Bronzeplastik bei Hargesheimer

Schlanke Jungs, runde Männer

Das Düsseldorfer Auktionshaus Hargesheimer versteigert anrührende Bronzefiguren von Ernst Barlach und Gerhard Marcks

Von Angelika Storm-Rusche
07.03.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 3

Wer sich an Ernst Barlachs (1870 – 1938) berühmte Figur „Der Rächer“ von 1914 und erst recht das „Güstrower Ehrenmal“ von 1927 erinnert, wird ihm die 1912 zunächst in Gips konzipierte Bronze „Der Spaziergänger“ wohl kaum zuschreiben wollen. Ganz offensichtlich stellt dieses Werk den Abschluss einer längeren Orientierungsphase des Künstlers dar, nachdem ihm 1906 – eigentlich recht spät in seiner Biografie – der Durchbruch als Bildhauer gelungen war. Denn erst um 1914 ließ er sich auf die kubistische und auf die expressionistische Formensprache ein, die man danach von ihm kennt. Auffallend ist auch, dass „Der Spaziergänger“ ein harmloses Genrethema umsetzt, während Barlachs bekanntes Werk sonst – ausgelöst durch eine 1906 unternommene Russlandreise und den Ersten Weltkrieg – existentielle Themen behandelt. Der Versuch einer Einordnung des „Spaziergängers“ in das Barlach’sche Frühwerk spricht in keiner Weise gegen den seltsamen Reiz dieser Figur. Auf ihrer Plinthe trägt sie die Bezeichnung „E. Barlach“ und den Stempel der Berliner Gießerei Noack, die diesen Guss 1972 posthum besorgt hat. Das Düsseldorfer Auktionshaus Hargesheimer hält sie in der März-Auktion zum Limitpreis von 45.000 Euro parat.

Dieser „Spaziergänger“ ist kein Flaneur, aber wohl doch ein Müßiggänger. Vielleicht war es 1912 noch ein russischer Bauer, der dem Künstler vor Augen stand, als er ihn modellierte. Sein Kopf, der aus einer Halsrolle ragt, ist markant. Nicht nur seine hohe Stirn, auch die kräftige, gedrungene Gestalt lassen auf ein reifes Alter schließen. Sehr aufmerksam blickt der Mann auf, als sei er gerade angesprochen worden; er scheint im selben Augenblick aufzuhorchen. Wohl darum hat er seinen Spaziergang unterbrochen. Recht breitbeinig steht er nun in seinen knöchelhohen Schuhen da. Ein Windzug hat sein merkwürdig langes Gewand an den runden Leib gedrückt (auch spätere Figuren lassen eine Vorliebe des Bildhauers für bodenlange Gewänder erkennen).

Hargesheimer Ernst Barlach
„Der Spaziergänger“ von Ernst Barlach wurde 1972 nach einem Modell von 1912 gegossen. Die 51 Zentimeter hohe Bronze soll mindestens 45.000 Euro einspielen. © Hargesheimer, Düsseldorf

Auf der Rückseite des „Spaziergängers“ setzen sich diese erzählerischen, aber auch die gestalterischen Momente sowohl der Figur als auch des Gewands fort. Die braune Patina sorgt für seine realistische Farbe. Umseitig zeigt sich der Lockenkopf des „Spaziergängers“. Er hat seine Hände auf dem breiten Rücken ineinandergelegt, was wiederum für eine entspannte Pose spricht. Das Gewand bildet auf der Höhe der Knie einen waagerechten, welligen Faltenwurf, ehe es – hier überlang – zu Boden fällt. „Der Spaziergänger“ weckt Erinnerungen an berühmtere Mantelfiguren der Kunstgeschichte, etwa an die in der Körperhaltung identische Goethe-Statuette von Christian Daniel Rauch oder an „Balzac“ von August Rodin. Ernst Barlach hat ihnen eine sehr originelle Variation zur Seite gestellt.

Mit der aufkommenden Moderne verloren das Personendenkmal auf der einen und die mythologische Figur auf der anderen Seite ihre Aktualität. Die Bildhauer befassten sich, wenn sie nicht zur Abstraktion neigten, ganz einfach mit der menschlichen Gestalt – ohne historische, allegorische oder anekdotische Bedeutung. Jetzt suchten sie vermehrt nach bewegten oder statischen Haltungen des – meist unbekleideten – Körpers. Zwei solcher bronzenen Aktfiguren von Gerhard Marcks (1889 – 1981) – ein „Hockender mit verschränkten Händen“ und „Hockender Raimund“ – ergänzen das Skulpturen-Angebot der Auktion bei Hargesheimer (Limit je 12.000 Euro). Auf den ersten Blick könnte man meinen, Marcks habe nach demselben Modell gearbeitet, aber die unterschiedlichen Gesichtszüge und die Datierungen, 1968 und 1973, sprechen dagegen.

In jedem Fall aber steht der Liebhaber ästhetischer Jünglingsfiguren vor der Qual der Wahl. Beide Modelle haben das Knabenalter verlassen, ohne das Mannesalter erreicht zu haben. Noch sind ihre Körper ohne athletische Züge, ihre Gliedmaßen lang und schlank. Beider Haltung ist ganz natürlich. Der eine hockt auf dem Boden und verschränkt die Hände um das rechte Bein, während die Füße gekreuzt sind. Der andere hat sich nicht ganz niedergelassen, hockt aufrecht und legt die verschränkten Arme auf das linke Knie. Die Rückseiten zeigen deutliche Dorsallinien und bestätigen die Jugend dieser Aktfiguren, die man mit 48 und 57 Zentimetern Höhe noch als Statuetten bezeichnen kann.

