Kunstjahr 2025

ArtReview präsentiert „Power 100“

Wer kurbelt die Kunst an, wer formt sie? Die „Power 100“-Liste von ArtReview betrachtet jedes Jahr, wie sich bestehende Strukturen von Macht und Einfluss verschieben

Von Nick van der Velden
04.12.2025

An der Spitze der diesjährigen „Power 100“-Liste steht mit Ibrahim Mahama ein Künstler, dessen Werk längst nicht mehr allein in Ausstellungen aufgeht. Seine monumentalen Verhüllungen aus industriellen Reststoffen, seinen Zügen, Säcken und Textilien sind nur die sichtbare Oberfläche einer Praxis, die weit tiefer in gesellschaftliche und infrastrukturelle Fragen hineinragt. In Tamale hat er mit SCCA und Red Clay Orte geschaffen, die zugleich Atelier, Schule, öffentlicher Raum und Zukunftslabor sind, gespeist aus den Mitteln eines globalen Kunstmarkts, aber radikal lokal verwurzelt. Mahama steht damit exemplarisch für eine Generation, die nicht länger wartet, bis Institutionen handeln – sondern selbst welche gründet, um den Begriff von Kunst und Gemeinschaft neu zu definieren.

Sheika Hoor Al Qasimi wieder unter den Top 10

Dass gleich zwei Vertreterinnen der arabischen Halbinsel auf den folgenden Plätzen rangieren, verweist auf einen weiteren dominanten Strom in diesem globalen Bild. SheikhaAl-Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani (Platz 2) und Sheikha Hoor Al Qasimi (Platz 3), die 2024 die Liste anführte, vereinen politische Vision, kulturelle Strategie und kuratorische Handschrift zu einem Einfluss, der weit über nationale Grenzen hinausblickt. Ihre Projekte, Biennalen und neu entstehenden Museen lenken Aufmerksamkeit, Ressourcen und Diskurse an Orte, die lange am Rand des westlich geprägten Kunstbetriebs standen – und verschieben damit dessen Schwerkraftzentrum leise, aber nachdrücklich.

Sheikha Hoor Al Qasimi.
Sheikha Hoor Al Qasimi. © Photo: Chieska Fortune Smith

Hinter ihnen folgen Stimmen, die auf sehr unterschiedliche Weise mit Geschichte und Gegenwart ringen: Wael Shawky (Platz 4), der Mythen und Revolutionen als lebendige Stoffe begreift und ebenfalls bereits im letzten Jahr unter den ersten zehn vertreten war; auf Platz 5 Ho Tzu Nyen, der mit Algorithmen und animierten Zeitebenen die Idee historischer Wahrheit selbst zerfasert; Saidiya Hartman (Platz 8), deren Denken die Archive neu aufschließt und deren Sprache Räume schafft, in denen verdrängte Geschichten wieder Stimmen erhalten. Auch sie verteidigt ihre Anwesenheit in der Liste.

Gewicht für die Politik in der Malerei

Die Malerei behauptet ebenfalls ihre Kraft: Amy Sherald (Platz 6) und Kerry James Marshall (Platz 7) prägen weiterhin die visuelle Imagination einer Gesellschaft, die um ihre eigenen Erzählungen ringt, und tragen ihre Bilder dorthin, wo Kunst politisch wird, weil Sichtbarkeit politisch ist.

Forensic Architecture.
Forensic Architecture. © Photo: Right Livelihood

Mit Mark Bradford (Platz 12) und dem investigativen Kollektiv Forensic Architecture (Platz 9) schließlich treten Positionen in den Vordergrund, die Kunst als eine Form des Handelns verstehen – sei es durch soziale Arbeit im Stadtteil oder durch akribische Rekonstruktionen von Gewalt, die in Gerichtssälen ebenso Gewicht haben wie in Museen.

Den Abschluss der Top 10 bildet Wolfgang Tillmans. Der Künstler und Fotograf war nicht nur im März mit seiner ersten großen deutschen Museumsausstellung seit fünf Jahren im Dresdner Albertinum zu sehen, in der er die massiven materiellen Fußabdrücke von KI-Unternehmen aufzeigte. Er eröffnete einen Monat später auch eine Ausstellung in seiner Heimatstadt Remscheid. Im Juni markierte Tillmans mit einer großen Installation im Centre Pompidou die letzte Schau des Museums vor dessen Renovierung, sowie ein großes Highlight in seiner Ausstellungskarriere.

Die diesjährige „Power 100“ zeichnet so das Bild einer Kunstwelt, die sich von innen heraus neu erfindet: weniger fixiert auf Marktbewegungen als auf neue Allianzen, neue Infrastrukturen und neue Erzählweisen.

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