Die Schriftstellerin Annabelle Hirsch hat den renommierten Farbhistoriker Michel Pastoureau im Pariser Vorort Boulogne besucht. Eine bunte Geschichte der Welt von den Barbaren bis zu Barbie
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16.08.2024
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 230
Wenn wir schon bei den Anfängen sind: Wie kommt ein Latinist, ein Mediävist, der an der Elitehochschule für Archivare und Bibliothekare École des chartes zur „Heraldischen Tierdarstellung im Mittelalter“ promoviert hat, überhaupt dazu, sich auf diesen eher übersehenen Schauplatz der Geschichtsschreibung, die Farbhistorie, zu spezialisieren? Wieder grinst er schelmisch: „Ich habe mich einfach auf die Themen konzentriert, die mich schon als Kind faszinierten: die Farben, die Tiere, die Ritter. Die meisten Leute gehen irgendwann zu anderen Sujets über. Ich nicht. Ich bin einfach dabeigeblieben.“ Tatsächlich wirkt Michel Pastoureau manchmal wie ein großes, sehr kluges, erschreckend belesenes Kind. Er spricht mit so viel Freude und Zärtlichkeit von seinen Themen, sagt Dinge wie, dass sein Buch über den „Wal“ wahrscheinlich so gut laufe, weil der Wal ein so „ungemein sympathisches Tier“ sei, dass man manchmal vergisst, dass es sich hier um einen international angesehenen Wissenschaftler handelt, der fünfunddreißig Jahre lang den Lehrstuhl für abendländische Symbolik an der Sorbonne innehatte. Nichts an ihm wirkt belehrend, nichts blasiert. Er trägt seine Geschichten, seine ulkigen Anekdoten und erhellenden Fakten vor, als hätte er sie selbst gerade erst entdeckt und müsste sie dringend mit jemandem teilen. In seinen ersten Jahren an der Universität hat man ihn für seine offensichtliche Begeisterung oft belächelt, gemeint, das sei doch nicht seriös, was er da betreibe: „Man sagte: Der Pastoureau will sich doch nur amüsieren. Das war damals negativ gemeint. Geschichte war nicht dazu da, Spaß zu haben.“
Glücklicherweise ließ „der Pastoureau“ sich davon nicht verunsichern. Er blieb bei seinen Vorlieben und etablierte die Farbe in Frankreich als ernst zu nehmendes Forschungsfeld, vor allem aber auch: als einen Weg, sich die Vergangenheit nicht nur im etwas blutarmen Schwarz-Weiß, sondern en couleur, in vielen Farben schillernd, vorzustellen. Kein Wunder, dass irgendwann nicht nur die Modeindustrie, sondern auch das Kino bei ihm anklopfte, um von seinem Wissen zu profitieren. Wenn er über diesen kurzen Exkurs in die Welt des cinéma, vor allem seine Erfahrung als Berater beim Dreh von „Im Namen der Rose“ von Jean-Jacques Annaud erzählt, guckt er wie einer, dem ein Coup gelungen ist, jemand, der bis heute nicht ganz begreift, wie er eigentlich dort landete. Zumal Michel Pastoureau, wie er nun etwas beschämt zugibt, findet, dass das „richtige Kino“ schwarz-weiß ist. Dieser Dreh aber sei eine tolle Erfahrung gewesen, erzählt er, aufregend, etwas ganz anderes. Nur unterlief ihm leider ein schlimmer Fehler: „Annaud wollte damals eine Szene mit Schweinen drehen, was an sich kein Problem darstellen sollte, nur hatte ich vergessen, dass Schweine im 14. Jahrhundert in Europa noch nicht rosa waren, sondern schwarz. Es fiel mir im allerletzten Moment ein, und da wir so schnell keine schwarzen Schweine fanden, mussten wir die armen Tiere anmalen. Es war eine fürchterliche Sauerei – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Erst die Kreuzung mit asiatischen Schweinen brachte das Schweinchenrosa in unsere Welt. Wer hätte das gedacht.
Überhaupt ist das Rosa als Ton interessant. In „Das Rot“ kann man ein paar Seiten darüber lesen. Man lernt dort, dass die Farbe in der uns bekannten und als solches benannten Form erst seit relativ kurzer Zeit, nämlich seit Mitte des 18. Jahrhunderts und der Erfindung der rosafarbenen Rose in der Botanik, existiert. Und dass es Madame de Pompadour, die Mätresse des französischen Königs Ludwig XV., gewesen ist, die ihr zu großem Erfolg in der Inneneinrichtung und der Mode verhalf. Oder auch, dass das Rosa bis ins späte 19. Jahrhundert hinein keineswegs als Mädchenfarbe galt, sondern durchaus auch als männlich durchgehen konnte. Absolut, sagt er und fragt sich, was die rosarote Welle, die seit dem Barbie-Film über die Welt rollt, wohl zu bedeuten hat. Seine Töchter hätten ihm erklärt, der Film mache sich über sich selbst lustig, damit es niemand anders machen könne. Er hat also versucht, ihn anzuschauen, doch es gelingt ihm einfach nicht: „Es ist schlicht zu viel Rosa und überhaupt kein Grün. Das ist vielleicht das Unerträgliche: wenn das Grün fehlt.“ Dass der Historiker selbst keine besondere Liebe zum Rosa hegt, ist eindeutig. Und doch kommt er nicht darum herum zuzugeben, dass die Geschichte dieser Farbe überraschend spannend ist: „Es steckt viel mehr darin, als man auf Anhieb denken mag. Es ist ein unglaublich reiches Terrain.“ Er lächelt. In Frankreich bringt er in diesem Herbst ein neues Buch heraus. Es heißt: „Le rose“.