Hargesheimer Gerhard Marcks
Die Haartracht des „Hockenden Raimund“ (H. 57 cm) erinnert an die archaischen Jünglinge Griechenlands. Die 1973 datierte Bronze von Gerhard Marcks ist ab 12.000 Euro zu haben. © Hargesheimer, Düsseldorf

Gerhard Marcks hat den „Hockenden mit verschränkten Händen“ mit einem „Pagenschnitt“ ausgestattet, den „Hockenden Raimund“ mit einer Haartracht, die man von den griechischen Jünglingen des (spät-)archaischen und des sogenannten Strengen Stils kennt. Tatsächlich war der Bildhauer 1928 nach Griechenland gereist. Beeindruckt und inspiriert hatte ihn dort vor allem die archaische Kunst, die zahlreiche sogenannte Kuroi (nackte Jünglingsstatuen) hervorgebracht hatte. Man könnte also den „Hockenden Raimund“ als Reminiszenz an einen solchen Kuros deuten, denn er trägt diese Frisur mit dem rundum vom Wirbel ausgehenden Haar, das in Buckellocken endet. Deutlich ausgeprägt ist sie am „Kritiosknaben“, der dem Strengen Stil angehört. Gerhard Marcks wird ihn auf der Athener Akropolis gesehen haben.

Offenbar unter dem frischen Eindruck Griechenlands hat er 1930 doch noch einmal eine mythologische Figurengruppe, nämlich „Venus und Amor“, mit mehreren Entwürfen vorbereitet. Sie wurde 1952 in nur drei Exemplaren in Bronze gegossen, versehen mit Künstlersignet und Stempel „Guss Barth Berlin“. Das erste Exemplar besitzt die Gerhard-Marcks-Stiftung in Bremen, das zweite die Stadtverwaltung in Herne. Der dritte Guss, bisher wie die anderen Bronzen der Auktion in einer Privatsammlung, kommt bei 30.000 Euro zum Aufruf. Marcks hat diese besonders reizvollen Gestalten der Mythologie gewählt, die als Gruppe weniger in der Antike als vielmehr seit der Neuzeit – und dann bis weit in das 19. Jahrhundert hinein – die Bildhauer zu allerlei Genredarstellungen angeregt haben. Gerhard Marcks zeigt einen durchaus menschlichen Augenblick, in dem Mutter Venus ihrem Sohn den Umgang mit Pfeil und Bogen erklärt (meist eher die Aufgabe eines Vaters).

Hargesheimer Gerhard Marcks
Gerhard Marcks’ mythologische Figurengruppe „Venus und Amor“ (H. 82 cm) wurde 1952 in nur drei Exemplaren gegossen. Das einzige Exemplar in Privatbesitz soll nun mindestens 30.000 Euro bringen. © Hargesheimer, Düsseldorf

Amors Haartracht lässt an die archaischen Jünglinge Griechenlands denken. Hier liegt der Schlüssel zur Interpretation von Gerhard Marcks’ Venus-und-Amor-Gruppe, weil er einmal nicht die ausgetretenen Pfade ihrer gängigen Bildtradition beschritten hat, etwa mit einem lockenköpfigen, pummeligen Amor und mit einer unbekleideten Venus. So ist sie seit der späten griechischen Klassik, dann wieder seit der Renaissance aufgetreten, und zwar in der Malerei so gut wie in der Bildhauerkunst. Als Aktfigur konnte ja ihre körperliche Schönheit – und mit ihr die Kunstfertigkeit ihrer Schöpfer! – zur Geltung kommen. Marcks aber hat die Göttin in ein Gewand gekleidet, in einen abgewandelten griechischen Chiton. Denn in der archaischen Zeit zeigte sich Venus (die bei den Griechen noch Aphrodite hieß) stets gewandet. Amor (damals noch Eros) war von Anfang an nackt, aber in der archaischen Kunst noch kein kleinkindliches, wohlgenährtes Bübchen, wie man ihn seit hellenistischer Zeit kennt und wie er die Kunst erobert hat. Ehemals war er vielmehr ein schlanker Knabe, der sich bereits gestreckt hatte, oder sogar ein halbwüchsiger Jüngling. Marcks hat sich für einen Knaben entschieden, der schon ernsthaft den Ausführungen seiner Mutter folgen kann. Die Frage, warum er ihn nicht mit Flügeln versehen hat, bleibt offen. Sie aber gehören wie Pfeil und Bogen zu seiner Ikonografie. Auf jeden Fall hat Gerhard Marcks sich nicht wie seine Künstlerkollegen zu einer vorwiegend von Sinnenreiz geprägten Venus-und-Amor-Gruppe verleiten lassen, sondern ein anrührendes, vorbildloses Kunstwerk geschaffen.

Service

AUKTION

Kunst und Antiquitäten

Hagesheimer, Düsseldorf

Auktion 11. bis 13. März 2021
Besichtigung 3. bis 9. März nach Terminvereinbarung

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