Laurence des Cars wird Louvre-Chefin

Resonanzraum der Gesellschaft?

Mit Laurence des Cars beruft der Louvre erstmals eine Frau an die Spitze. Ihre Aufgabe wird sein, das legendäre Megamuseum nach der Corona-bedingten Zwangspause neu aufzustellen

Von J. Emil Sennewald
05.06.2021

Tête-à-tête mit der Mona Lisa, ohne knipsende Touristenhorden – der derzeit noch fast leere Louvre ist für jene, die statt in den sonnigen Pariser Straßencafés zu sitzen lieber ins Museum gehen, eine Wohltat. Für Laurence des Cars ist er die große Herausforderung. Nicht im Sinne der New York Times, die Laurence de Pérusse des Cars, Tochter aus bis ins 13. Jahrhundert zurückreichendem Adel, gar andichtete, Leonardos „La Joconde“, wie die Mona Lisa im Franzöischen genannt wird, als „wichtigste Frau des Museums“ vom Thron stoßen zu wollen. Nein, die 55-jährige Kunsthistorikerin wird als neue Louvre-Chefin Kunst und Publikum intelligent, wohl dosiert zusammenführen müssen. Denn sie hat ein Haus übernommen, das vor der Coronakrise unter den Massen – 10,2 Millionen waren es 2018 – fast zusammenbrach.

Ihr Vorgänger Jean-Luc Martinez, der künftig Botschafter für internationale Zusammenarbeit von Kulturdenkmälern ist, hing noch dem Quotenmuseum der Neunzigerjahre an, setzte auf Blockbuster und hantierte zuletzt mit Virtual Reality und Röntgen-Reproduktionen. Das brachte ihm ebenso viel Kritik ein wie auch sein fehlender Teamgeist, die fürs Forschen unpraktische Auslagerung von 250.000 Werken ins 200 Kilometer entfernte Liévin bei Lens, die Renovierung des Bronzesaales, die angeblich Cy Twomblys Deckenfresko entfremdet oder seine Zusammenarbeit mit Fast-Fashion-Marken. Hatte der vorletzte Louvre-Chef Henri Loyrette das Haus zur Marke ausgebaut, so erntete dessen ehemaliger Archäologie-Kustode Martinez die Früchte inklusive Besucherströme. 

Laurence des Cars
Unter der Leitung von Laurence des Cars soll der Pariser Louvre zum „Resonanzraum der Gesellschaft“ werden. © Franck Ferville

Die Kunsthistorikerin Laurence des Cars ist Spezialistin des 19. Jahrhunderts. Als Tochter eines Journalisten bei Le Figaro und Enkelin eines Bestseller-Autors, begann sie unter Henri Loyrette 1994 am Musée d’Orsay. Seit 2017 leitete sie das Haus auf der anderen Seine-Seite, erweckte es durch solide recherchierte Ausstellungen zu neuem Leben. Zuletzt fasste sie mit „Le modèle noir“ eine Lücke französischer Kunstgeschichte an – die Schau über die schwarzen Modelle der französischen Maler von Gericault bis Matisse verwies zugleich auf eine offene Wunde französischer Kolonialgeschichte. 500.000 Menschen kamen, sahen, stritten – das Museum, die Kunst, ihre Geschichte waren wieder Gegenstand öffentlicher Debatte. Das will sie auch für den Louvre: „Resonanzraum der Gesellschaft“ müsse ein Museum sein, sagt sie, „die Gesellschaft reflektieren, die es umgibt“.

Selbstreflexion ist Stärke dieser Frau. Die half ihr auch beim wissenschaftlichen Aufbau des Louvre Abu Dhabi, einer heißen Kartoffel, die ihr wieder Henri Loyrette zugespielt hatte. Sie hielt sie von 2007 bis 2013 in den Händen, ohne sich allzu sehr zu verbrennen. Gut erinnere ich noch das Mittagessen, zu dem das Projekt vorgestellt wurde. Kritische Fragen nach dem Export französischer Kulturhoheit, nach dem Einfluss der Scheichs beantwortete sie klar, mit der Strenge, für die ihr Führungsstil bekannt ist: Es gehe nicht um Export, sondern um Zusammenführen, und Mäzene seien die Realität moderner Museen. Mit der kann sie umgehen: 20 Millionen Euro eines amerikanischen Spenders konnte sie für das Musée d’Orsay einwerben.

Ob es ihr gelingen wird, einen internationalen Museumskonzern wie den Louvre mit über 2000 Beschäftigten zum „Echoraum“ zu machen? Der dürfte nicht nur nachäffen, sondern müsste den Ton angeben. Dafür wäre das Museum ein wenig abzurücken vom Erfolgsdruck, in die Ruhe der Einzelbegegnung. So wie Mona Lisa, dieser Tage.

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