Aktenzeichen Weltkunst

Schiffspokal zurück in Dresden

Der Dresdner Ratsschatz ist seit Ende des Zweiten Weltkrieg verschollen. Ab und zu taucht ein Stück auf dem Kunstmarkt auf: Ein Schiffspokal ist jetzt zurückgekehrt. Es besteht Hoffnung auf weitere Funde – wir bilden hier historische Fotos von den gesuchten Objekten ab. Beschrieben hat sie der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt, Vater des umstrittenen Kunsthändlers Hildebrandt Gurlitt, Anfang des 20. Jahrhunderts. Erika Eschebach, Direktorin des Dresdner Stadtmuseums, schildert die dramatische Geschichte der Sammlung.

Von Erika Eschebach
26.07.2017

Ende März 2016 erreichte das Stadtmuseum Dresden eine Mail vom BKA/Interpol Wiesbaden, Sonderkommission Kunst- und Kulturgutkriminalität, die darauf aufmerksam machte, dass auf der Tefaf in Maastricht höchstwahrscheinlich ein Schiffspokal ausgestellt gewesen sei, der laut der Lost-Art-Datenbank zu den Kriegsverlusten des Stadtmuseums Dresden zähle. Wie elektrisiert verglichen wir die beigefügte Abbildung mit unserem historischen Foto einer alten Karteikarte. Auf den ersten Blick erkannten wir zumindest eine hohe Ähnlichkeit, wohl wissend, dass der Nürnberger Goldschmiedemeister Tobias Wolff zu Anfang des 17. Jahrhunderts mehrere solcher Schiffspokale angefertigt hatte.

Der Schiffspokal für Trinkspiele

Bei dem vermissten Trinkschiff handelte es sich um einen vergoldeten Tafelaufsatz aus Silber in Form eines auf einem hohen Ständer montierten Schiffs, welches Mannschaft, Mast, Takelage und Segel aufwies. Der Ständerfuß war als Wasseroberfläche mit Wellen und Meerestieren gestaltet. Gefäße dieser Art hatten seit der Renaissance ihren Platz auf fürstlichen Tafeln und dienten der Aufbewahrung von Besteck oder Gewürzen. Äußerst beliebt waren Schiffspokale auch für Trinkspiele großer Tischgesellschaften. Nicht zuletzt hatten Goldschmiede mit solchen Gefäßen die Gelegenheit, ihre Kunstfertigkeit unter Beweis zu stellen.

Tobias Wolff, Schiffspokal, Anfang 17. Jh. Abbildung aus dem Christie’s-Katalog
Tobias Wolff, Schiffspokal, Anfang 17. Jh. Abbildung aus dem Christie’s-Katalog

Die Empfehlung des BKA lautete, das Objekt staatsanwaltlich sichern zu lassen, bis Identität und Eigentumsfrage geklärt seien. Dementsprechend verfuhr das Stadtmuseum Dresden – der Schiffspokal wurde von der Staatsanwaltschaft Bremen sichergestellt. Ein externes Gutachten über die Identität des Objektes war der nächste Schritt. Dieses stellte einwandfrei fest, dass es sich um den vermissten Schiffspokal handelt. Wie aber war der Pokal abhanden gekommen? Das Stadtmuseum Dresden wurde 1891 gegründet und hatte seit 1910 seinen Sitz im neuen Rathaus der Residenzstadt. Als Museum der Dresdner Bürgerschaft verfügte es über kostbare Bestände; dazu zählten der alte Ratsschatz, das neue Ratssilber, zahlreiche Zunftinventare, religiöse Altertümer, Kunsthandwerk, Möbel und Gemälde. Im Zweiten Weltkrieg wurden die dreidimensionalen Gegenstände in Kisten verpackt und hinter Brandschutztüren im Keller abgestellt. Am 13./14. Februar 1945 ist das Rathaus im Zentrum der Stadt stark zerstört worden, die Keller jedoch blieben unversehrt.

Wie kam der Schiffspokal abhanden?

Am 8. Mai 1945 nahm die 1. Ukrainische Front der Roten Armee die Stadt ein, und die Soldaten besetzten das Rathaus. Kein Deutscher hatte mehr Zutritt. Als im Februar 1946 der Museumssammlungsverwalter erstmals wieder die Keller betreten durfte, fand er sie weitestgehend leer vor. Etwa 80 Prozent der dreidimensionalen Sammlungen waren verschwunden. Zu den Verlusten gehörte der komplette Ratsschatz mit ca. 67 Objekten, wozu der Schiffspokal gezählt hatte. In der Nachkriegszeit und der Zeit der DDR wurde nicht weiter recherchiert; man vermutete die Sammlungen in der UdSSR – ähnlich wie die Bestände der Staatlichen Kunstsammlungen, die allerdings geordnet abtransportiert worden waren und 1955 großenteils nach Dresden zurückkehrten. Ein Zufall wollte es, dass bereits 1951 zwei Becher des Ratsschatzes (von 1668 und 1701) in Frankfurt/Main auftauchten, eine Dresdnerin hatte versucht, sie an die Amerikaner zu verkaufen. Diese Absicht wurde vereitelt, stattdessen kehrten sie 1955 als Geschenk der Frankfurter Altstadtfreunde nach Dresden zurück. 1972 kam ein vermisster Abendmahlskelch (von 1508) des Ratsschatzes in Dresden zum Vorschein; angeblich war er neben einem Metallschrottzug nahe der Stadt aufgefunden worden. Nach einem Rechtsstreit kehrte der Kelch 1981 ins Museum zurück. 2000 und 2010 wurden zwei Zinnpokale aus dem ebenfalls vermissten Zunftinventar der Dresdner Elbfischer im süddeutschen Kunsthandel entdeckt und vom Museum zurückerworben.

