Vor hundert Jahren verliebte sich die Pariser Kunst- und Modewelt in Christian Bérard, dessen märchenhafte Malerei, Interior Designs, Bühnenbilder und Modezeichnungen jetzt in einer Ausstellung in der monegassischen Villa Paloma wiederzuentdecken sind
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06.10.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 204
Viele sehen in Bébé einen vielversprechenden Künstler, einige sogar den talentiertesten seiner Generation: Der amerikanische Kunstkritiker James Thrall Soby schreibt um 1935 in seinem Buch „After Picasso“, Bérard würde all seine Zeitgenossen in den Schatten stellen. Er überzeugt sogar das MoMA, eines von Bébés Werken zu erwerben. Der nächste Picasso, das klingt nicht schlecht, nur scheint die Anerkennung bei Bérard kaum anzukommen. Er wird von Selbstzweifeln geplagt. Wenn jemand sein Zimmer betritt, dreht er seine Bilder um, so als habe man ihn nackt unter der Dusche erwischt, die Einzelausstellungen, die Ende der Zwanzigerjahre unter anderem in der Galerie Loeb und in der Galerie seines Freundes Christian Dior stattfinden, sind für ihn eine Höllenqual. Was auch erklärt, weshalb Bérard sich bereits zu Beginn der 1930er-Jahre immer mehr von Leinwand und Staffelei weg und immer mehr auf Raumausstattung und Theater zubewegt. Also hin zu Orten, an denen der Geniekult eine mindere Rolle spielt und er mit dem Kollektiv verschmelzen kann.
Seine allererste Produktion ist „La voix humaine“, ein Monolog von Jean Cocteau. Das Bühnenbild ist schlicht, ein Bett, ein Stuhl, ein Telefon, das Gesagte an sich auch, eine Frau spricht dort eine Stunde lang mit ihrem verflossenen Liebhaber. Doch schon bei der Premiere gibt es einen kleinen Eklat: Paul Éluard, der Dichter, sitzt im Saal der Comédie-Francaise und empört sich darüber, dass diese „Frau“ doch in Wahrheit Cocteau sei, der einem Liebhaber nachtrauere. Die Homophobie scheint in den Rängen der Surrealisten um sich zu greifen. Komischerweise trifft die Kritik den sonst so sensiblen Bérard in diesem Fall kaum. Er hat endlich seinen Platz gefunden: In der Arbeit für die Bühne, in der Gestaltung der Räume und dem Entwerfen der Kostüme kann er sich frei ausdrücken, alles hineingeben, was er liebt, Stimmungen kreieren, ohne selbst im Rampenlicht stehen zu müssen. Und so folgen auf diesen ersten Versuch weitere Bühnenbilder. Für das Ballet Russe von Monte Carlo zum Beispiel, dessen künstlerische Leitung sein Partner Boris Kochno mittlerweile übernommen hat. Aber auch Kostüme und Dekors für die damals so zahlreichen Feste, all die Bälle der Zwischenkriegszeit, die so prachtvoll inszeniert sind, dass man sie heute als Performances bezeichnen würde: Der „Bal blanc“ der Comtesse Pecci-Blunt, die vielen Themenbälle von Edith und Étienne de Beaumont, die exzentrischen Soireen der Vicomtesse de Noailles. Bébé ist immer dabei und gestaltet die Soireen mit, er schafft einen Rahmen für die Ausschweifungen.
Doch seine neue Liebe gilt dem Theater. Mitte der Dreißigerjahre beginnt er, mit einem Schauspieler und Regisseur zu arbeiten, mit dem er bis zu seinem letzten Atemzug Bühnenwelten kreieren wird: Louis Jouvet. Eine ihrer markantesten Kollaborationen ist Molières „Die Schule der Frauen“, unter anderem deshalb, weil das Stück den Lauf der Modegeschichte beeinflusste: Viele Jahre nach der Premiere würde der dreizehnjährige Yves Saint Laurent die Inszenierung in seiner algerischen Heimatstadt Oran sehen und eine Art ästhetischen Schock erleben. „Nachdem er das Stück gesehen hatte, ging er nach Hause und baute sich eine kleine Bühne, für die er fortan Kostüme und Dekors entwarf“, sagt Jacques Granges, der selbst lange mit YSL zusammengearbeitet und mit ihm die Begeisterung für Bébé geteilt hat. „Die Begegnung mit Bérards Ästhetik war für Yves wirklich prägend.“ Der Modemacher habe besonders seine gewagten Farbkombinationen bewundert, so Granges, und sein berühmtes Zusammenspiel von Rot und Lila bei Bérard abgeschaut: „Bébé war ein großer Kolorist, ein Meister der Farben.“
Bérard sah Farben als Mittel, um Stimmungen zu lenken: „Um eine dramatische Atmosphäre zu erzeugen“, sagte er selbst, „sollte man Rottöne nutzen. Wenn man hingegen eine beunruhigende Stimmung schaffen will, eignet sich Gelbgrün sehr gut. Um das Glück darzustellen, gibt es nur das Himmelblau, das Blau eines Frühlingshimmels.“ Genau diese Farben findet man in einem seiner schönsten Gemälde wieder, dem Porträt der Mäzenin Marie-Laure de Noailles. Er fertigt es um 1932 an, also zu jener Zeit, als er sich bereits von der Malerei abwendet. Marie-Laure de Noailles muss es bei ihm in Auftrag gegeben haben, sie steht damals auf dem Höhepunkt ihres Ruhms: Seit dem Skandal um Luis Buñuels Film „L’âge d’or“, den sie und ihr Mann finanziert haben, werden die de Noailles von der guten Pariser Gesellschaft geächtet. Man wechselt die Straßenseite wenn man sie trifft, nur liebt die Kunstszene sie deshalb umso mehr. Marie-Laure gilt als Ikone der Avantgarde und wird als solche oft porträtiert. Von Dalí zum Beispiel, von Balthus.
Am besten gefiel sie sich jedoch im Porträt von Christian Bérard. Wie sie da in Begleitung ihrer Tochter Nathalie in einem blauen Kleid vor grünem Hintergrund sitzt, während die Hände auf einem roten Tisch ruhen, wirkt sie weich und streng zugleich, ihr Kind leicht eingeschüchtert von der Situation. Es ist ein intimes Bild, eines, das vom komplexen Mutter-Tochter-Verhältnis erzählt und die Vicomtesse ausnahmsweise einmal als Frau und Mutter, nicht als abstraktes Kunstwesen im Dienste eines Malergenies zeigt. Nicht umsonst thronte ausgerechnet dieses Bildnis in ihrem Herrenhaus in Paris über dem Kamin, fast so, als wolle die Hausherrin den eintretenden Gästen sagen: Die anderen Porträts sind interessant, sehr kunstvoll, falls Sie mich aber wirklich kennenlernen wollen, dann schauen Sie auf dieses hier.