Augenminiaturen

Schau mir in die Augen

Augenminiaturen verdankten ihre Popularität einst einer Geschichte, die geheim bleiben sollte – und die doch jeder kannte. Auf dem Kunstmarkt sind die Seelenspiegel heute exotische Sammlerstücke

Von Peter Dittmar
10.01.2022
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 20

Als Spekulationsobjekt eignen sich diese Augenminiaturen offensichtlich nicht. Das verrät ein elliptisches Etui für Zahnstocher aus dem 19. Jahrhundert mit einem kleinen, golden gefassten Augenporträt auf dem Deckel. 2004 wurde es bei Bonhams in der New Bond Street (samt Aufgeld) für 1135 Pfund versteigert. 2009 ging es bei 600 Pfund zurück, ehe es 2011 für 900 Pfund doch noch einen Käufer fand. In diesem Rahmen bewegen sich die meisten Auktionspreise. Fünfstellige Ergebnisse bleiben jedenfalls Raritäten. Ein Armband mit Augenminiatur kam 2014 bei Bonhams auf 10.250 Pfund, weil es traditionell als Auge der 1817 jung gestorbenen Charlotte, der Princess of Wales, gilt. Und ebenfalls bei Bonhams wurden 2005 in einer Lord Nelson gewidmeten Auktion zwei Ringe für 24.000 Pfund verkauft. Auch da haben gewiss die Reminiszenzen an Lady Hamilton eine preissteigernde Rolle gespielt. Denn der eine zeigt ihr rechtes Auge, den anderen schmückt ein „H“ aus Perlen auf Haaren und die Gravur „13. 9.“ – der Tag, an dem sich Nelson nach Trafalgar einschiffte. Solchen Geschichten verdankt sich die spätere Benennung der Augenminiaturen als „Lover’s Eye“, wenngleich sich in aller Regel nicht mehr herausfinden lässt, wer der „Lover“ war, wessen „Eye“ da also zu sehen ist.

Gewöhnlich wurden die Augenminiaturen auf Elfenbein oder Papier gemalt und hinter einem Glas gefasst. Der Rahmen konnte schlicht oder aufwendig mit Perlen und edlen Steinen verziert sein. Perlen sollen dabei Tränen symbolisiert haben, Diamanten Stärke, Granat wahre Freundschaft und Koralle Schutz vor Unrecht. Signiert sind die wenigsten. Und abgesehen von dem Trauerschmuck, bei dem häufiger eingraviert wurde, um wessen Auge es sich handelt, sind Beischriften wie „l’Œil de mère“ oder „Quoique absent toujours présent“ höchst selten. Das Private überlagert dabei stets jeden Drang zum Öffentlichen.

Ein goldenes Armband mit Herzanhänger aus dem 19. Jahrhundert, in dem die Miniaturmalerei eines braunen Auges zu sehen ist, brachte im Februar 2016 bei Toomey & Co. 7930 Dollar. © Toomey & Co., Chicago
Ein goldenes Armband mit Herzanhänger aus dem 19. Jahrhundert, in dem die Miniaturmalerei eines braunen Auges zu sehen ist, brachte im Februar 2016 bei Toomey & Co. 7930 Dollar. © Toomey & Co., Chicago

Deswegen wurden die Augenminiaturen auch lange den Ephemera zugerechnet, die der Kunstkanon nicht zur Kenntnis nahm. Zwar besitzen Museen, die Miniaturen sammeln, häufig auch einige Beispiele – die meisten wohl das Philadelphia Museum of Art und das Victoria & Albert Museum in London. Doch die größte Sammlung, die mehr als hundert Stücke umfasste, wurde vom Augenarzt David Skier und seiner Frau Nan zusammengetragen und zum ersten Mal 2012 im Birmingham Museum of Art, Alabama, gezeigt. Und auf recht originelle Weise erinnert die amerikanische Malerin Fatima Ronquillo in ihren Bildern immer wieder an diese hübsche Mode der Augenminiaturen.

Allerdings erwies sich diese Mode als recht kurzlebig. Nachdem Napoleon besiegt und das Regency mit den Eskapaden von George IV. einer viktorianischen Bürgerlichkeit gewichen war, verebbte auch der Hang zum Romantischen, Sentimentalischen. Königin Victoria liebte es zwar in jungen Jahren, solche Miniaturen ihrer Kinder malen zu lassen und zu verschenken. Aber die Daguerreotypie, wirklichkeitsverliebt, hatte kaum Sinn für den „Augenschein“. Auch ein Auge bei Redon, Kubin, M. C. Escher (mit Totenkopf in der Pupille) oder Max Ernst meint nicht mehr eine bestimmte Person. Diese Bilder greifen weiter zurück, erinnern, säkularisiert oder mystifiziert, an das Auge Gottes in der mittelalterlichen Malerei. Sie dienen als Blickfang – wie das berühmte Plakat Franz von Stucks für die Dresdner Hygiene-Ausstellung 1911. Oder sie sind als Trivialität dem Talmi tributpflichtig – wie in Dalís Version als Brosche mit einer Uhr als Iris und einer Diamant-Träne (Dreweatts, London, Auktion 17. Juli 2013, Zuschlag 75.000 Pfund). Sie alle setzen jedoch Albertis These vom Gemälde, das wie ein Blick aus dem Fenster sei, ins Unrecht, indem sie die Blickrichtung umkehren: Nicht das Bild des Auges wird betrachtet, sondern das Auge betrachtet den Betrachter – so wie es die Beischrift einer Augenminiatur anmerkt: „Il ne voit et ne veira que toi“ – „Es sieht nicht und will niemanden als Dich sehen“.

Augenminiaturen
2005 wurden bei Bonhams in einer Lord Nelson gewidmeten Auktion zwei Ringe (England, um 1805) für 24.000 Pfund verkauft. Der eine zeigt Lady Hamiltons rechtes Auge, den anderen schmückt ein „H“ aus Perlen auf Haaren. © Bonhams, London

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