Auktionsmarkt für Moderne und Zeitgenossen

Zauberwort lokal-digital

Im Geschäftsjahr 2020 haben alle Auktionshäuser virtuell aufgerüstet und so Verluste kompensiert. Dennoch fehlte es bei der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts an Akquisitionen im High-End-Segment. Preistreiber sind derzeit die Käufer aus Fernost

Von Sebastian C. Strenger
01.03.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 2

Das Krisenjahr 2020 brachte vielen Auktionshäusern nicht nur weniger Umsatz – auch die Gewohnheiten ihrer Kundschaft änderten sich fundamental. Die Corona-Pandemie hat den Auktionsmarkt gleichsam auf den Kopf gestellt. Denn nun heißt das Zauberwort der Branche plötzlich nicht mehr „global“, sondern „lokal-digital“. Somit war 2020 auch ein Jahr der allgemeinen Anpassung.

Zunächst einmal ist festzustellen: Covid-19 hat alle gleichermaßen kalt erwischt. Die größeren Auktionshäuser konnten den Markt nach dem Frühjahrs-Lockdown aber immerhin mit Livestream-Versteigerungen bedienen – und damit wenigstens den Versuch unternehmen, das Flair der abendlichen Präsenzveranstaltungen virtuell zu vermitteln. So gelang es ihnen immerhin, im Herbst wieder lose zum traditionellen Auktionskalender zurückzukehren und die Verluste des ersten Halbjahrs etwas zu kompensieren. Insgesamt war das Geschäftsjahr aber von Improvisation geprägt.

Um der Krise entgegenzuwirken, wurde vielerorts auch wieder das altbewährte Lokalformat bemüht: Die führenden Auktionshäuser einer Stadt taten sich zusammen, um an aufeinanderfolgenden Abenden zu versteigern. Für das internationale Publikum veranstalteten Christie’s, Sotheby’s und Phillips darüber hinaus über die gesamte Saison hinweg eine Reihe kleinerer Online-Auktionen, die der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts gewidmet waren. Sotheby’s – virtueller Spitzenreiter – hielt sogar 70 Prozent seiner Auktionen digital ab, gegenüber dem Vorjahr war das ein Anstieg von rund 30 Prozent.

Jahresübersicht Jean-Michel Basquiats „Untitled (Head)“
Jean-Michel Basquiats Mischtechnik „Untitled (Head)“ von 1982 brachte bei Sotheby’s in New York Ende Juni 13,1 Millionen Dollar. © Sotheby’s/VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Dennoch konnte man bei allen Global Playern beobachten: Es fehlte an Akquisitionen im High-End-Segment. Denn die Pandemie hat potenzielle Einbringer zögern lassen, begehrte Stücke ins Auktionshaus zu geben – auch, weil die Wechselkurse weltweit unter Druck geraten waren (Branchenkennern zufolge hätte es an Interessen- ten für sogenannte Bluechips allerdings nicht gemangelt, weil nach wie vor genügend monetäre Mittel zur Verfügung standen). Im Laufe der Zeit könnte die Corona-Krise bei einigen Sammlern nun aber den ökonomischen Druck doch so stark erhöhen, dass Spitzenstücke auf den Markt kommen. Und an nichts anderem sind die Blockbuster-Häuser interessiert – die Durchschnittsware überlassen sie auch gerne den Kollegen.

Um den großen Rest des Angebots zu vermarkten, haben auch die vielen kleineren Auktionshäuser in den letzten Monaten virtuell gewaltig nachgerüstet. Die umfassenden digitalen Offerten haben nicht nur die Markteintrittsbarrieren deutlich reduziert – sie haben auch die Notwendigkeit infrage gestellt, Werke an Ort und Stelle zu begutachten. Dies wird das Publikumsinteresse künftig um ein Vielfaches erhöhen. Das World Wide Web wird überdies die Grenzen zwischen Kunstmessen, Galerien und Auktionshäusern weiter verwischen und dazu beitragen, dass Primär- und Sekundärmarkt in noch größerem Maße zusammenwachsen.

