Katharina von Werz in München

Ein offenes Haus

Seit sechzig Jahren schafft Katharina von Werz Gemälde und Skulpturen voller Ausdruckskraft. Zu Besuch bei der Künstlerin, die in einer bohemienhaften Villa mit herrlich verwunschenem Garten arbeitet und lebt

Von Christa Sigg
10.10.2023
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 219

„Es ist trotzdem nie zu einer Begegnung gekommen“, wundert sich Katharina von Werz. Sehr viel später, in der dritten Generation, fand doch noch ein Treffen statt, als ihr älterer Bruder sich dank einer kleinen Erbschaft etwas von Gabriele Münter kaufen wollte. Also seien sie zusammen mit einem Kunsthistorikerfreund nach Murnau gefahren, wo die betagte Dame in ihrer bescheiden eingerichteten Villa am Ortsrand residierte. Gerührt vom Interesse der jungen Leute hätte sie ganze Stapel von Zeichnungen auf dem Boden ausgebreitet, und irgendwann sei man sich einig geworden. Ein paar Tage später traf in München ein gut verpacktes Blatt mit einer Widmung ein: „Für Katharina von Werz. Nach einem anregenden Besuch 29. III. 60. Mit Grüßen von Gabriele Münter“ stand unter einem schlichten, für sie typischen Blumenstillleben.

„So etwas bleibt im Gedächtnis“ erzählt von Werz. Doch bei allem Drang, sich künstlerisch auszudrücken, ist sie weit davon entfernt, diesen Ausflug ins Schicksalhafte zu deuten. Vielmehr seien die Schulnoten so lausig gewesen, „dass an gar nichts anderes zu denken war“. Die Eltern hätten lediglich Wert darauf gelegt, dass Katharina ihre Kreativität auf eine solide Basis stellt. Deshalb studierte sie an der Münchner Akademie für das Graphische Gewerbe und sammelte sogar Erfahrungen in einer Londoner Werbeagentur. Die Teeverpackung, die sie damals entwerfen sollte, fiel hingegen völlig aus dem Rahmen. Viel zu groß sei der Prototyp gewesen, Gastro-Size sozusagen. Man könnte das aber auch mit künstlerischer Freiheit umschreiben, und es war ja nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich an der École des Beaux-Arts in Genf einschreiben sollte.

Katharina von Werz
Katharina von Werz im Grünen. © Regina Recht

Das Lineal hat im Kosmos der Katharina von Werz nichts zu suchen, doch die handwerkliche Seite des Grafikdesigns möchte sie nicht missen. Und im Gegensatz zum Großvater, der in der Münchner Akademie eine „blödsinnige und stumpfsinnige Malschule“ sah, begriff die Enkelin jeden einzelnen Kurs in Genf als Gelegenheit, sich zu verbessern. „Ich muss mir um die Technik keine Gedanken machen“, sagt sie und arbeitet, wenn es sein soll, an sieben, acht Bildern gleichzeitig. Ohne jede Einschränkung.

Das war nicht immer so. Denn mit den drei Kindern – zuerst wurde 1964 Tochter Anna geboren – haben sich auch die Prioritäten verändert. Kunst und Familie unter einen Hut zu bekommen war schon eine Herausforderung und in den Sechzigern noch lange nicht selbstverständlich. Um beides zu schaffen, musste die junge Mutter jonglieren und sich oft genug pädagogische Tricks einfallen lassen. Etwa wenn Anna mitmalen wollte und vom Laufstall aus mit den Fingern in die Farben griff. Ein fürchterliches Gebaze sei das gewesen, bis Katharina von Werz mit ihrer Staffelei die Seiten tauschte und im „Käfig“ unbehelligt weiterarbeiten konnte.

Der Skizzenblock von Katharina von Werz
Der Skizzenblock ist ständiger Begleiter der Künstlerin. © Regina Recht

“Für ein Weilchen“, räumt sie ein. Aber darauf komme es auch nicht an, wichtiger sei es, in eine Familie eingebettet zu sein „und Franz und die Kinder und Enkel beflügeln mich“. Übrigens auch als Modell, niemand entkommt ihrem Stift. Der Skizzenblock ist ohnehin ein ständiger Begleiter, ganz egal, wohin es gerade geht. Kürzlich hat sie wieder auf der Fähre nach Korsika gezeichnet, dann die Badenden am Strand. Genauso ergeben sich in den Bergen beim Wandern schöne Szenen. Oder eben im eigenen Garten, wo alles wachsen und wuchern darf. Die Künstlerin hat sich dort vor Langem schon eine Werkstatt eingerichtet, Backstein nimmt keinen Farbspritzer krumm, und der Blick auf die grüne Umgebung tut wohl. Ihr Mann ist gerade dabei, sich dieses Refugium für seine Holzarbeiten zurückzuerobern. Augenzwinkernd erwähnt er das, denn er weiß um das „einnehmende“ Wesen seiner Frau.

Im Haus selbst sind „offene Ateliertage“ angesagt, dauernd. Aber Kunst und Leben lassen sich schwerlich trennen. Und es hat Vorteile, eine neue Idee spontan ausführen zu können; vom Wohnzimmer in den Arbeitsbereich sind es nur wenige Schritte. Töpfe voller Pinsel und Farbflaschen stehen dicht gedrängt um einen Drehhocker. Auf der Staffelei wartet ein neuer Karton mit einem schnell hingeworfenen Paar, das sich wie beim Tanz umfängt: aufmerksam einander zugewandt, mit weit aufgerissenen Augen unter fliegenden Haaren. Alles ist möglich, der Ausgang offen. „Ich weiß gar nicht, wie oft ich solche Paare dargestellt habe, das Thema treibt mich einfach um“, betont von Werz. Selbst unter ihren kleinen ungestümen Terrakotta-Figuren finden sich solche Zweierkonstellationen wie die Tanzenden auf einem herzförmigen Pokal, zwei “Föhnstürmerinnen“ oder ein lüsterner Zeus, der einer Nymphe gefährlich nahekommt.

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