Walter Spies bei Schloss Ahlden

Verräterische Schwingung

Auf Schloss Ahlden kommt ein bedeutendes Gemälde von Walter Spies zum Aufruf. Nur selten werden Werke des Malers in Deutschland versteigert

Von Michael Lassmann
29.04.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen 7/22

Dass Künstler ihrem Beruf zuliebe Sonderwege einschlagen, ist nicht ungewöhnlich, doch wohl nur wenige führten ein derart romanhaftes Leben wie Walter Spies: Der Maler, Fotograf, Bühnenbildner, Musiker und Komponist war als Sohn eines deutschen Unternehmers und Vizekonsuls in Moskau in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen. In seinem kosmopolitischen Elternhaus verkehrten Berühmtheiten wie Gorki, Scrjabin und Rachmaninow, und die anerzogene Leichtigkeit im Knüpfen der stets richtigen Verbindungen verließ ihn auch später im Leben nicht.

Als seine Familie Russland verlassen musste und sich in Dresden niederließ, fand er rasch Kontakt zu wichtigen Vertretern der deutschen Avantgarde, darunter Emil Nolde, Max Pechstein und Oskar Kokoschka. Er stieß zur Novembergruppe und erkor vorausschauend Otto Dix, Paul Klee und Marc Chagall zu seinen Vorbildern, weshalb man ihn heute reinsten Gewissens als Vertreter des „Magischen Realismus“ verorten kann. Er selbst malte eigenen Erinnerungen zufolge höchstens drei, vier Bilder im Jahr. „Ich hatte seit jeher immer tausend andere Interessen“, fügte Spies an. Dazu gehörten neben Kunst und Musik auch der Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau, der ihn als Regieassistent für sein Meisterwerk „Nosferatu“ verpflichtete und eine Liebesbeziehung mit ihm begann. Von ihm wird später noch die Rede sein.

Als Maler war Spies aber wohl nicht ganz so unproduktiv, wie er sich darstellte: 1923 beteiligte er sich mit elf Gemälden an der Jahresausstellung des „Hollandschen Kunstenaars Kring“ im Stedelijk Museum, und 1924 / 26 war er auf der „Großen Berliner Kunstausstellung“ vertreten. Da aber hatte er sich bereits von Europa verabschiedet und sich als Matrose Richtung Batavia (Jakarta) eingeschifft. Dort förderte er als Kapellmeister am Hof des Sultans von Yogyakarta die Orientierung an westlicher Musik, bevor er sich 1927 dauerhaft auf Bali niederließ. Auch dort hinterließ er Spuren: In fürstlichem Auftrag betreute er ein Projekt zur Reformierung der dortigen Malerei, kümmerte sich durch den Aufbau junger Gamelan-Ensembles um die Pflege traditioneller Musik und prägte durch eine Film-Choreografie auch die heutige Form des auf religiösen Trance-Ritualen basierenden Kecak-Tanzes.

Daneben schuf Spies vor allem Landschaftsbilder, die Land und Leute seiner Wahlheimat in eine Sphäre des Märchenhaft-Unwirklichen rückten. Sein Haus wurde zum kulturellen Zentrum Balis und Anziehungspunkt für prominente Touristen; so zählten neben allerlei Künstlervolk auch Charlie Chaplin, Woolworth-Erbin Barbara Hutton und die Ethnologin Margaret Mead zu seinen Gästen. Aufgrund seiner offen gelebten Homosexualität wurde er 1938 inhaftiert; er starb 1942 bei seiner Deportation nach Ceylon durch einen japanischen Fliegerangriff.

Walter Spies, Transformationsakt, Schloss Ahlden
Das frühe Hauptwerk „Transformationsakt“ (Öl/Papier, um 1920, 58x47cm) des Multitalents Walter Spies (1895–1942) stammt aus dem Besitz der Familie Friedrich Murnaus. Schloss Ahlden rechnet in der Auktion am 8. Mai mit mindestens 300.000 Euro. © Schloss Ahlden

Am 8. Mai kommt auf Schloss Ahlden ein frühes Hauptwerk des Multitalents zum Aufruf. Es stammt aus dem Besitz der Familie Friedrich Murnaus, der es seinerzeit als Geschenk erhalten hatte. Inspiriert war das um 1920 entstandene Gemälde „Transformationsakt“ wohl durch eine aktuelle Verfilmung des „Carmen“-Stoffs von Ernst Lubitsch: Auf der Bühne in der oberen Bildhälfte ist eine spanische Tänzerin gezeigt, die in der Standard-Pose sämtliche Klischees des Exotinnen-Genres zu persiflieren scheint; verräterisch ist auch ihr weit schwingender Rock, der wirbelnde Bewegung vortäuscht, obwohl ihre geschlossenen Füße sicher auf dem Boden stehen und nicht den kleinsten Tanzschritt ausführen.

Titelgerecht gewährte Spies auch Einblicke, die dem Zuschauer üblicherweise verwehrt sind: Hinter einem gläsernen Paravent ist die Dame gleichzeitig als Aktfigur beim Ankleiden in der Garderobe zu bewundern; unterdessen streckt sich im Spiegel hinter ihrem Rücken gleichsam als Publikumsverhöhnung ihr üppiges Hinterteil dem Betrachter entgegen. Im Idealfall unsichtbar bleiben auch die Musiker im Orchestergraben, die hier in fächerartiger Anordnung den Bildraum unterhalb der Bühne einnehmen. Perspektivische Regeln sind dabei außer Kraft gesetzt: Die Spieler im Vordergrund sind nicht nur deutlich kleiner gegeben als ihre Kollegen hinten im Bild, sondern zu den äußeren Rändern hin samt Stühlen rigoros in die Waagerechte gekippt, was der Komposition die Optik einer Pop-up-Karte verleiht, deren Motiv erst seine dreidimensionale Wirkung entfaltet, wenn sie korrekt aufgestellt ist.

Dass dieses Schlüsselwerk überhaupt auf einer deutschen Auktion angeboten wird, ist für sich genommen bereits eine Sensation, denn in den letzten Jahrzehnten wurden Gemälde des Künstlers fast ausnahmslos von Christie’s und vor allem Sotheby’s vermarktet, die sie an ihren Standorten in Hongkong versteigerten. Seit der Jahrtausendwende kam es dort wiederholt zu Zuschlägen in Millionenhöhe – zuletzt 2018 bei Sotheby’s, wo das Landschaftsbild „Berge und Teich“ umgerechnet knapp 2,2 Millionen Euro erzielte. Vor diesem Hintergrund scheint die Taxe für den „Transformationsakt“ mit 300.000 Euro recht niedrig angesetzt, zumal das Bild als Geschenk an einen engen Freund auch einen stark autobiografischen Bezug für den Künstler hatte.

Service

AUKTION

Schloss Ahlden

Besichtigung: 24. April bis 5. Mai 2022

Auktion: 7./8. Mai 2022

schloss-ahlden.de

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