Das Wohnen ist mit Geräuschen und Musik endlos verwoben. Jeder Raum, jeder Boden, jeder Gegenstand hat seinen eigenen Sound. Folge 29 unserer Stilkolumne widmet sich dem Kammerorchester der eigenen vier Wände
ShareDas Klacken der Schuhe auf dem Terrazzoboden, das leise Klirren der Tee- auf der Untertasse, das Schlagen der Decke beim Aufschütteln des Betts. Sind das nicht die Geräsusche, die den Abend, den Tag, den Morgen versprechen? Solche Sounds halten das Leben in unseren Häusern klanglich zusammen. Wie bei vielen uns umgebenden Dingen beeinflussen wir die Wahl: weicher oder harter Klang (Teppich/kein Teppich), Klingen oder Klopfen (Sèvres-Porzellan/Holz), Hauchen oder Klatschen (Daunen/Latex). Und so kann jeder von uns in diesem Kammerorchester der eigenen vier Wände sowohl Komponist als auch Zuhörer sein.
Sound ist allgegenwärtig. Wer hören kann, hört immer. Die wirklich komplette Stille ist kaum zu erzeugen. Und schwer auszuhalten. Sie wäre schnell lang und quälend. Wenn es so still ist, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, sehnt man sich dann nicht gleich nach dem kleinen Ton der fallenden Nadel? Dann wird Stille so schwer, dass man sie brechen muss. John Cage baute sein ganzes Stück „4’33″“ auf dieser nicht ganz stillen Stille auf, in der die Zuhörenden warten. Bei diesem tonlosen Stück kommen die wenigsten zur Ruhe. Sie warten nicht nur, sie warten ab – sie warten auf das Ende, das erste Geräusch, die Erlösung. Und hört man nichts mehr, was hört man dann? Die eigenen Gedanken? Die der anderen? Seinen Magen? Die Mägen der anderen? Hunger?
Andere Musiker wiederum erschufen ein Genre der Musik, das schon im Namen verrät, dass es dabei um das Erschaffen von Räumen geht. Dieses Genre legt nahe, wie eng unser physisches Umfeld mit Sound in Verbindung steht. Brian Enos Album „Ambient 1: Music for Airports“ war tatsächlich als beruhigende Hintergrundbeschallung für Flughäfen konzipiert und kam in New York sogar zum Einsatz: „Musik zu machen, die sich nicht aufdrängt, sondern eine Art Landschaft kreiert, zu der Du dazugehören kannst. Ich erfand dafür einen wichtigtuerischen Namen: Ambient“, erzählte er später. Auch bildende Künstler und Designer beschäftigen sich mit Sound außerhalb der Musik, angefangen mit der Veränderung von Objekten, Gebäuden oder Oberflächen zur Schallreduzierung. Der Designer und Künstler Harry Bertoia schuf in den Siebzigerjahren seine „Sonambient“-Skulpturen, die sowohl innen ausgestellt als auch außen als Kunst am Bau installiert wurden.
Das Wohnen ist mit Klang, Geräuschen und Musik also endlos verwoben. Umgekehrt sind aber auch Interieurs immer wieder Inhalt von Musik. Roxy Music besangen 1973 mit „In Every Dream Home a Heartache“ die Bewohnerin eines kompletten Immobilienportfolios: die Stadtwohnung („smart town apartement“), das Landhaus („the cottage is pretty“), das Anwesen („the main house a palace“), das Penthouse („perfection“), das Loft („open plan living“) und der Bungalow („ranch style“). Selbst die Bewohnerin stellte sich zuletzt als Einrichtungsgegenstand heraus („De luxe and delightfulI, inflatable doll““). Brian Eno spielte hier auch mit, nämlich den Syntesizer VCS 3, fürs Ambiente …
Wir finden, Musik gehört nicht nur zur aktuellen Stimmung oder im schlechteren Fall zur persönlichen Identifikation. Sie gehört auch zur Identität des Ortes, in dem sie spielt. Religiöse Orte haben ihre zugeordnete Musik, Einkaufszentren und Fahrstühle, Boxkämpfe, Spas und Restaurants ebenso. Und auch das Zuhause aus der Kindheit hat für viele einen eigenen Soundtrack der Erinnerung. Wer Glück hat, ist jetzt gerade, zwischen den Jahren, vielleicht sogar an diesem Ort von damals. Oder will längst wieder weg. Oder schafft vielleicht seinen eigenen ganz neuen Raum.
Das Lied eines Ortes, eines Zuhauses, entsteht aus all den unkontrollierbaren Komponenten wie dem Knarzen der Dielen, dem Rauschen der vorbeifahrenden Züge oder dem Krach der Kinder. Außerdem gibt es die Komponenten, bei denen es in unserer Macht liegt, sie zu verändern oder gar zu spielen: von der Wahl des Schuhwerks bis zur immer wieder aufgelegten Schallplatte. Jetzt kommt ein neues Jahr mit neuen Vorsätzen, und einer könnte sein, vielleicht ein bisschen zur Ruhe zu kommen und zu lauschen, die richtige Musik zu wählen, die wohlklingendsten Gläser rauszuholen und dankbar zu sein. Dann darf man auch ein bisschen feiern. Und dazu gibt es hier ein wenig Ansporn und Einleitung.