NFTs haben im Jahr 2021 Geschichte geschrieben und dabei ein Handelsvolumen von 44,6 Milliarden Dollar generiert. Die technologische Innovation ist auch ein kulturelles Phänomen. Warum kommt an NFTs gerade niemand vorbei?
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03.06.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 10/22
Während die einen mehr oder weniger stillschweigend hoffen, es handle sich nur um einen kurzen Hype – um reine Spekulationsgegenstände ohne Wertbeständigkeit –, bejubeln die anderen den Beginn eines neuen Zeitalters. Auch für die Kunst. Was steckt hinter diesen drei Buchstaben?
Kurz gesagt, ist ein NFT – also ein Non-Fungible-Token – ein einzigartiger digitaler Vermögenswert auf einer Blockchain, der online in Echtzeit gehandelt werden kann. Die Verknappung macht ihn begehrenswert. Smart Contracts (selbstausführende digitale Verträge, die bei bestimmten, zuvor festgelegten Ereignissen in Kraft treten und seit 2017 an NFT-Standards gekoppelt sind) regeln die Urheberrechte, die IP-Rechte, die Lizenzen und sogenannte Royalties – Tantiemen, die bei jedem Werkverkauf im Secondary Market automatisch in die digitale Geldbörse (Wallet) des jeweiligen Künstlers transferiert werden. In der Regel sind dies 10 Prozent des erzielten Preises, die dort für immer gutgeschrieben werden. Zumindest so lange es die Blockchain gibt, die es als dezentrale öffentliche Datenbank jedem Interessenten erlaubt, Transaktionen mit NFTs allerorts und zu jeder Zeit einzusehen. Der NFT-Markt lebt somit auch von Transparenz. Eine Eigenschaft, an der es dem traditionellen Kunstmarkt per se mangelt (abgesehen natürlich von den öffentlichen Auktionsergebnissen). Bezahlt werden NFTs zum Großteil mit Kryptowährungen wie beispielsweise Ether, dem Zahlungsmittel der derzeit populärsten Blockchain Ethereum. Über 150 Millionen Menschen weltweit nutzen Kryptowährungen, aber nur knapp 300.000 von ihnen besitzen bereits ein NFT – was sich anhand der für den NFT-Erwerb benötigten Wallets belegen lässt.
Im März 2021 ließ ein Auktionsergebnis die Welt für kurze Zeit stillstehen: Bei Christie’s erzielte eine digitale Collage des US-amerikanischen Künstlers Mike Winkelmann alias Beeple 42.329,453 Ether – knapp 70 Millionen Dollar. Im Ranking der teuersten lebenden Künstler landete Beeple damit nach Jeff Koons und David Hockney auf Platz drei. Für Teile der Kunstwelt war das ein Eklat – für den technologiebegeisterten Käufer aus Singapur und die Mitbietenden hingegen ein historischer Moment. Seither glauben viele an die Zukunftsfähigkeit des neuen Mediums.
Man darf allein deshalb davon ausgehen, dass es sich bei NFTs nicht nur um einen bloßen Hype handelt, weil wir uns auf ein neues Internet zubewegen: das blockchainbasierte Web 3 – ein Netz, zu dem Wallets die Verbindung herstellen. Neben dem Lesen und Schreiben wird künftig auch der Besitz von digitalen Daten im dezentralen Netz möglich sein. Schlüsselwort ist hier das Metaverse, der künftige Raum für Kommunikation und Konsum – eine Welt, die durch Virtual Reality und Augmented Reality geprägt ist und unabhängig von einem einzelnen User existiert. Hier entstehen bereits Kunstmuseen, Galerien, Auktionshäuser – und diese digitalen Räume werden mit NFTs bespielt. NFTs sind also ein Teilbereich des neuen Internets, und viele ihrer Anwendungsmöglichkeiten sind mit dem realen Leben verknüpft.
Sehr beliebt sind etwa sogenannte Profile Pictures (PFPs), die vornehmlich im Bereich der Social Media als Statussymbole für die Zurschaustellung digitaler Identitäten genutzt werden – zunehmend auch von Celebrities. Ein Beispiel dafür sind die im Jahr 2017 auf die Blockchain gebrachten CryptoPunks: 10.000 fiktionale computergenerierte Charaktere (24 x 24 px) der Punk-Szene, allesamt Unikate. CryptoPunk #5822 wurde im Februar 2022 aufgrund seiner seltenen Attribute (Avatar-Typ Alien, Kopftuch) über den Marktplatz des CryptoPunks-Entwicklers Larva Labs für 23,7 Millionen Dollar versteigert. Als erstes Metaverse-PFP-Projekt wird Clone X in die Geschichte eingehen – entstanden in Zusammenarbeit mit dem der Kunstwelt bekannten Designer Takashi Murakami. Das dahinterstehende Unternehmen, RTFKT, hat seinen Wert seit seiner Gründung im Dezember 2021 vervielfacht. Wie breit das Spektrum der Nutzungsmöglichkeiten von NFTs ist, demonstriert ein weiteres, extrem erfolgreiches Avatarprojekt: BAYC. Hierbei handelt es sich um eine Kollektion von 10.000 einzigartigen Bored-Ape-NFTs. Wer ein Bored Ape erwirbt, hat Zugang zu einem digitalen Yacht-Club. IP-Rechte ermöglichen die Vermarktung dieser Profilbilder (derzeit findet ein Casting für eine Film-Trilogie statt), der eigens entwickelte Ape Coin verschafft Zugang in das Ape Metaverse. Kostenlose Airdrops halten das Projekt lebendig und erweitern die Fan-Gemeinde. Das verantwortliche Label „Yuga Labs“ hat nach neun Monaten auf dem Markt bereits ein Handelsvolumen von 2 Milliarden Dollar erreicht und im März 2022 die Rechte an den CryptoPunks erworben.
