegs so einseitig war wie es diese Auswahl vorführt. Nur beiläufig kommen mit einem Biberdamm oder Elchen bei Nacht Tiere beziehungsweise ihre Spuren ins Bild. Das Gleiche gilt für Menschen, auf deren Anwesenheit nur ein Kanu, geschlagenes Holz oder ein paar Häuser verweisen. Die wenigen Gemälde mit Industrieansiedlungen bilden lediglich ein Zwischenspiel, ehe die Auswahl mit Hymnen auf einsame Bäume und die Faszination des Nordlichts ausklingt. Infolgedessen wirken die Wand- und Begleittexte mit ihrem Wenn und Aber zu Kapitalismus, Ausbeutung der Natur und der Rohstoffe, der kolonialistischen Inbesitznahme des Landes und der Unterdrückung der „First Nations“ etc. denunzierend, weil sie den Malern vorwerfen, nicht das gemalt zu haben, was sie aus heutiger Sicht hätten malen sollen.
Das aber entsprach nicht den Vorstellungen der Gruppe von einer kanadischen Kunst. Allerdings entbehrt es nicht einer gewissen Ambivalenz, dass nur vier der Maler – Franklin Carmichael, Lawren Harris, A. Y. Jackson und Frank Johnston – in Kanada geboren wurden, während die anderen drei – Arthur Lismer, J. E. H. MacDonald und Frederick Varley – aus Großbritannien kamen. Vier von ihnen hatten in Antwerpen, Berlin und Paris studiert, fünf anfangs als Werbegrafiker bei der Agentur „Grip“ in Toronto ihr Brot verdient. Sie entstammten also einem städtischen Milieu und waren mit der Kunst ihrer Zeit vertraut. Doch ihr Ideal war ein urwüchsiges, wild schönes, noch nicht durch die Zivilisation entfremdetes Land – und ein freies, ungebundenes Leben. Tom Thomson beispielsweise, den sie bei „Grip“ kennengelernt hatten, ging in den Sommermonaten in den Norden des Landes, in die Wildnis des Algonquin Provincial Park, arbeitete dort gelegentlich als Ranger und Fremdenführer – vor allem aber malte er kleinformatige Landschaftsskizzen vor der Natur. Expressiv und magisch, der Wirklichkeit abgeschaut, aber nicht die Wirklichkeit kopierend. Weil er 1917, noch bevor sich die „Group of Seven“ formiert hatte, bei einer seiner einsamen Kanufahrten im Canoe Lake ertrank, entstanden um seinen Tod allerhand Mythen, konnte er zu einer Art Übervater werden.
Das kann durchaus mitbewirkt haben, dass eine in seinem Todesjahr angefertigte Skizze einer verschneiten Ansicht dieses „Canoe Lake“ im November 2009 mit 1,5 Millionen Euro zu seinem besten Auktionserlös wurde: bei Heffel Fine Art Auction House in Toronto, das unangefochten den Markt der „Group of Seven“ beherrscht. Zwar hatte Sotheby’s sich 2001 mit dem Auktionshaus Ritchie zusammengetan, um zweimal im Jahr gemeinsam kanadische Kunst anzubieten – und angeblich hatte man zuletzt einen Marktanteil von 23 Prozent. Doch das war wohl mehr Wunsch als Wirklichkeit. 2009 löste Sotheby’s die Verbindung, als Ritchie seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen konnte und Pleite ging. Sotheby’s anschließender Versuch, auf diesem Feld in Kanada allein aktiv zu werden, war kein Erfolg beschieden.
Der Markt der „Group of Seven“ und der ihnen verbundenen Künstler ist ein ausgeprägt nationaler Markt. Das wissen auch Fälscher zu schätzen, wie sich 1961/62 herausstellte. Damals titelte das Magazin MacLean’s: „Canadian Art’s Biggest Mystery: Where Do All Those Fakes Come From?“ Thomson, MacDonalds, Emily Carr führen die Liste der bevorzugt Gefälschten an, obwohl – oder weil? – sie nicht die am höchsten bezahlten Maler sind. An der Spitze steht Lawren S. Harris, von dem 13 Gemälde in Frankfurt hängen. Vorwiegend sind es seine arktischen Motive, Eisberge, die in einer strengen, flächigen Malweise die Natur formalisieren und monumentalisieren. Wie das Gemälde „Mountain forms“ von 1926, das 2016 mit 6,6 Millionen Euro (jeweils ohne Aufgeld) bei Heffel Fine Art das teuerste Werk eines Malers der Gruppe wurde. Mit gut einem Dutzend Zuschlägen über einer Million überragt Harris die anderen erheblich. Emily Carr, die in späteren Jahren mit der „Group of Seven“ ausstellte, kam mit ihren Gemälden – deren Zentrum oft mächtige dunkle Totempfähle bilden, oder Bäume, die von einer Aura mystisch überstrahlt werden – einmal auf zwei Millionen Euro und wiederholt auf mehr als eine Million. Thomson wurde dreimal für mehr als eine Million zugeschlagen, was für Ölskizzen mit nur 22 mal 27 Zentimetern – der Größe seines Malkastens geschuldet – ein beachtlicher Preis ist.
33 sind davon neben drei größeren Formaten in der Schirn aneinandergereiht. MacDonald erreichte, wie auch die anderen der Gruppe, gelegentlich hohe sechsstellige Zuschläge. Doch in aller Regel liegen die Preise für Gemälde der „Seven“ eher im fünf- und hohen vierstelligen Bereich. Da allerdings mit beachtlichen Umsätzen. Artprice verzeichnet bei Gemälden für Jackson 1363 Auktionsangebote, bei Frank Johnston, der in Frankfurt nicht dabei ist, sind es 753, bei Harris 515, bei Lismer und Thomson jeweils 430 und bei Carr 280. Die Käufer beschränken sich auf Kanada und die USA.
Und die Kenner offensichtlich auch. Als die Schirn vor drei Jahren die „Wildnis“ erkundete, war Kanada noch eine Terra incognita, hörte Amerika an den Großen Seen auf. Genauso wenig kommt die „Group of Seven“ in der voluminösen Geschichte der Landschaftsmalerei von Nils Büttner von 2006 vor. Die „Bilder aus der Neuen Welt“ beschränken sich bei ihm auf die „Hudson River School“ und die Regionalisten. Die Anziehungskraft des „Magnetic North“ sollte jedoch nicht unterschätzt werden – wenn man Bilder entdecken will, oder die Wildnis, oder einen Mythos. Also Kanada mit der Kunst und in der Kunst. Denn wie die zweifach mit Bookerpreis ausgezeichnete Margaret Atwood aus Ottawa meinte: „Es ist leichter für mich, für immer hier / mich zu verirren als in anderen Landschaften“.
„Magnetic North – Mythos Kanada in der Malerei 1910 – 1940“,
Schirn Kunsthalle, Frankfurt,
bis 29. August 2021
Katalog 35 / 49 €,
Prestel-Verlag, München,