Christian Bérard

Monsieur Bébé

Vor hundert Jahren verliebte sich die Pariser Kunst- und Modewelt in Christian Bérard, dessen märchenhafte Malerei, Interior Designs, Bühnenbilder und Modezeichnungen jetzt in einer Ausstellung in der monegassischen Villa Paloma wiederzuentdecken sind

Von Annabelle Hirsch
06.10.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 204

Das Bild habe regelrecht in den Raum hineingestrahlt und dessen Gesamtwirkung unterstrichen, sagt Jacques Granges, der es in den Sechzigerjahren dort entdeckte und sich in Bérard verliebte. Ursprünglich war er wegen eines anderen Künstler gekommen, Jean-Michel Frank, dem legendären Innenarchitekten. Er hatte die Wohnung Mitte der Zwanzigerjahre umgestaltet und sie zu einem Gesamtkunstwerk aus höchst ungewöhnlichen Materialien gemacht: Die Betten überzog er mit Schlangenhaut, die Wände mit Pergamentpapier und Eselsleder, Türen kamen aus patinierter Bronze daher, Tische und Stühle aus Rattan. Das Ganze muss derart unglaublich gewirkt haben, so verstörend und faszinierend, dass ein Bekannter Marie-Laure einmal erklärte, er stelle sich ihre Wohnung wie die Hütte eines afrikanischen Magiers vor. Frank und Bébé treffen sich in diesem Wunsch, eine sinnliche und anregende Raumerfahrung zu kreieren, die Leute mitzunehmen auf eine Reise. Worte wie Funktionalität, Rationalität und Ähnliches interessieren sie nicht, was sie schaffen wollen, ist Traum, Fantasie, Opulenz, aber auch Eleganz und Leere. Eine ganz andere Vision des Lebens als Le Corbusier.

Christian Berard Jean-Michel Frank Paravent
Den Paravent (Detail) schuf Bébé mit dem Interior Designer Jean-Michel Frank für die Wohnung von Claire Artaud. Die Kollaborationen der beiden werden derzeit in Monte Carlo und in der neuen Publikation „Christian Bérard. Eccentric Modernist“ gefeiert. © Francis Amiand/courtesy NMNM & Villa Paloma

In den Dreißigerjahren entwirft Bébé parallel zu seinen Bühnenarbeiten immer mehr Stücke für Jean-Michel Franks Galerie: wundervolle Paravents, kleine Tische und Schatullen. Als Frank 1938 von Nelson Rockefeller mit der Inneneinrichtung für sein Apartment auf der Upper East Side von New York beauftragt wird, ist Christian Bérard neben Alberto Giacometti und Henri Matisse einer der Ersten, die er anruft. Er soll einen Teppich beisteuern, etwas Großes. Bébé liefert ein gigantisches, mit floralen Mustern verziertes Stück ab. Ein Meisterwerk, sagt man, das seine Bekanntheit in den USA nur noch steigern wird. Ebenso wie ein paar Jahre später die Inszenierung des sogenannten „Théatre de la Mode“, eine Art Wanderschau, die nach dem Zweiten Weltkrieg beweisen will, dass die französische Couture das Desaster ohne eine Schramme überlebt hat.

Alle wichtigen Designer der Zeit nehmen Teil, Christian Dior, Elsa Schiaparelli, Coco Chanel natürlich und viele andere. Bérard, der zum Leidwesen seiner Bewunderer immer mehr für die Modewelt arbeitet, für Zeitschriften wie Vogue und Harper’s Bazaar, schafft den Rahmen für das Modetheater und lässt die Kleider schwerelos erscheinen. Das ist 1945. Bébé ist zweiundvierzig Jahre alt, scheint aber viel älter. Sein Gesicht und sein Körper sind vom intensiven Leben, seiner Opiumsucht, den vielen Festen, aber auch von seinem unerschöpflichen und in alle Richtungen ausschlagenden Arbeitsdrang, seiner unermüdlichen Kreativität geprägt. Der Selbstmord seines Freundes Jean-Michel Frank hat ihn stark mitgenommen, er denkt selbst immer öfter an seinen eigenen Tod. Er gehört, wie Marcel Proust es sagen würde, zur „glanz- und jammervollen Familie der Nervösen“, zu den Melancholikern, die, wie später auch Yves Saint Laurent, ihre Rettung im Schaffen neuer Welten suchen, aber nie wirklich finden. Seine vielleicht schönste Welt entwirft Bérard 1946 mit Jean Cocteaus Film „Es war einmal“, einer Neuinterpretation von „Die Schöne und das Biest“. Als der Film damals in den Kinos anläuft, ist er sofort ein Kassenerfolg, bis heute gilt er vielen als eines der wichtigsten Filmkunstwerke aller Zeiten. Hauptsächlich wegen Bérard: Die Stars des Films sind seine Kostüme, das Gesicht des Biests und die traumwandlerische Stimmung, die er durch seine Raumgestaltung geschaffen hat.

Christian Bérard Skizze Atelier
Sein Atelier in der Rue Casimir-Delavigne im 6. Arrondissement von Paris skizzierte er um 1936. © Marcel Loli/courtesy NMNM & Villa Paloma

Es gibt Künstler, denen sagt man nach, sie hätten ihr Leben in ein Kunstwerk verwandelt, Bérard hat Alltagsräume zu fantastischen Bühnen gemacht. Und das bis zum Schluss: Als einige Tage nach seinem Tod die Premiere des letzten von ihm mitgestalteten Stückes endete und Louis Jouvet zum traditionellen Applaus für die einzelnen Kollaborateure aufrief, geschah etwas Ungewöhnliches. Man beklatschte Licht und Ton, und als er sagte „Bühnenbild: Christian Bérard“, erhob sich der gesamte Saal, schweigend. Zehn, zwanzig Sekunden lang herrschte eine würdevolle Stille, dann ertönte plötzlich ein entsetzlicher Knall: Der gesamte Bühnenvorhang fiel hinab wie eine Guillotine, als würde der Vorhang sich hinter Bérard schließen wollen. Das sei kein Zufall gewesen, meint Jacques Granges, sondern Bébés letzter Akt: „Er war eben magisch. Einfach magisch.“

Service

Ausstellung

„Christian Bérard, Excentrique Bébé“,

bis 16. Oktober,

Villa Paloma, Monaco

nmnm.mc

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