Interview mit Andres Lepik

Bauen gegen die Armut

Für wen bauen wir eigentlich? Die neue Ausstellung des Architekturmuseums in München widmet sich der Architektin Marina Tabassum aus Bangladesch. Wir sprachen mit Andres Lepik, dem Direktor des Museums, über ein wenig beachtetes Land, Häuser in Zeiten des Klimawandels und das menschliche Maß

Von Alexander Hosch
27.02.2023

Wie erreichen wir weniger starre Normen und ein erschwingliches Bauen für alle?

Da gibt es mehrere Massnahmen, die wir schnell umsetzen müssen. An erster Stelle eine Neubewertung des Bestandes. Ich habe ja das Abriss-Moratorium an die Bundesbauministerin mitunterschrieben. Die grundlegende Frage ist: Was können wir umnutzen? Muss ein Neubau wirklich sein? Kann man den alten nicht mit sinnvollen Mitteln ertüchtigen? Nächste Frage: Brauchen wir immer noch mehr Sicherheit? Und: braucht jeder immer noch mehr Quadratmeter Wohnfläche? Auch der Gesetzgeber muss sich fragen: Können wir die strengen Regeln in allen Levels von Baugenehmigungen nicht etwas herunterfahren? Das sollte den Wohnungsbau vergünstigen.

Sollten Staat und die Städte nicht mehr Grundstücke oder Immobilien selbst besitzen, um sie günstig an Bedürftige weiterzugeben? Was ist da Ihre Meinung?

Gerade hat der Freistaat Bayern an Apple wieder ein hochattraktives Filetstück in der Münchner Innenstadt verkauft. Das ist das falsche Signal. Städte und Kommunen sollten ihre Grundstücke nur noch in Erbpacht vergeben. Damit die Spekulation nicht mehr ins Unendliche geht. Wenn man die besten Lagen verkauft, kann die Gemeinschaft sie nie mehr zurückholen. Dafür ist es aber ohnehin schon fast zu spät.    

Wohnneubauten wie das Stelzenhaus von Florian Nagler am Münchner Dantebad schaffen durch kluge Kniffe Mieten von der Hälfte des Üblichen. Muss das für Städte Pflicht werden?

In der konsequenten Nachverdichtung von urbanem Raum steckt ein grosses Potenzial. Hier muss die städtische Gesellschaft aktiv mithelfen. Bei dieser guten Lösung am Dantebad hätte München sagen müssen: Da machen wir jetzt genau so auch noch auf anderen Flächen weiter, an einer zweiten, dritten, vierten Baustelle…

Khudi Bari MTA
Das Khudi Bari, ein Tiny House, ist so konzipiert, dass es Hochwasser und Wind standhält und leicht umgesiedelt werden kann. © Citysyntax

Der Psychoanalytiker Mitscherlich beklagte 1965: „Bei der Planung von Stadtvierteln reden Vermessungsbeamte, Bauingenieure, Ausschreibungsexperten, Volkswirte und Statiker mit. Aber keiner, der für die künftigen Bewohner spricht.“ Hat sich das geändert?

Nein. Durch die überkomplexen Gesetze sitzen immer mehr Parteien am Tisch. Die Utopie, dass wir als Gesellschaft gerechter und günstiger bauen müssen, ist in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen.

Der deutsche Architekt Ole Scheeren, der viel in Asien baut, sagte neulich im Weltkunst-Interview: Westliches Bauen ist oft zu fantasielos. Hat er recht?

Im Augenblick ja. In der Nachkriegszeit hat man in Europa noch sehr viel Fantasie gehabt. Beispiel: Scharouns Philharmonie in Berlin, ein utopisches Gebäude mit allerniedrigsten Standards, das würde heute keiner mehr in dieser Form genehmigen. Trotzdem ist es ein Bau mit viel Utopie und der Bereitschaft, mit geringstem Materialeinsatz einen maximalen Raumeffekt zu erzielen – ein über Generationen leuchtendes Bild, das auch noch Frank Gehry für seine Walt Disney Concert Hall inspirierte. Grundsätzlich gibt´s aber schon noch gelegentlich Fantasie: Die Elbphilharmonie wurde zu einem kulturellen Leuchtturm, der die Stadt Hamburg weit vorangebracht hat.

