Der Wiederaufbau des Schlosses ist fast vollbracht. Nun wurden die Fresken des Altans rekonstruiert, die einst als sächsisches Weltwunder galten. Ihre Bilder offenbaren Machtspiele des 16. Jahrhunderts
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21.05.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 226
Die ursprünglichen Fresken waren bei der Erweiterung des Dresdner Stadtschlosses anlässlich der Verleihung der Kurfürstenwürde 1547 durch Kaiser Karl V. entstanden. Von einer Italienreise hatte Kurfürst Moritz nicht nur eine Vorliebe für die italienische Kunst mitgebracht. „Ihm war klar, dass, wollte er diese Kunst nach Sachsen importieren, dafür nur italienische Künstler infrage kommen konnten“, erklärt Holger Krause. Also engagierte der Kurfürst die Brüder Benedetto, Gabriele und Quirino Tola aus Brescia. Sie sollten den geplanten Umbau des Schlosses maßgeblich gestalten.
Was ihre Fähigkeiten anging, nahm es Moritz nicht so genau. Oder freundlicher ausgedrückt: Die Brüder Tola waren Multitalente. Quirino war eigentlich Trompeter, und bei Benedetto und Gabriele handelte es sich im Grunde auch um Musiker. Allerdings hatten die beiden Letzteren Ausbildungen zum Maler absolviert, zuerst bei ihrem Vater Paolo und anschließend bei Girolamo Romanino, einem auf die Al-fresco-Technik spezialisierten Künstler aus Brescia. Für Matthias Zahn und sein Team waren die Brüder Tola ein wichtiges Teil des Puzzles, das sie zusammenfügen mussten. Denn von den Tolas waren nicht nur ihre Fresken am Dresdner Altan nicht mehr erhalten, es existierten auch sonst keine überlieferten Werke von Benedetto und Gabriele.
Das war nicht das einzige Problem bei der Neuinszenierung des großen Schlosshofes und seines Altans. Im Lauf der Jahrhunderte hatte die Dresdner Residenz eine Reihe von teils dramatischen Einschnitten erfahren. 1701 ereignete sich der große Schlossbrand, der weite Teile des Renaissancebaus vernichtete. Dabei nahmen auch die Fresken der Brüder Tola Schaden. Ende des 19. Jahrhunderts verbreiterte man die Laubengänge der Loggia um fast einen Meter. Und dann, mit den Luftangriffen am 13. Februar 1945, die große Katastrophe: fast völlige Zerstörung, in den folgenden Monaten rudimentäre Sicherung der Reste und lange Unklarheit, was damit geschehen sollte. Es dauerte bis ins Jahr 1985, dass sich das Blatt zugunsten des Schlosses wendete. In diesem Jahr war als erstes historisches Gebäude der Dresdner Altstadt die Semperoper wiederaufgebaut und eröffnet worden. Die Anerkennung, die es dafür von allen Seiten gab (auch aus dem Westen), animierte die Führung der DDR, das Residenzschloss nun ebenfalls umfassend zu restaurieren.
Matthias Zahn war schon damals als junger Werkstudent dabei. Die Forschungen begannen: Alte Darstellungen des Schlosses wurden gesucht, Gemälde und Kupferstiche studiert. Was den Altan betraf, ergab das bereits etliche sehr hilfreiche Hinweise auf dessen Ausstattung. Zunächst finanziert durch Spenden, entstand das Konzept für den Schlosshof: die Wiederherstellung der Dekoration in größtmöglicher Nähe zum Zustand des 16. Jahrhunderts. Matthias Zahn und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter reisten dafür mehrfach nach Brescia, um in der Umgebung norditalienische Fresken zu analysieren. Sie stießen auf Werke aus der Werkstatt des Girolamo Romanino, namentlich auf die des Malers Lattanzio Gambara, der mit Benedetto Tola Gehilfe bei Romanino gewesen war und später in dessen Fußstapfen trat.
Diese Arbeiten lieferten entscheidende Anhaltspunkte, was den manieristischen Stil und die Farbgebung der Werke der Tolas anging. Zahn bekam eine immer genauere Vorstellung der vielfigurigen, dynamischen Kompositionen des späten 16. Jahrhunderts. „Wir entschlossen uns, die Palette auf erdige Farbtöne und insgesamt zehn Pigmente zu beschränken. Diese Entscheidung hat uns sehr weitergebracht.“ Aus den Quellen erschlossen sich auch die Motive der Fresken am Altan – die Entwurfsphase begann, sie sollte viele Jahre dauern. Die Restauratorinnen und akademisch ausgebildeten Maler um Matthias Zahn fertigten Modelle in verschiedenen Größen an, 1:10, 1:3 und die Bildfelder in 1:1. Schritt für Schritt übertrugen sie die Motive von einer Schablone zur nächsten. Schließlich teilten sie die Kompositionen in Tagwerke, um die Darstellungen nach überlieferter Al-fresco-Technik in den feuchten Kalkputz zu malen. Für diesen finalen, entscheidenden Abschnitt des Projekts benötigten sie am wenigsten Zeit: fünf Monate, von Mai bis September 2023.
Das hätte auch fürchterlich schiefgehen können, aber tatsächlich ist es ein Triumph, der sich nicht so leicht wiederholen lässt. Nun ergibt alles wieder Sinn: Saulus, der, vom gleißenden Licht göttlicher Erkenntnis getroffen, zu Paulus wird, so wie Kurfürst Moritz zurück zu seiner eigenen Religionszugehörigkeit findet. Die Anbetung des Gottessohns und die Würdigung übergeordneter Autorität wie bei Saba vor dem klugen Herrscher Salomon – mit diesem Programm der Selbstdarstellung, das im großen Schlosshof überall dominiert, stiegen die Regenten Sachsens seinerzeit in den Ring der Deutungshoheit. Und genau dies tun Matthias Zahn, Holger Krause und all die anderen Beteiligten jetzt in der Diskussion um den angemessenen Umgang mit diesem Jahrhundertprojekt auch. Für einige von ihnen ist es zum Lebenswerk geworden.