Entwaffnend fröhlich mischt das Münchner Künstlerduo Mehmet & Kazim die Szene auf. In ihrem New Yorker Atelier sprechen die Cousins über ihre Anfänge mit Graffiti und Hip-Hop und über ihr neues Bühnenbild für die Kammerspiele
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03.11.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 205
MEHMET AKAL Ein Reisestipendium vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Damit kann man sechs Monate lang irgendwo in die USA. Wir haben uns für New York entschieden, vor allem wegen Graffiti und Hip-Hop.
KAZIM AKAL Wir haben hier ein Wohnatelier in Bushwick, ein großes Loft, das ist schon super! Unsere Zeit ist aber fast um, in zwei Wochen geht es wieder nach München.
MA Unser Großvater war in der Türkei ein ziemlich berühmter Maler …
MA … mit seinen Bildern sind wir Kinder aufgewachsen. Aber sonst gab es nicht viele Begegnungen mit Künstlern oder so.
KA Unsere Eltern waren schon immer sehr offen, aber sehr mit Arbeit beschäftigt. Und damit, uns großzuziehen. Es war nicht normal, ins Museum zu gehen. So haben wir alleine nach Wegen gesucht, kreativ zu sein, und sind unabhängig voneinander zu Graffiti und Breakdance gekommen. Das war der Anfang des Ganzen.
MA So hat die Sozialisierung bei uns stattgefunden. Wir hatten schon Probleme mit dem Türkischsein, Deutschsein. Was ist man jetzt eigentlich? In der Hip-Hop-Welt war es egal. Da hat man sich sein Pseudonym und seinen Künstlernamen gegeben, ist kreativ geworden und hat sich sein Ding aufgebaut. Dafür wurde man respektiert – oder eben nicht, aber so ist man weitergekommen.
MA Ich bin in Moosach aufgewachsen und dann nach Solln gezogen …
KA … und ich ganz klischeehaft in Neuperlach. Wo man halt so aufwächst.
MA Ich war achtzehn oder neunzehn.
KA Und ich war dementsprechend Ende zwanzig.
MA Wir beide hatten bis dahin wenig miteinander zu tun, uns vielleicht, wenn es hoch kommt, einmal im Jahr bei Familienfesten getroffen.
KA Einmal habe ich dann ein Bild von ihm auf dem Balkon in Solln gesehen und gefragt, wer hat das Ding gemacht? Die Antwort: dein Cousin. Da bin ich in sein Zimmer und habe gefragt, weißt du überhaupt, wer ich bin? Was ich mache? Da ist uns aufgefallen, dass wir sehr viele ähnliche Wege gegangen sind. Vom selben Nachhilfemathelehrer über alle möglichen Sportarten bis zum Graffiti und natürlich die gemeinsame Familiengeschichte. An dem Tag fiel der Entschluss, das Ganze zusammen fortzuführen. Der Gedanke, Künstler sein zu wollen, lag noch fern, obwohl er durch unseren Großvater schon im Raum stand. Er war immer eine Art Leuchtturm.
KA Es gibt legale Plätze wie zum Beispiel an der Tumblingerstraße oder im Schlachthof oder damals auch am Heimeranplatz. Da haben wir meistens gemalt und uns irgendwie ausgetobt. Relativ schnell kamen dann auch die ersten Aufträge, beziehungsweise größere Wände, die wir von der Stadt bekommen haben. Damals war Loomit unser Mentor.
MA Gerade jetzt im Sommer in New York haben wir zufällig auf einer Ausstellung in der Anton Kern Gallery den Künstler Kaws getroffen – und mit ihm über Loomit gesprochen, denn beide hatten 1994 in New Jersey zusammen gemalt!
KA Mich hatte Loomit 1996 in die Graffiti-Szene eingeführt. Als Mehmet dann dazukam, waren wir beide sozusagen die Schüler. Das Verhältnis mit ihm ist bis heute super. Durch ihn haben wir viele legale Wände bekommen. Meine illegale Zeit war schon vorüber, und bei Mehmet war sie auch schon am Abklingen. Zusammen haben wir einfach versucht, gute Bilder zu malen, legal und ohne Stress.
MA Dabei ging es um das gute Bild.
KA Der Ausdruck war uns damals nicht geläufig. Wir wussten gar nicht, um was es uns eigentlich geht, wir wollten einfach eine gute Arbeit abliefern. Philip Guston ist eine echte Größe, der Wichtigste für uns.
MA Der Gott sozusagen.
KA Um auf das Bad Painting einzugehen: Irgendwann sind wir mit dem Graffiti an eine Grenze gekommen. Wir hatten es so weit ausgedehnt, dass wir nicht mehr wussten: Ist es denn jetzt noch Graffiti, oder was ist das dann, was wir machen? So kam der Entschluss, wenn wir jetzt Künstler sein wollen, müssen wir in die Akademie gehen. So fing eine schwere Zeit an. Es war nicht einfach, aus dem Hip-Hop an die Akademie zu kommen – aus einer ganz anderen Welt, die hier überhaupt nicht respektiert wurde. Viele haben nicht gut gefunden, wie organisiert wir waren. Durchs Graffiti war es für uns schon normal, Sachen einfach in die Hand zu nehmen und selbstorganisiert zu machen.
MA Wir haben bei Markus Oehlen studiert. Er hat uns mit den Worten aufgenommen: „Eure Arbeiten sind scheiße, aber ihr seid zwei coole Jungs.“ (Beide lachen.) Er hat uns überhaupt erst mit dem Begriff Bad Painting bekannt gemacht, so haben wir die Schönheit oder das Gute darin kennengelernt.