Interview mit Simone Haack

„Nur wenn du an Grenzen gehst, passiert etwas“

Die Malerin Simone Haack hat eine Bildsprache entwickelt, die sich der Mittel des Realismus bedient, ohne Realität abzubilden. Ein Gespräch über Kitsch, ihre Anfangsjahre und Rauschzustände durch einen Fliegenpilz

Von Sebastian Strenger
03.02.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 1/22

Was spielt für dich noch eine Rolle?

Natürlich gibt es in der Malerei einen formalen beziehungsweise koloristischen Aspekt, der auch Inhalt ist. Und ich finde es besonders interessant, wenn ich beispielsweise durch die Entscheidung, eine Nase blau zu malen oder die Haut mit einem Rubens-Grün transparent zu machen, den Bildinhalt bestimme. Es geht mir also auch immer um die Frage: Wie wird eine rein bildnerische Entscheidung inhaltlich gelesen? Denn letztlich wird bei jeder Figur psychologisiert und personifiziert – und es wird immer auch das lyrische Ich aus der Bildwelt mit mir gleichgesetzt.

Dabei fällt mir ein Bild ein …

Vielleicht „Der Junge in blau“, bei dem das Blau in seinem Gesicht eine Lichtquelle spiegelt? Der Junge ist also Teil der iPhone-Generation … Bezüge zur Populärkultur kommen bei mir zwar ab und zu vor, aber ich lege es nicht darauf an.

Worauf legst du es dann an?

Nicht auf Traumwelten, aber manchmal auf Albtraumwelten. Aber es gibt beispielsweise auch meine Paradiesbilder in Weiß mit Tieren. In erster Linie geht es mir darum, auf dem Bild einen Charakter zu konstruieren. Und das mache ich manchmal mithilfe von Vorlagen. Dabei ist die Hauptsache meistens das Gesicht. Das zu malen macht mir am meisten Spaß, da ich mit nur wenigen Strichen den gesamten Ausdruck verändern kann. Ich will Charaktere schaffen, die mit dem Betrachter kommunizieren.

Simone Haack Interview
„Mir ging es immer sehr stark um den Menschen. Fragen zum Sein, zur Körperlichkeit waren für mich wichtig, aber auch Beziehungen zu Mitmenschen und Tieren“, so Haack. Zu sehen hier das großformatige Ölbild „Drifters“ von 2014. © Simone Haack; Foto: Lea Gryze, Berlin.

Wie legst du deine Assoziationsräume denn fest?

In meiner Szenerie mit Tieren im Paradies wollte ich beispielsweise eine Irritation einbringen. Also habe ich alle Tiere – wie in einem klischeehaften Hollywood-Film – im Himmel zwischen weißen Wolken als Albinos gemalt. Letztlich habe ich die Landschaft nochmal verändert. Jetzt ist es eher so ein norddeutsches Paradies in Grau mit Nebel. Dennoch ist die kleine ironische Brechung noch im Bild enthalten.

Wozu nutzt du das Mittel der Brechung?

Die Bildthemen sind mein Mittel, den von mir an den Tag gelegten Realismus zu brechen. Und das auch – wenn es sein muss – durch kopulierende weiße Kaninchen. Ich hatte bereits früh die Vision von einer Bildsprache, die mit den Mitteln des Realismus arbeitet, aber eben nicht Realität abbildet. Mein Werk gehört nicht zum Surrealismus, nicht zum Magischen Realismus und möglicherweise auch nicht zum Fantastischen Realismus. Ein Journalist hat meine Arbeit mal als „toxischen Realismus“ bezeichnet, wobei sich toxisch auf die Rezeption des Bildinhalts bezieht. Also auf das, was beim Betrachter passiert.

Was für giftige Wirkungen auf den Betrachter sollen das denn sein?

Ich rede da viel lieber von Ambivalenzen. Denn Ambivalenz öffnet – Ambivalenz lässt den Betrachter im Bild herumwandern. Und das irritiert und verunsichert ihn vielleicht. Toxisch ist vielleicht zu sehr in eine bestimmte Richtung gedacht. Ich bin vielmehr auf Ambivalenzen aus! Wie bei meinen vier uniformierten jungen Pionieren, die hintereinander in einem geheimnisvollen Lichtkegel stehen. Ein Element, das die Authentizität überspitzt.

Also Hyperrealismus …

Ja, vor allem Hyperrealismus. Ich male ein reales Bild von real Vorstellbarem, also beispielsweise ein authentisches Bild von Kindern oder Zwillingen, aber mit Elementen im Bild, die die Authentizität übersteigern. Aber Realismus ist für mich immer der Maßstab schlechthin. Würde ich malerisch in eine andere Richtung gehen, würde ich sicherlich komplett in der Luft hängen. Am Realismus kann ich mich festhalten. Das war auch bei Karin Kneffel der Fall.

Was hast du bei ihr gelernt?