Spätestens jetzt war klar, dass nicht alles aus dem Dresdner Rathauskeller in die UdSSR gelangt sein konnte. Auch der jetzt auf der Tefaf aufgetauchte Schiffspokal musste einen anderen Weg genommen haben. Recherchen ergaben, dass die Bremer Galerie Neuse ihn 2015 bei einer Auktion von Christie’s ersteigert und das Londoner Auktionshaus ihn von einem Schweizer Privatmann eingeliefert bekommen hatte, dessen Familie den Pokal 1960 bei einer Versteigerung des Nachlasses von Konsul Bernheimer im Auktionshaus Weinmüller in München erwarb.

Woher Bernheimer den Schiffpokal hatte, ließ sich bis heute nicht ermitteln.

Das Stadtmuseum Dresden besitzt keine alten Inventarbücher mehr, aber glücklicherweise hatte Cornelius Gurlitt, Großvater des im Raubkunstkontext berühmt gewordenen Cornelius Gurlitt, in seinem dreibändigen Werk »Die Kunstdenkmäler Dresdens« (1900–1903) die Bestände des Ratsschatzes, der Bogen- und der Scheibenschützengesellschaft sowie die Zunftinventare des Stadtmuseums genau dokumentiert. So konnten diese Objekte 2012 in der Datenbank Lost Art erfasst werden, worauf das Bundeskriminalamt Bezug nahm.

Wie sind die Objekte aus dem Dresdner Rathauskeller verschwunden?

Ein Provenienzforscher machte uns auf einen Eintrag im Tagebuch des ukrainischen Majors Perewostschikow aufmerksam, der im Mai 1945 speziell mit dem Auffinden der Dresdner Kunstschätze betraut worden war. Dieser hatte – auf seiner Suche nach den berühmten Gemälden der Staatlichen Kunstsammlungen – am 10. Mai über einen Keller mit Kunstobjekten in Rathausnähe berichtet, in dem Chaos herrschte. Die meisten Kisten lagen zerstört auf dem Boden, jedoch gab es noch goldene Becher, Münzen etc. zu entdecken. Dies müssen die Restbestände des Stadtmuseums gewesen sein. Offensichtlich hatten »Kenner« den Keller zuvor aufgebrochen und etliche Gegenstände weggeschafft. Das erklärt das Auftauchen von Objekten außerhalb der UdSSR. Ende 2016 erhielt das Stadtmuseum einen weiteren Hinweis: Ein vergoldeter Schützenschild aus dem Ratsschatz (1619) befindet sich heute in einem Museum von Philadelphia – Geschenk eines Sammlers, der diesen 1955 bei einer Auktion in der Schweiz erworben hatte. Im Fall des Schiffspokals war es den Museen der Stadt Dresden möglich, eine Lösung zu finden, um das Prunkstück wieder in Besitz zu nehmen.

Seit Ende Juni ist der Schiffspokal wieder in Dresden

Dank der Vermittlung der Ernst von Siemens Kunststiftung erzielte man einen Vergleich mit dem Bremer Galeristen. Die Stiftung erwarb zusammen mit der Homann-Stiftung, der Ostsächsischen Sparkasse, der Landeshauptstadt Dresden sowie den Museen der Stadt Dresden den Pokal von der Kunsthandlung Neuse, die sich ihrerseits auf eine reine Kostenerstattung beschränkte. Seit Ende Juni hat der Schiffspokal wieder seine Heimat im Stadtmuseum Dresden. Abgesehen von den vier zurückgekehrten Objekten und dem Schild in den USA vermisst das Stadtmuseum aus dem Ratsschatz noch viele Stücke, von denen die Beschreibungen Gurlitts vorliegen. Es handelt sich um Deckelbecher und Deckelpokale aus vergoldetem Silber sowie aus Glas, Abbildungen finden Sie auf weltkunst.de. Über Hinweise, wo wir uns auf die Suche begeben könnten, würden wir uns freuen.

Service

Abbildung ganz oben

Inventarkarte des Stadtmuseum Dresden, 1911
Tobias Wolff, Schiffspokal, Anfang 17. Jh.
Museen der Stadt Dresden, Stadtmuseum Dresden

DIESER BEITRAG ERSCHIEN IN

Weltkunst Nr.132/2017

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