Stoa169 in Polling

Akropolis im Pfaffenwinkel

Der Süden Bayerns ist um eine Attraktion reicher: In Polling haben sich mehr als 100 Künstlerinnen und Künstler mit einzigartigen Säulen verewigt. Zu Besuch in der Stoa169

Von Tim Ackermann
25.02.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 191

Es gibt auch Positionen, die nun nicht in der Stoa169 zu sehen sind, obwohl sie gut ins Konzept gepasst hätten: Ein bekannter Bildhauer sagte ab, einem berühmten Maler fiel nichts ein, eine Performancekünstlerin konnte sich nicht mit dem Budget anfreunden. Alle nun beteiligten Künstlerinnen und Künstler verzichteten auf ein Honorar und erhielten allerhöchstens Projektgelder. Das Material und den Aufbau finanzierte Zimmers Stiftung aus Spenden, zudem floss eine Förderung über 870.000 Euro vom Kulturfonds Bayern zu. Und doch hätten die Komplikationen durch die Pandemie zu Beginn des vergangenen Jahres beinahe einen Schlussstrich mit Minuszeichen unter der Rechnung gezogen. „Ich musste laut um Hilfe rufen: ,Es ist Corona, rettet uns!’“, erzählt Zimmer.

Mit Ehrgeiz ins Ziel gesegelt

Unterstützung sei dann nicht aus der Kunstwelt gekommen, sondern von Menschen, die ihn aus seiner Jugendzeit als Segler kennen. Mit 20 Jahren wurde der 1948 in Planegg bei München geborene Zimmer sogar einmal Deutscher Meister in der Korsar-Bootsklasse. „Beim Segeln habe ich gelernt, wie man Ehrgeiz entwickelt. Nicht als etwas Negatives, sondern in dem Sinne, dass man blitzschnell auf Situationen reagiert, Entscheidungen trifft und etwas durchsetzt“, sagt er. „Auch in der Kunst ist es letztlich ja ein Durchstehen.“ Mit Beharrlichkeit hat Zimmer alle Klippen umschifft: ein 35.000 Quadratmeter großes Gelände gekauft und davor noch zwei Bauern beim Stammtisch von einem Flächentausch überzeugt. Er hat die Landrätin begeistert und sich jenem Teil der Pollinger gestellt, die einen Publikumsansturm bei noch beschränkten Parkplatzmöglichkeiten kritisch sehen.

Stoa 169
„Wassergeist“ von Kuei-Chih Lee. © Foto: Catherine Peter

Denn die Besucher kommen. In nicht gerade kleiner Zahl: Etwa 100.000 Gäste hat die Stoa169 seit der Fertigstellung des ersten Bauabschnitts im vergangenen September empfangen, so schätzt Zimmer es anhand der Eintrittsspenden und verkauften Begleithefte ein. Auch während der Anwesenheit der weltkunst an diesem gewöhnlichen Donnerstagnachmittag streifen mehrere Dutzend Menschen in kleinen Gruppen zwischen den Säulen umher. Mehrfach wird der Initiator beim Rundgang durch die Wandelhalle von lächelnden Gesichtern angesprochen, weil man ihn aus Zeitungsartikeln wiedererkennt. Die Gratulanten stammen häufig aus München und sind extra für den Besuch angereist.

Die silberne Riesengurke

Die besondere Anziehungskraft der Stoa169, so kann man vermuten, liegt im fröhlichen Nebeneinander des Heterogenen, des visuell Gewohnten wie des Fremden: Katharina Sieverdings Beitrag „Headlines“ etwa listet auf blutrotem Grund diverse Titel eigener, älterer Werke auf, darunter auch den Satz „Ich habe dieselben Schmerzen“. Und die Nachbarsäule ist dann vom ghanaischen Künstler Kwame Akoto-Bamfo in Form eines Käfigs gestaltet, in dem eine schwarze Menschenfigur hängt – als Anklage gegen die französischen Kolonialansprüche auf die Karibikinsel Haiti. Ein Sockel weiter begegnet man einer silberfarbenen Riesengurke von Erwin Wurm. Und die nächste Position in der Diagonalen nimmt Zimmers eigene Säule „Cosmos“ ein, eine große abstrakte Malerei des Weltalls auf tiefblauem Untergrund. Das sind harte Kontraste, die man aushalten muss. Doch zum egalitären Prinzip der Säulenhalle gehört eben auch der bewusste Verzicht auf eine moralische Großerzählung.

Stattdessen verflechten sich kleinere Geschichten assoziativ zu einer Botschaft der Vielfalt: Der Beitrag von Bjørn Melhus beispielsweise ist ein gigantisches Streichholz, geschaffen als Größenvergleich, um die Dinge in neuer Perspektive zu sehen. „Das ist unsere Moderne“, sagt Zimmer dazu. Dann bewegt sich sein Finger ein Stück weiter: „Und das hier ist die Moderne der Marquesas-Inseln!“ Die so bezeichnete Säule des Künstlers Maheatete Huhina hat die Gestalt eines Tikis – ein Friedenswächter, wie man ihn in Huhinas Heimat schnitzt und in Häusern aufbewahrt. Nun blickt die polynesische Gottesfigur durch den Säulenwald nach draußen. Und das Material Holz bildet dabei die Verbindung zu Melhus’ Arbeit.

Hightech und Handwerk begegnen sich ebenfalls aufs Gelungenste bei der Stoa169. Ein 3-D-Drucker modellierte die Betonskulptur „Geliebte Martina“ des Kolumbianers Carlos Motta – eine Karyatide, die ihr Kleid lüftet und darunter ihren erigierten Penis präsentiert. Der Kirgise Shaarbek Amankul dagegen hat seine Säule ganz traditionell aus den Kniegelenken von Kühen geschaffen. Diese brühte er über Wochen auf einem Campingkocher ab, den er vor Zimmers Haus auf dem Klostergut Polling platzierte. Die für das Werk benötigten 800 Rinderknochen hatte ein Metzger aus Murnau über Monate für Amankul gesammelt. Auch das ist praktizierte Völkerverständigung. Wäre John Lennon noch am Leben, er müsste unbedingt ein Lied darüber singen.

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