Fund meines Lebens

Der Zwergenkönig

Der Auktionator Carlo Karrenbauer entdeckte auf einem niederländischen Gemälde des 17. Jahrhunderts eine Südtiroler Sage

Von Redaktion KUNST UND AUKTIONEN
17.06.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 10

Was war Ihre bisher überraschendste Entdeckung?

Wenn man seit über 40 Jahren fast jede Woche in einem Nachlass steht, gibt es unzählige Überraschungen. Bei der für mich jüngsten Entdeckung wird sich erst in ein paar Tagen entscheiden, ob die Leser und Bieter meine Erzählung bezüglich der Darstellung und Geschichte eines Gemäldes ebenso sehen und akzeptieren.

Was genau haben Sie entdeckt?

In einem frühmittelalterlichen Patrizierhaus in Konstanz fanden sich etliche alte Ölgemälde, verstaubt, gebräunt und in typisch überaltertem Zustand. Bei einem Gemälde kam ich ins Grübeln. Von der Malerei her wohl niederländisch, aber nicht die übliche Flachlandschaft, sondern eine südliche Berglandschaft. Im Zentrum ein Reiter, gefolgt von einem zweiten, links davon eine feiernde Männergruppe. Auf dem Holzrahmen steht in Handschrift „Dirk Maas“ darunter „1656“. Das ist schon mal eine Zuschreibung. Doch was wird da erzählt?

Karrenbauer Zwergenkönig Laurin
Unter dem rotem Umhang scheint sich der linke Ellenbogen des zierlichen Reiters schon zu biegen, die langen Reitstiefel sollen den Zwergenkönig größer machen. © Karrenbauer, Konstanz

Merkwürdig, wie zierlich der Reiter ist. Unter dem roten Umhang scheint sich der linke Ellbogen schon zu biegen, ebenfalls das Knie, aber was sollen dann die langen Stiefel bis hinunter zum Steigbügel? Oder enden die Beine bereits ganz oben am Stiefelende, ist der Reitstiefel etwa gefüllt und nur vorhanden, damit der Reiter größer aussieht? Ich komme zu dem Schluss: Es ist ein Zwerg, der hier reitet. Doch welcher Zwerg reitet und ist gleichzeitig so gut gekleidet? Da fiel mir eine Sage ein: von Zwergen, die in den Dolomiten lebten – und einen König hatten! Dann erinnerte ich mich an den Namen: Laurin! Und an die Geschichte: Ein König wollte seine Tochter verheiraten. Er lud den gesamten Adel zu einem Fest, außer Laurin, den Zwergenkönig. Dieser verkleidete sich und besuchte dennoch die Veranstaltung. Bei seiner Ankunft sah er die Königstochter zum ersten Mal und verliebte sich sofort. Moment, dachte ich – dann muss ja auf dem Gemälde auch ein Mädchen zu sehen sein. Die Suche ist schwierig, da das Gemälde stark gebräunt ist und sichtbares Craquelé hat. Doch ganz links, in der Ecke an einem Tisch, sitzt ein junges Mädchen mit schönen Puffärmeln und trinkt gerade aus einem Becher. Neben ihr der Vater und rechts ein jüngerer Mann, wohl der frisch Verlobte. Das Gemälde zeigt also die Hauptszene jener Sage: Zwergenkönig Laurin, verkleidet, auf dem Weg zur Verlobungsfeier von Prinzessin Similde. Es ist der Augenblick, in dem er sie zum ersten Mal sieht – und sich sofort in sie verliebt.

Karrenbauer Zwergenkönig Laurin
Das Mädchen ganz links in der Ecke könnte Prinzessin Similde sein, in die sich Zwergenkönig Laurin bei seiner Ankunft sofort verliebt. © Karrenbauer, Konstanz

Welchen Wert besitzt das Gemälde?

Wir bieten das Gemälde in unserer kommenden Auktion am 19. Juni mit einem Limit von 800 Euro an. Mal sehen, wie viele Bieter es geben wird, die es wegen meiner Erklärung der Darstellung ersteigern wollen …

Service

ZUR PERSON

Carlo Karrenbauer ist Kunsthistoriker und Soziologe und gründete 1980 das Auktionshaus Karrenbauer in Konstanz, das er heute zusammen mit seiner Frau Heidrun führt. Fünfmal im Jahr werden Kunst und Antiquitäten versteigert, das nächste Mal am 19. Juni 2021.

www.karrenbauer.de

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