Jubiläumsauktion bei Reiss & Sohn

Analoge Anmut

Seit einem halben Jahrhundert versteigert Reiss & Sohn bibliophile Schätze vom Mittelalter bis zum Computerbuch der Gegenwart. Nun findet in Königstein die Jubiläumsauktion statt

Von Frank G. Kurzhals
22.04.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 183

Die Landkarte der Buchliebhaber ist anders kartografiert. In ihrer Welt hat das kleine Taunusstädtchen Königstein eine Hauptstadtfunktion. Hier sitzt das Buch- und Grafikauktionshaus Reiss & Sohn, das mit einem aktuell besonders verlockenden Angebot sein 50-jähriges Jubiläum feiern kann. Aus aller Welt kommen Interessenten, um vor den Auktionen in den angebotenen Werken zu blättern, denn die Haptik spielt bei Büchern eine wichtige Rolle. Die Auktionen haben Titel wie Bücher, etwa „Von den Alpen zum Himalaya“ zum Thema Reiseliteratur, „Wirtschaft und Staat“ oder „Bismarck und Luther“. Das macht neugierig und ordnet das Angebot zugleich in sinnvolle Cluster.

Bei der Luther-Auktion vor vier Jahren erhielt die Erstausgabe seiner „95 Thesen“ mit 1,1 Millionen Euro den höchsten Auktionszuschlag für ein gedrucktes Buch im deutschen Auktionshandel. Zu weiteren Highlights aus dem breiten Spektrum zählen die Erstausgabe von Karl Marx’ „Das Kapital“ zum Zuschlag von 60 000 Euro und Thomas Robert Malthus’ „An Essay on the Principle of Population“ für 80 000 Euro.

Reiss war in den Adressbüchern der Bibliophilen schon eine feste Größe, als das Wort „Sohn“ noch nicht den Firmennamen ergänzte. Clemens’ Vater Godebert führte die Geschäfte seit der Gründung des Unternehmens 1971 in der Gutenberg-Stadt Mainz. 1989 fand der Umzug ins malerische Königstein statt – verkehrsgünstig gelegen für internationales Publikum, denn die Taunusstadt ist keine dreißig Kilometer vom Frankfurter Flughafen entfernt. 2002 übernahm Clemens Reiß die Geschäfte, nachdem er Ausbildungsstationen in München, Frankreich und England absolviert hatte. Die Zeit in Paris und London, sagt er, habe nicht nur sein Netzwerk erweitert. „Die Sprachen und Mentalitäten kennenzulernen war für mich dabei mindestens ebenso wichtig“, erinnert sich Clemens Reiß.

Reiss & Sohn Buchauktion Sachsenchronik
Die Sachsenchronik von 1492 ist auf 30.000 Euro taxiert. © Reiss & Sohn, Königstein im Taunus

Sein Interesse für den Handel mit antiquarischen Büchern wurde in jungen Jahren geweckt: „Schon als Kind durfte ich bei Auktionen mithelfen, zum Beispiel die Auktionsprotokolle durch den Saal nach hinten zur Rechnungsstellung tragen. Das ging deswegen besonders gut, weil ich ja noch klein war und damit die Auktion nicht störte. Ich habe also schon früh Auktionsluft schnuppern können.“ So begann die Leidenschaft für alte Bücher, auch durch unzählige Gespräche am Esstisch der Familie, zu glimmen.

Mit elf festen Mitarbeitern wurden seitdem so illustre Kunden wie Umberto Eco bedient oder die Botanische Bibliothek der Könige von Hannover mit über 700 Positionen bearbeitet. Auch die Buchsammlung des ehemaligen Vorsitzenden des Unternehmens Robert Bosch, Hans L. Merkle, wurde Reiss anvertraut. Die Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek Donaueschingen mit mehreren Tausend Bänden war eine besonders große Herausforderung, sie wurde über einige Jahre gestreckt versteigert, um die Mengen an Büchern bewältigen zu können.

Aktuell, zur Jubiläumsauktion „50 Jahre Reiss & Sohn, 1971–2021“ im April, werden drei Schwerpunkte offeriert: Druckwerke und Handschriften vom Mittelalter bis zur Moderne, hochwertige bibliophile Einzelstücke und das Thema Geografie und Reisen mit Atlanten einschließlich Fotografie und dekorativer Grafik vom 15. bis zum frühen 20. Jahrhundert.

Auch diese Auktion dürfte wieder reich an Trouvaillen sein. So wird ein opulent mit Holzschnitten illustriertes altkoloriertes Exemplar der Sachsenchronik von 1492 sicher viele Interessenten locken, der Schätzpreis liegt bei 30 000 Euro. Für die Bände 3 und 4 des berühmten „Theatrum urbium celebriorum totius Belgii sive Germaniae inferioris“ von J. Janssonius mit mehr als hundert altkolorierten Kupferansichten belgischer und niederländischer Städte, entstanden 1657, werden 75 000 Euro erwartet. Zu den prächtigsten botanischen Publikationen des 18. Jahrhunderts zählt C. J. Trews „Plantae ­selectae“ mit 110 altkolorierten Kupfertafeln (Taxe 30 000 Euro).

Reiss & Sohn Buchauktion Trews
Eine der schönsten botanischen Publika­tionen, C. J. Trews „Plantae selectae“, ist auf 30.000 Euro taxiert. © Reiss & Sohn, Königstein im Taunus

Wie sieht die Zukunft für Buchauktionen aus – wird es weiter Interesse an bedeutenden alten Büchern geben? Clemens Reiß gibt sich optimistisch. „Das besondere alte Buch wird immer Interessenten finden“, meint er. „Dazu gehören vor allem Inkunabeln und Handschriften, aber auch besonders schön erhaltene bibliophile Werke aller Epochen, auch aus der jüngeren Zeit.“ Die wissenschaftliche Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist dagegen schwergängiger geworden. Sammelleidenschaften ändern immer mal wieder ihren Fokus.

Dafür gibt es dann neue, wie die Computerliteratur. Dazu gehört beispielsweise das bahnbrechende, 1937 veröffentlichte Werk „On Compu­table Numbers“ von Alan Turing. Diese Art von Literatur, so Reiß, wird für Auktionen zunehmend wichtiger werden. Er beobachtet, dass sich die Art, wie mit Auktionskatalogen umgegangen wird, derzeit verändert. Noch vor zwanzig Jahren, so Reiß, erwarteten Sammler und Sammlerinnen ausführliche wissenschaftliche Beschreibungen, darauf verließen sie sich, wenn sie das Buch nicht selbst in Augenschein nehmen konnten. Ansonsten kamen sie aus Paris oder anderen europäischen Städten mit dem Nachtzug zu Reiss, boten auf der Auktion mit und fuhren dann abends, mit etwas schwererem Handgepäck, wieder zurück.

Mit der zunehmenden Dominanz von online zugänglichen Informationen verloren die Beschreibungen ihre herausragende Bedeutung. Immer umfangreichere Abbildungen nahmen ihren Platz ein: Bilder über Bücher statt Buchstaben über Texte, das ist der Trend, dem Reiss & Sohn mit immer mehr Abbildungen schon früh entsprochen hat.

Die jüngere wissenschaftliche Literatur wird von digitalen Buchstaben beherrscht, doch bedeutende Werke alter Literatur wollen weiter in die Hand genommen werden. Auf ihre Wertschätzung bauen die kommenden Kapitel in der Firmengeschichte von Reiss & Sohn.

Service

AUKTION

Buch- und Grafikauktionen,

Reiss & Sohn, Königstein im Taunus,

27. bis 30. April

www.auktionshaus-koenigstein.de

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