Uns als Kunstmagazin interessiert auch die Schönheit: Zählt die im einfachen Wohnbau?

Das ist ein ganz zentraler Punkt, den wir in vielen unserer Ausstellungen zum Thema gemacht haben. Bauen für ärmere Menschen oder Obdachlose darf niemals heißen: Verzicht auf ästhetische Ansprüche oder auf hochwertige Raumlösungen. Gute Details und ein schlaues Konzept sind keine Frage des Preises, sondern eine Frage der Intelligenz. Das Beispiel, das Sie vorher genannt haben: Der Kollege Florian Nagler hat das Haus am Dantebad mit vorgefertigten Holzmodulen entwickelt, und es hat trotzdem einen hohen Anspruch in der städtebaulichen Qualität, Materialität, Farbigkeit und mit dieser Dachterrasse, die von allen für Gärten genutzt werden kann. Und wie man sieht: Das kostet nicht viel. Das Problem in vielen ähnlichen Projekten sind die öffentlichen Ausschreibungsverfahren, die nur den günstigsten Architekten, günstigsten Bauträger usw. belohnen. Günstig ist kein Kriterium. Als soziale Gemeinschaft können wir uns keine minderwertige, also zweitklassige Architektur für Flüchtende, für sozialen Wohnungsbau, Notunterkünfte etc. leisten. Das schafft noch mehr soziale Ungleichheit und Spannungen.

Panigram Resort MTA
Das Panigram Resort, ein umwelt- und sozialverträgliches Tourismusprojekt in Chawgacha, Jashore. © Mithum

Sollten wir wie in den 1920ern die besten Architekten gewinnen lassen, um sie großformatig für unsere Städte bauen zu lassen? Oder muss jede Kita und jeder Block individuell sein?

Spontan würde ich sagen: Ja, wenn die Städte noch die Flächen haben, macht das viel Sinn. Die Kommunen können Talente wie damals Ernst May in Frankfurt aber nicht mehr als öffentliche Planer an sich binden. In der frühen Moderne war der Anspruch, dass es eine soziale Dimension des Bauens gibt, essenziell. Der 2. CIAM-Kongress stand unter dem Titel: Bauen für das Existenzminimum. Da sind alle damaligen Star-Architekten zusammengekommen, um einfachen Wohnraum zu entwerfen. Heute wäre die Teilnahme an so einer Konferenz wohl nicht so hoch. Also ja, ich stimme voll zu: Unsere Planungsbehörden müssten mehr selbst entwickeln – wie in Wien. Da gehören 30, 40 Prozent des Mietwohnungsbestands der Stadt. Die haben seit der 1930er-Jahren nie den eigenen Bestand verkauft, auch nicht wenn sie knapp bei Kasse waren.

Zurück nach Bangladesch. Oder anderswohin: Wo wird wirklich für die Menschen gebaut? An welchem Land können sich die anderen gerade orientieren?  

Nun, in Bangladesch plant und baut Marina Tabassum in der Megacity Dhaka einerseits sehr hochwertige Apartmenthäuser, aber sie entwickelt eben auch supereinfache Gebäude wie im Flüchtlingslager Camp Cox’s Bazar. Es gibt eine Balance der Aufgaben innerhalb ihres Büros, und das ist gut so. Als aktuelles Vorbild in Europa möchte ich Finnland nennen: Da ist es jetzt tatsächlich gelungen, die Obdachlosigkeit praktisch abzuschaffen. Niedrigschwellig hat man – nach dem US-Prinzip Housing First – sehr günstige Wohnungen hingestellt und gesagt: Erst holen wir die Menschen von der Straße, dann erhalten sie die zusätzlich notwendige medizinische und therapeutische Unterstützung. Es gibt eine EU-Norm für 2030 zur Abschaffung von Obdachlosigkeit. Aber in Finnland sind sie 2023 schon über die Schwelle marschiert – so etwas finde ich toll.

Bait Ur Rouf Moschee Marina Tabassum
Die Bait Ur Rouf Moschee, entworfen von Marina Tabassum für einen Standort in einem dicht besiedelten Viertel in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. © Sandro di Carlo Darsa

Service

Ausstellung

„Marina Tabassum Architects: In Bangladesh“,

bis 11. Juni,

Pinakothek der Moderne, München

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