Weder Christie’s, noch Sotheby’s und auch nicht Phillips haben detaillierte Zahlen zum Geschäftsjahr vorgelegt – das ist übrigens auch kein Muss, da sich alle drei Unternehmen in privater Hand befinden. Dennoch lässt sich nach einer Auswertung durch die Preisdatenbank Artprice – Stand 7. Januar – folgendes Bild zeichnen: Sotheby’s, das 2,05 Milliarden Euro mit Moderne und Zeitgenossen erwirtschaftete, war 2020 das umsatzstärkste Unternehmen. Gefolgt von Christie’s mit 1,78 Milliarden und Phillips mit 398 Millionen. Während Sotheby’s in 264 Auktionen 13556 Lose weiterreichen konnte (Verkaufsquote 76,44 Prozent), kam Christie’s in 227 Auktionen auf 11103 Zuschläge (Verkaufsquote 77,95 Prozent). Phillips war mit 4265 Losvermittlungen in 55 Auktionen sogar noch ein wenig effizienter (Verkaufsquote 85,45 Prozent).

Salman Toor Group Dance Phillips Auktion
In einer gemeinsamen Auktion mit Poly Auction erzielte Phillips am 3. Dezember 2020 in Hongkong für Salman Toors Ölgemälde „Group Dance“ (2012, 119 x 152 cm) umgerechnet 340.000 Euro. © Phillips, Hongkong

Phillips hatte sich im Juli mit Chinas größtem staatlichen Versteigerer, Poly Auction, zusammengetan. Heraus kam dabei die bislang stärkste Asien-Auktion des Hauses: Der gemeinsame Abendverkauf erwirtschaftete 50 Millionen Dollar und führte zu einer Reihe von Rekorden – beispielsweise für den mit 35 Jahren verstorbenen Matthew Wong oder den aufstrebenden Salman Toor.

Was Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts angeht, waren 2020 bei allen großen Häusern Kunden aus Asien die Preistreiber – sowohl bei Christie’s als auch bei Sotheby’s sorgten sie für mehr als 30 Prozent des weltweiten Auktionsumsatzes. Käufer aus Fernost waren es also, die den Einbruch bei den Präsenzauktionen abfederten. Da Chinas Wirtschaft derzeit zweistellige Zuwachsraten verzeichnet, wird sich die Nachfrage nach westlicher Kunst und „Emerging Artists“ 2021 dort wohl auch ungebremst fortsetzen.

Ein weiterer Beleg für Chinas Aufstieg im Kunstmarkt ist das gute Abschneiden der chinesischen Auktionshäuser: China Guardian erreichte im internationalen Vergleich Platz 4 (294,5 Millionen Euro Jahresumsatz), Poly International Auction Platz 5 (289,07 Millionen), Holly’s International Platz 6 (165,1 Millionen). Insgesamt landeten sieben chinesische Versteigerer unter den Top-15.

Bei den deutschsprachigen Häusern führt Ketterer Kunst aus München das Feld an (Platz 8: 57,13 Millionen). Es folgen das Wiener Dorotheum (Platz 12: 39,64 Millionen), Grisebach in Berlin (Platz 15: 33,73 Millionen), die Galerie Kornfeld in Bern (Platz 19: 29,25 Millionen), Koller in Zürich (Platz 22: 27,39 Millionen) sowie die Kölner Häuser Van Ham (Platz 24: 24,75 Millionen) und Lempertz (Platz 27: 23,08 Millionen). Auch das Wiener Auktionshaus im Kinsky (Platz 35: 16,93 Millionen) sowie Karl & Faber aus München (Platz 37: 15,61 Millionen) liegen noch unter den Top-50.

Kirchner Ketterer
Ernst Ludwig Kirchners Ansicht seines ersten Schweizer Domizils, betitelt als „Unser Haus“ (1918/22, 91 x 120,5 cm), gelangte im Dezember bei Ketterer in München zum ersten Mal auf eine internationale Auktion und kletterte von 500.000 auf 1,35 Millionen Euro. © Ketterer Kunst GmbH und Co. KG

Die Umsätze wurden zunehmend auch mithilfe sogenannter „Private Sales“ realisiert. In den vergangenen Jahren eher noch ein Mittel, um Bilanzen etwas aufzubessern, waren sie im vergangenen Jahr oftmals echte Gewinnbringer – bei Christie’s und Sotheby’s mit Steigerungsraten von circa 50 Prozent. Bei Christie’s summierten sich die Privatverkäufe damit auf 1,3 Milliarden Dollar, bei Sotheby’s sogar auf 1,5 Milliarden.

