Nachruf

Abschied von Kazuo Katase

Ein japanischer Künstler, ein internationales Werk, ein deutscher Geist: Gedenken an Kazuo Katase, der mit 77 Jahren in Kassel verstorben ist

Von Dirk Boll
03.02.2024

Es ist interessant, und beinahe überraschend, über Kazuo Katase als japanischen Künstler nachzudenken. In fast 50 Lebensjahren in Europa hatte er die Kultur seines Gastkontinents wie nur wenige reflektiert, ja geradezu absorbiert: Ein langjähriger und stetiger Aneignungsprozess aus Beobachtung und Filterung, Recherche, Lektüre und Durchdringung.

In Gedenken an Kazuo Katase

Nach der Ausstellungspremiere in Tokio im Jahr 1973 wurde sein Werk in Deutschland erstmals 1975 in der Städtischen Galerie in Wolfsburg gezeigt. Das internationale Publikum nahm sein Schaffen spätestens in der Ausstellung „Chambre d’Amis“ wahr, im Jahr 1986 von Jan Hoet in Privathäusern im belgischen Gent kuratiert. Im Laufe seiner Karriere zeigte Kazuo Katase seine Arbeiten in zahlreichen internationalen Museen, vom Folkwang Museum in Essen über das Nationalmuseum in Tokio oder die Staatsgalerie Stuttgart bis hin zu seiner großen Werkschau im Museum Wiesbaden 2013. Heute ist sein Schaffen in Museumssammlungen von München bis Hiroshima präsent, vor allem aber durch zahlreiche Skulpturen im öffentlichen Raum, von Kassel, Ludwigshafen und Hanau über Bamberg, Lünen und Schwerte bis nach Lille oder Naoshima.

Portrait von Kazuo Katase, Karlsaue, Kassel, 2016. © Studio Katase
Kazuo Katase in der Karlsaue in Kassel, 2016. © Studio Katase

Ich selbst bin Kazuo Katase 1992 begegnet. Zu diesem Zeitpunkt war er gefeierter documenta-Künstler, es war das Jahr der documenta IX. Schon damals war ausgesprochen faszinierend, was man bei einem zeitgenössischen Künstler mit internationaler Biografie nicht unbedingt erwarten würde: die ungeheuer beeindruckende Leidenschaft, mit der Kazuo Katase die europäische Kultur- und Geistesgeschichte in sich aufgenommen und in kaum enden wollenden Gesprächen zu einem eigenen Gedankengebäude rekonstruiert hatte.

Kazuo Katases Werke schlagen eine Brücke zwischen zeitgenössischer Kunst und Philosophie

Dieses Gedankengebäude verschaffte ihm – und im günstigsten Fall auch Gesprächspartnern sowie Rezipienten seiner Arbeiten – Orientierung im Umgang mit der eigenen, zuweilen fremden, beständig zu erkundenden Umwelt. Die Persönlichkeit und, mittelbarer, das Werk Kazuo Katases hatten und haben das Potenzial, zeitgenössische Kunst als Brücke zur Philosophiegeschichte oder zur Musik zu verstehen und zu verwenden.

Das Werk Lichtgestalt von Kazuo Katase in Lyon
Das Werk „Lichtgestalt“ von Kazuo Katase in Lyon (2004) im Jardin Public Aval der Cité Internationale, in Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten Latz + Partner. © Studio Katase

Nie wurde das deutlicher als im Austausch mit dem Künstler selbst. Wenn er in atemberaubenden Monologen seine Gedankenarchitektur entwickelte, seine Erklärung des Seins, dann wurde seine Zuhörerschaft auf eine Reise eingeladen, die leichtfüßig, aber konzentriert zu den wesentlichen Aspekten des Lebens führte: Die Freude an der Schöpfung, die Reflexion der Lebensstufen im Denken und Schaffen, auch die Angst vor dem Ende. Und so leichtfüßig dieser intellektuelle Spaziergang erschien, so konsequent seine künstlerische Arbeit in Erscheinung trat, so reflektiert und ausgewogen waren diese Gedankengebäude, mit ihrem weitreichendem Fundament aus westlicher und östlicher Philosophie und Geistesgeschichte.

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