In ihrer Klasse war ich zwischen 2000 und 2004. Vor allem die Lern- und Arbeitsatmosphäre habe ich dort sehr geschätzt. Wir waren etwa zwölf aktive Studenten, die ein straffes Programm hatten. Auch haben wir über unsere Bilder ganz konkret gesprochen. Es war also weniger theoretisch als bei Katharina Grosse – es ging vielmehr um das Bild an sich. Fast alle malten realistisch, obschon ich mit meiner Malerei aus diesem Kreis ein wenig herausgefallen bin. Das offenbarte sich auch in den Diskussionen.

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„Das Innere an der äußeren Erscheinung lesbar machen …“ 2012 entstand Simone Haacks Gemälde „Die Braut“. © Simone Haack; Foto: Lea Gryze, Berlin.

Wie muss ich mir diese Gespräche vorstellen?

So etwas wie „du hättest bei der Hand den Finger ein bisschen länger malen müssen“ wurde da natürlich nicht gesagt. Vielmehr: „Letzte Woche fand ich das Bild noch besser. Vielleicht holst du noch mal die Materialität ein bisschen mehr raus.“ Teilweise gab es dort richtig gute Hinweise. Aber teilweise ging es da auch richtig zur Sache.

Und Kneffel?

Sie war einerseits ein echter Kunstmarkt-Profi. In dieser Hinsicht konnte man viel von ihr lernen. Aber selbstverständlich kannte ich auch ihre Feuerbilder, Kirschen und Hühner – ihre Bilder also mit Natur und Tieren. Aber die wenigsten Bilder sind bei Kneffel gefüllt mit Menschen. Für mich hingegen war die Fokussierung auf Kinder bereits früh wichtig.

Warum?

Um das Toxische herausstellen zu können, sind Kinder die besten Opfer, weil man sie am ehesten als unschuldig betrachtet, obwohl sie bereits alles in sich tragen. Auch das Böse. Ich nutze den Beschützerinstinkt des Betrachters. Denn immer wenn ein Kind zum Monster mutiert, schockt es einen in besonderer Weise. Ich nutze diese direkte Emotionalität für meine Zwecke.

In deiner Bildsprache gehst du bewusst auch in Richtung Kitsch, warum?

Vielleicht passiert das intuitiv? Kitsch entsteht ja nicht nur durch Farbe, sondern eben auch durch extremen Ausdruck. Ein extrem böse schauendes kleines Kind ist ja eigentlich auch Kitsch, oder? Es gibt auch diese vielen Bilder mit weinenden Kindern – und die hängen sich die Leute dann auch hin. Ich finde es übrigens gut, wenn man nicht ganz so genau weiß, was etwas ist. Ich bin gerne irgendwo an der Grenze – und auch an der Grenze zum Kitsch. Ich hätte auch Lust, da mal drüber hinaus zu gehen. Oder vielleicht gleich zum Grotesken zu kommen. Ich finde es aber auch gut, wenn das alles gleichzeitig in meinen Bildern passiert, denn das finde ich spannend.

Wie wurdest du zu dieser Grenzgängerin?

Das weiß ich eigentlich gar nicht. Aber nur wenn du als Maler – genau wie als Betrachter – an Grenzen gehst, passiert etwas. Meine Orientierung habe ich bereits früh in der Malerei der Sechzigerjahre gesucht.

Bei wem?

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„In meiner Szenerie mit Tieren im Paradies wollte ich beispielsweise eine Irritation einbringen. Also habe ich alle Tiere als Albinos gemalt.“ © Simone Haack

Da war der frühe Baselitz. Aber da gab es eben auch Eugen Schönebeck. Vor allem seine Zeichnungen fand ich ganz Klasse! Aber auch die Meskalinzeichnungen von Henri Michaux. Selbstverständlich war auch schon sehr früh Gottfried Helnwein für mich wichtig, dessen Bildwelt mich zu einem umfangreichen zeichnerischen Œuvre inspiriert hat. Und Cindy Sherman auf ihrer Suche nach Identität, genauso wie Marlene Dumas. Aber natürlich gab es da auch Arnulf Rainer: Seine Drogenexperimente – beispielsweise die LSD-Bilder – haben mich auch verleitet. Etwa zum nächtlichen Essen eines Fliegenpilzes …

Und?

Ich bin morgens um 4 Uhr aufgewacht. Herzrasen, die Augen geweitet. Es war wirklich schrecklich. Solche Sachen habe ich eben auch gemacht. Die Reaktion war so heftig, dass ich nicht zeichnen oder malen konnte. Ich konnte daraus auch nichts für meine Kunst mitnehmen. Es hatte eher etwas von einem Rausch im Sinne der Wiener Aktionisten …

An wen denkst du da?

Die Wiener Aktionisten fand ich immer sehr spannend. Vor allem die Zeichnungen von Günter Brus und die Fotos von Rudolf Schwarzkogler.

Kann man sagen, du hast das Bizarre immer schon auch gemocht?

Für mich war es nicht wichtig, ob etwas bizarr war, Ich wollte verstehen: Was ist das eigentlich? Das Absurde?

Und?

Das Absurde war immer eine andere Realität – die aber zeitgleich zu allen weiteren Realitäten stattfand …

Vielen Dank für das Gespräch.

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