Sotheby’s konnte auch die besten digitalen Zuschläge vermelden: 12 Millionen Dollar spielte Alberto Giacomettis „Femme debout“ in der Londoner Juli-Auktion ein. 13,1 Millionen Dollar brachte Jean-Michel Basquiats „Untitled (Head)“ im Juni in New York. In der New Yorker Auktion wurde im Rennen um das Triptychon „Inspired by the Oresteia of Aeschylus“ von Francis Bacon mit 73,1 Millionen Dollar auch das bislang höchste Online-Gebot platziert: Am Ende ging das Werk für 74 Millionen Dollar als teuerstes Werk des Aktionsjahres 2020 an einen anderen Bieter.

In Paris – der Stadt, die nach dem Brexit das „neue London“ werden könnte – war das französische Auktionshaus Artcurial mit 149,2 Millionen Euro Jahresumsatz im Kreis der Großen vertreten. Im Gegensatz zu den global operierenden Häusern vermittelt Artcurial bisher allerdings nur in geringem Umfang private Verkäufe. Die französische Filiale von Christie’s bewältigte mit einem Umsatz von 221,3 Millionen Euro (bei einem vergleichsweise geringeren Rückgang von 13,5 Prozent) das Pandemie-Jahr im Vergleich am besten. Im Juli wechselte dort ein frühes Werk von Pierre Soulages – „Peinture 130 x 89 cm, 25 novembre 1950“ – für 2,7 Millionen Euro den Besitzer. Jean Dubuffets Gemälde „Pourlèche fiston“ von 1963 konnte seinen Schätzpreis mit dem Zuschlag bei 5,6 Millionen Euro fast verdoppeln.

Sotheby’s Paris konnte im Grunde nur wehmütig an den Verkauf der Sammlung François-Xavier und Claude Lalanne im Jahr 2019 zurückdenken, der gut 91 Millionen Euro eingespielt hatte. Toplose gab es hier dennoch: Im Juni brachte ebenfalls ein früher „Soulages“ – „Peinture 130 x 162 cm, 14 avril 1957“ – 3,7 Millionen Euro. Und für Picassos „Tête d’homme“ vom „7. 1. 40“ wurden in dieser sonst während der FIAC veranstalteten „Modernités“-Auktion 3,7 Millionen Euro bewilligt.

Auktionen 2020 Ferdinand Hodler „Thunersee mit Niesen“
Ferdinand Hodlers zartblaues Gemälde „Thunersee mit Niesen“ (1912/13, 61,5 x 85,5 cm) erreichte bei Koller im Dezember mit 3,5 Millionen Franken fast das Dreifache seiner Schätzung. © Koller, Zürich

In Deutschland vermittelte Ketterer Gerhard Richters „Christiane und Kerstin“ für 2,1 Millionen Euro und Ernst Ludwig Kirchners „Unser Haus“ von 1918 / 22 für 1,35 Millionen. Darüber hinaus erzielte der Münchner Versteigerer auch einige Weltrekorde im Bereich der österreichischen Kunst. Für 480.000 Euro wechselte ein großes Schüttbild von 1961 des Wiener Aktionisten Hermann Nitsch in eine Grazer Sammlung; eine frühe Zeichnung des Wiener Aktionisten Günter Brus, ebenfalls eingeliefert aus der Duisburger Sammlung Haniel, ging für 160.000 Euro an den weltgrößten Sammler für „Wiener Aktionismus“, Philipp Konzett.

In der Schweiz konnte Koller in einer seiner Präsenzauktionen zum Jahresende 3,5 Millionen Franken (Taxe 1,2 Millionen) für Ferdinand Hodlers zartblaue „Ansicht des Thunersees“ erlösen. Künstlerinnen waren auch 2020 bei den Spitzenergebnissen kaum vertreten. Gabriele Münters „See am Abend“ beispielsweise, der bei Hampel in München 470.000 Euro erzielte, landete in Deutschland gerade mal auf Platz 15.

Insgesamt war im Krisenjahr 2020 – vor allem wohl aus Gründen der finanziellen Konsolidierung – auch ein zunehmender Verzicht auf überflüssige Verpackungen beim Kunstversand, auf gedruckte Kataloge, Einladungen etc. festzustellen. Eine Entwicklung, die allein aus Gründen des Umweltschutzes Zukunft haben dürfte. Auch Flugreisen zu Kunstmessen, Ausstellungen, Vorbesichtigungen etc. dürften künftig stärker auf dem Prüfstand stehen – aus Kostengründen und wegen der Generationengerechtigkeit. Wenigstens eine positive Begleiterscheinung dieses Geschäftsjahrs, dem die wenigsten viel abgewinnen konnten …

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