Stoa169 in Polling

Akropolis im Pfaffenwinkel

Der Süden Bayerns ist um eine Attraktion reicher: In Polling haben sich mehr als 100 Künstlerinnen und Künstler mit einzigartigen Säulen verewigt. Zu Besuch in der Stoa169

Von Tim Ackermann
25.02.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 191

Hat man nämlich erst die Halle betreten, schwinden die Restspuren der Skepsis. Den Besuchenden öffnet sich dieser Ort genauso wie den Elementen: Der Wind fährt hinein, und durch die Öffnungen im Dach fällt an guten Tagen Sonnenlicht und an schlechten Regen. Im Wechselspiel von Licht und Schatten wandelt das Publikum zwischen den Säulen und wägt die Werke gegeneinander ab. Erst beim Vergleichen zeigt sich der ganze Charme des Konzepts: Gefesselt an einen tragenden Stahlbetonpfeiler blieben den Entwürfen in der Breite nur ein paar Dutzend Zentimeter gestalterischer Freiraum. Kreative Höhenflüge in der Vertikalen endeten zwangsläufig bei 3,90 Metern an der gemeinsamen Decke. Die engen Parameter zwangen die Künstlerinnen und Künstler zur Effizienz in der Selbstdarstellung, sie hatten eben nur diese eine Säule, um eine bevorzugte Ästhetik, eine Haltung oder ein Kunstverständnis auf den Punkt zu bringen und sich von ihren Nachbarn abzuheben.

Pfeiler aus Kajaks und Schallplatten

Aus diesem Grund wird den Fans der zeitgenössischen Kunst auch so manches Déjà-vu beschert: Das Werk „Amazonas“ von Roman Signer zum Beispiel ist ein aufgestelltes rotes Kajak. Es verweist einerseits auf die nahe Ammer und andererseits auf einige ältere Videoarbeiten des Schweizers, in denen Kajaks auftauchen. Gregor Hildebrandt aus Berlin wiederum hat neben dem tragenden Pfeiler eine Säule aus verformten Schallplatten modelliert – auch das ist keine unbekannte Idee von ihm. Der Münchner Olaf Metzel schließlich adaptierte seine Erfolgswerke des vergangenen Jahrzehnts, da er seine Säule mit verbogenen Aluminiumplatten verkleidete, die wie riesige zerknüllte Zeitungsseiten aussehen. Als Zeitkapsel konservieren die bedruckten Oberflächen einige Schlagzeilen des Coronajahrs 2020. Diese für ihre Schöpfer typischen Werke verleihen der Stoa169 an manchen Stellen die Anmutung einer Hall of Fame.

Stoa 169
Geschirrpfeiler von Subodh Gupta. © Foto: Catherine Peter

„Ich habe nur Kolleginnen und Kollegen eingeladen, die eine ganz bestimmte Kunst entwickelt haben, die für eine Haltung stehen“, erzählt Zimmer und deutet dabei auf eine Säule: „Die hier zum Beispiel ist von Jürgen Klauke. Er war der erste Künstler, der zum Thema Transsexualität gearbeitet hat.“ Seinen Pfeiler hat Klauke allerdings nicht mit einem Foto aus seiner glamourös-provokanten „Transformer“-Phase der frühen Siebzigerjahre umhüllt, sondern bewusst mit einem stilleren und etwas düsteren Porträt aus dem Werkblock „Desaströses Ich“ von 1998.

Höhenbegrenzte Himmelstreppe

Zu ähnlich intensiver Kontemplation fordert das Werk von Lawrence Weiner auf, das lediglich aus einem auf der Betonoberfläche angebrachten Schriftzug besteht: „Eile mit Weile“ empfiehlt der amerikanische Konzeptkunst-Pionier. Eher minimalistisch war auch die kleine Zeichnung, die der Berliner Maler K. H. Hödicke als Beitrag einreichte. In den Achtzigern unterrichtete Hödicke als Kunstprofessor einige der „Neue Wilden“ und gilt daher als deren geistiger Vater. Auch Zimmer war damals Teil der Malergruppe. Jetzt setzte er den Entwurf des Freundes ins Dreidimensionale um: „Escape“ – eine silberne Metallsäule mit umlaufenden Sprossen, die bis knapp unter die Decke reichen – wurde im April vergangenen Jahres als erstes Werk installiert. Nun leitet es die Augen der Betrachter in einen imaginären Himmel.

Erst als 2017 die Baugenehmigung vorlag, wurden die Künstlerinnen und Künstler eingeladen. Am Ende konnte die Jury um Bernd Zimmer, den Kunstkritiker Walter Grasskamp und die Kuratorin Franziska Leuthäußer aus 800 Gestaltungsvorschlägen auswählen. Manche Entwürfe bestachen durch die Übererfüllung der Vorgaben, wie im Falle des Iren Sean Scully, der mit seinem Metallplattenstapel „Schwerkraft“ eines der wenigen statisch tragenden Kunstwerke des Gebäudes schuf. Seine logische Gegenspielerin wurde die türkische Künstlerin Ayşe Erkmen, die dafür bekannt ist, mit ihren Werken eine Ausstellungsarchitektur sichtbar zu machen und so zu hinterfragen: Ihre weiße Betonsäule „off duty (Nicht im Dienst)“ endet ein gutes Stück unter der Decke. Dazwischen klafft ein deutlicher Luftraum.

870.000 Euro vom Kulturfonds Bayern

„Ich habe diesen Überschuss an Säulen, die bereits vorhanden sind, ausgenutzt, um meiner Säule eine Ruhepause und den Luxus, nur sie selbst zu sein, zu gönnen. Es ist eine Säule, die sich ihrer Aufgabe entzieht“, schreibt Erkmen im Begleitheft. Allerdings mussten dafür über ihrem Werk die vier angrenzenden Deckenelemente, die sonst mit jeweils einer Ecke auf dem Stützpfeiler liegen, als massive Betonplatte durchgegossen werden. Ein komplizierter Prozess, den Zimmer aber gerne in Kauf nahm.

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