Im Sektor zeitgenössischer Kunst sind animierte Darstellungen in CyberPunk-Ästhetik, Anime und Science-Fiction-Themen populär. Und auch hier explodierte der Markt, wie die Rekordergebnisse der Bluechip-NFT-Künstler XCOPY (7 Millionen Dollar bei SuperRare für „Right-Click and Save As Guy“), Rafaël Rozendaal (900.000 Dollar allein bei „Foundation“, unter anderem für „Deep Blue“), PAK (91,8 Millionen Dollar bei Nifty Gateway für „The Merge“) und Kevin McCoy (1,4 Millionen Dollar bei Sotheby’s für das erste belegbare NFT-Kunstwerk „Quantum“ aus dem Jahr 2014) demonstrieren. Ende 2021 wurde die im Februar des Jahres auf der NFT-Plattform „Foundation“ für 590.000 Dollar veräußerte „Nyan Cat“ des Künstlers Chris Torres sogar an die Spitze von „Power 100“ gestellt – einer jährlich vom britischen Magazin ArtReview veröffentlichten Liste der nach Ansicht einer anonymen Jury hundert einflussreichsten Persönlichkeiten und Bewegungen der aktuellen Kunst.
Der NFT-Markt erscheint im Vergleich zum traditionellen Kunstmarkt dynamisch und schnell. Da er noch in den Kinderschuhen steckt, ist er aber definitiv extrem volatil. Ein ernsthaftes Investment erfordert viel Recherchearbeit. Gute Projekte fangen bereits bei 0,05 bis 5 ETH an – sie können explodieren, aber auch tief im Tal versinken. Wer einsteigen möchte, benötigt somit gute Nerven und Krypto-Wissen. Nicht zuletzt deshalb sollte ein NFT, das man erwirbt, einfach auch gefallen. Die vielen Spekulanten in dem noch jungen Markt sollten jedenfalls beachten, dass ein innerhalb eines Jahres erzielter Gewinn vollumfänglich versteuert werden muss. Die Finanzämter können und werden sich rückwirkend die Transparenz der Blockchain zunutze machen.
Die Reaktionen der Kunstwelt auf NFTs sind zwar in Teilen durchaus noch verhalten, aber die Neugierde wächst. Die Uffizien beispielsweise nutzten NFTs mittlerweile zur Erstellung digitaler Zwillinge von Werken ihrer Sammlung, um durch deren Verkauf die pandemiebedingten Einnahmeausfälle zu kompensieren. Michelangelos „Tondo-Doni“-NFT beispielsweise wurde im Mai 2021 für 140.000 Euro an ein römisches Sammlerpaar verkauft. Und auch das British Museum kooperiert mit der Firma La Collection, um limitierte Digitaleditionen von Originalen Hokusais, Turners oder Piranesis als NFT zu veräußern.
Auch bildende Künstler wie Damien Hirst spielen mit dem Medium. Mit seinem bunt gepunkteten Werk „The Currency“ stellte Hirst das Publikum beispielsweise vor die Wahl, entweder das NFT oder das Original zu behalten. Auch eine Arbeit des Street-Art-Künstlers Banksy wurde in einer feierlichen Zeremonie in ein NFT übergeführt – und das Original anschließend vernichtet. Das gleiche Schicksal erfuhr „Fumeur V“, eine Zeichnung von Pablo Picasso aus dem Jahr 1964. Der Glaube an die Ewigkeit der Blockchain ist bei einigen Sammlern offenbar sehr groß.
Für viele noch nicht ganz klar ist, dass NFTs weit mehr sind als digitale Sammelobjekte. Ein NFT kann einfach alles sein, was immateriell oder physisch existiert: ein Bild, ein Turnschuh, Gedanken, Filme, Spiele, Immobilien, Momente, digitales Land und natürlich auch Kunst. Zudem können NFTs als Eintrittskarten exklusiven Zugang zu Informationen, zu Clubs oder VIP-Events verschaffen. Ein NFT kann auch einfach nur als Eigentumszertifikat dienen, was für die Provenienzforschung ein Segen wäre. Denn NFTs ermöglichen es, digitalen wie auch realen Vermögensanlagen einen Wert beizumessen und fälschungssicher zu handeln.
Blockchainbasierte Konzepte werden sämtliche Lebensbereiche verändern. Und die NFT-Technik bildet eine der Grundlagen für unsere Welt von morgen. Momentan erscheint die NFT-Kultur noch sehr spielerisch. Sie wird sich jedoch – wie jede Kultur – im Verlauf der Zeit über die Adaption von Gewohnheitsmustern institutionell verankern. Und so erleben wir mit NFTs nicht nur eine der bedeutendsten zeitgenössischen Innovationen im Technologie- und Finanzbereich – NFTs sind auch ein kulturelles Phänomen.