Wir beginnen unseren ersten Tag selbstverständlich am Magdeburger Dom, besichtigen das Grab von Otto dem Großen, lernen etwas über die Geschichte seiner Frau Editha im gegenüberliegenden Museum Ottonianum, und bestaunen Hundertwassers Grüne Zitadelle
ShareDer Reim stammt aus einem jahrzehntealten Kinderlied, aus einer Zeit, als diese Stadt noch eine andere, grauere war: „Ist denn die Elbe immer noch dieselbe?“ Das klingt harmlos, doch war diese Frage in Magdeburg schon immer eine existenzielle: In ihrer Geschichte hat sich die Stadt so oft verwandelt, dass sie sich manchmal selbst kaum wiedererkannt hat. Als Kaiserstadt, Festungsstadt, Stadt des Schwermaschinenbaus, als grüne Stadt am Fluss. Magdeburg wurde niedergebrannt, zerbombt und wiederaufgebaut. Selten war die Stadt danach schöner als vorher. Auch nach dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt im vergangenen Dezember muss sie sich gerade mal wieder neu finden.
All die Brüche zwischen dem sandsteinernen Uralten und dem rosa leuchtenden Neuen, zwischen dem Kaputten und dem Geheilten: Das ist Magdeburg heute. Bevor die drei Tage hier beginnen, keine Sorge: Die Elbe ist noch dieselbe, nur sauberer als früher. Und eigentlich könnte man die Tage auch einfach an den Promenaden und den blühenden Ufern wegflanieren. Aber was würde man dabei verpassen!
Auf einem Felsen über der Elbe thront wie ein Kaiser der Magdeburger Dom. Zu Recht: Er ist die Grabstätte von Otto dem Großen, dessen Kaiserreich im 10. Jahrhundert von Schleswig bis Rom, von Antwerpen bis Ljubljana reichte. Der Dom war das erste gotische Bauwerk in Deutschland und ist der Stolz der Stadt: Home is where the Dom is. Auch Menschen, die nicht bei jedem Städtetrip mit tränenglänzenden Augen von Kirche zu Kirche stürmen, können sich rühren lassen. Von der Alabasterkanzel oder der ranzigen Ablasskiste, vom hölzernen Mahnmal Ernst Barlachs. Und vor allem von den klugen und törichten Jungfrauen, zehn filigranen Skulpturen aus dem 13. Jahrhundert, die feixend und schluchzend beieinanderstehen, als hätten sie geahnt, was diese Stadt noch erwarten würde. Das Marmorgrab von Otto nebenan wird gerade saniert und liegt verborgen unter Spanplatten. Der Domprediger bat beim Kaiser um Vergebung.
Mehr Domgeschichten gibt es im Museum Ottonianum gegenüber der Kathedrale, in dem sich zu DDR-Zeiten die Staatsbank befand. Im faszinierendsten Teil erzählt das kleine Museum von Ottos Frau Editha und den Dingen, die man über sie herausfand, als 2008 ihr Bleisarg geöffnet wurde. Was sich alles aus einigen Oberschenkelknochen, verstaubten Seidengewändern und mittelalterlichen Bettwanzen lesen lässt!
Im Kulturhistorischen Museum geht es auch um Otto: Im Kaiser-Otto-Saal steht der Magdeburger Reiter aus dem 13. Jahrhundert, der dem Kaiser nachempfunden sein könnte. Bis 18. Mai zeigt eine Sonderschau zudem Stadtbilder aus sechs Jahrhunderten. Dann gönnen wir uns einen Kaffee der lokalen Rösterei Kröm im Café Thies, mit einem Stück Zupfkuchen. Ein heiterer Antagonist zur Kirche und den umliegenden Barockbauten steht seit zwanzig Jahren ein paar Schritte weiter am anderen Ende des Domplatzes: die Grüne Zitadelle, eines der letzten Projekte des Wiener Architekten Friedensreich Hundertwasser. Auf grandiose Weise passt dieses krumme, rosafarbene Gebilde mit den Bäumchen und goldenen Kullern auf dem Dach in diese eigenwillige Stadt. Hundertwassers Häuser werden von Architekten so leidenschaftlich verachtet, wie sie von Touristen geliebt werden. Mit einem Lieblingssatz des Lebenskünstlers ist alles dazu gesagt: „Life without Kitsch becomes unbearable.“ Es gibt im Haus auch ein Hotel. Wer dort absteigt, sollte sich vorher auf Musterunverträglichkeiten testen lassen.
Zum Abend machen wir einen Schlenker zur Galerie Himmelreich. Die präsentiert bis Ende April Plastiken und Zeichnungen des Bildhauers Klaus Thiede, der ab den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auch in der Dombauhütte wirkte. Danach endet der Tag am Fürstenwall hinterm Dom. Im Biergarten der Schweizer Milchkuranstalt sitzt man unter Linden am alten Holzpavillon, schaut den Boulespielern zu und der dunklen, mondschimmernden Elbe nach.
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