Marie-Catherine Gräfin Douglas führt die legendäre Kunstberatung ihres Vaters weiter. Dass es so kam, überrascht sie selbst am meisten – und zeugt vom Mut, neue Wege zu gehen
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23.02.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 181
Eigentlich war alles geklärt. Marie-Catherine Gräfin Douglas würde die letzten Aufträge ihres Vaters zu Ende bringen und danach das Büro in Frankfurt abschließen. Den Platz von Christoph Graf Douglas einzunehmen, daran denkt die Dreißigjährige keinen Moment. Der Kunstberater ist eine Legende, sein plötzlicher Tod im Herbst 2016 beendet die ebenso erfolgreiche wie diskrete Vermittlungsarbeit eines „Kunst-Gentlemans“, wie ihn das Magazin Der Spiegel in einem Porträt genannt hat.
Gräfin Douglas lebt damals in Berlin, seit drei Jahren ist sie für die Galerie Michael Haas tätig, die gerade einen großen Neubau eröffnet hat. Das erste Praktikum absolvierte sie bei Haas noch während der Schulzeit, hier schätzt sie die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlern, während in Frankfurt überwiegend Historisches seinen Besitzer wechselt. Weshalb sollte sie das aufgeben, um in die übergroßen Fußstapfen des Grafen zu treten?
Dessen Liste komplizierter, am Ende jedoch erfolgreicher Verhandlungen ist beeindruckend lang. Dank ihm konnte etwa die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2013 die Reisetagebücher Alexander von Humboldts erwerben – Graf Douglas akquirierte Spenden für den Ankauf und brachte zugleich die Besitzer dazu, auf einige Millionen Euro zu verzichten. Er versteigerte Kunst aus dem Besitz der Welfen und vermittelte 2011 die Schutzmantelmadonna von Hans Holbein dem Jüngeren an den Sammler und Unternehmer Reinhold Würth. Und eben Würth verdankt die junge Kunsthistorikerin, neben Prinz Bernhard von Baden, schließlich ihren Sinneswandel.
Entspannt sitzt sie im ehemaligen Büro des Vaters. Schmal, sehr präsent und selbstbewusst. Die Entscheidung für Frankfurt, das sei Anfang der Achtzigerjahre eine pragmatische gewesen, erzählt Marie-Catherine Gräfin Douglas. München, die Hochburg der Antiquitäten, kam für ihre Eltern nicht infrage. Auch wenn sich Christoph Graf Douglas als Geschäftsführer für Sotheby’s Deutschland gut in die bayerische Metropole gefügt hätte, wo das Auktionshaus seit 1969 ansässig war. Für den Vielreisenden hatte die Stadt am Main jedoch geografisch klare Vorteile.
1995 traf der promovierte Kunsthistoriker und Experte für altes Silber dann eine Entscheidung: Er verließ das Auktionshaus und verlegte sich auf die Vermittlung weniger, dafür herausragender Objekte. Neben der „Darmstädter Madonna“ aus dem Besitz des Hauses Hessen veräußerte er eine wichtige deutsche Sammlung von Expressionisten und verhandelte den Verbleib zentraler Werke des Meisters von Meßkirch aus der Sammlung des Hauses Fürstenberg in Baden-Württemberg. Casanovas Memoiren bot er mit Erfolg der französischen Nationalbibliothek an.
Solche Coups setzen ein erstklassiges Netzwerk voraus. Douglas, der aus altem schottischem und badischem Adel stammt, pflegte beste Verbindungen zur deutschen Aristokratie, die sich aus unterschiedlichen Gründen von ihren Kunstschätzen trennte. Mal ging es um ein herrschaftliches Erbe und die damit verbundenen Apanagen. Häufiger aber verfielen Schlösser, das Geld wurde für deren Unterhalt gebraucht. Doch statt bloß seine Chance zu wittern und Provisionen nach oben zu treiben, verhandelte Christoph Graf Douglas stets als Erstes mit den jeweiligen Bundesländern über Ankäufe; am liebsten war ihm der Verbleib der Schätze in ihrem geschichtlichen Wirkungsraum. „Er hatte ein großes historisches Interesse“, sagt seine Tochter. „Es war immer ein Thema, wie die Kultur dem Land erhalten bleiben könnte. Er hat nach Lösungen gesucht.“
Mit dem Vater hat sie viel über Kunst gesprochen, auch über seine Rolle bei den Verhandlungen. „Ich fand das hochinteressant. Aber das ist natürlich an eine Person gebunden und hat viel mit Vertrauen zu tun.“ Als Graf Douglas mit 68 Jahren völlig überraschend starb, war für sie klar: „Ich fahre zu den Kunden, um die Geschäfte abzuschließen, und dann wird die Kunstberatung zugemacht.“ Schon diese Entscheidung war von Bedenken begleitet. Gerade liefen erneut Verhandlungen wegen des Meisters von Meßkirch: Es ging um zwei Flügel des Hochaltars der Stiftskirche St. Martin im oberschwäbischen Meßkirch. Das Haus Fürstenberg wollte sie dem Land Baden-Württemberg zum Kauf anbieten. Eine anspruchsvolle Aufgabe für Marie-Catherine Gräfin Douglas gleich zu Beginn: „Ich wollte auf keinen Fall die Kunden enttäuschen und war mir unsicher, wie sie reagieren würden, wenn plötzlich die Tochter vor ihnen steht und sagt, ich nehme das jetzt in die Hand. Ich dachte, die Leute zeigen mir einen Vogel.“
Es kam anders. Die ehemaligen Kunden ihres Vaters machen ihr im Gegenteil Mut. „Marie-Catherine“, hieß es, „deine Vorbehalte sind Quatsch. Wir kennen dich und vertrauen dir.“ Ähnlich verhielten sich die engen Freunde ihres Vaters, zu denen Prinz Bernhard von Baden gehörte. Für das Haus Baden hatte Graf Douglas 1995 bei Sotheby’s eine gigantische Auktion mit über 25.000 Objekten organisiert. Prinz Bernhard sagte zu mir: „Das machst du jetzt!“
Ein Sprung ins kalte Wasser sei es gewesen, aber der Freund der Familie habe von seinen eigenen Aufgaben erzählt, in die er hineingewachsen sei. „Das schaffst du!“ Wie zum Beweis seiner Überzeugung übertrug er ihr den Sitz des Vaters im Kulturbeirat Kloster und Schloss Salem, in dem neben der Adelsfamilie auch Vertreter des Landes und die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg sitzen. „Du übernimmst hier die Nachfolge und wirst sie auch in Frankfurt übernehmen“, erklärte Prinz Bernhard von Baden überzeugt. Sie solle es einfach ausprobieren. „Wenn es nichts für dich ist, machst du die Kunstberatung zu. Du wirst es aber später wahnsinnig bereuen, wenn du es nicht versuchst.“
Der Familienunternehmer und Kunstsammler Reinhold Würth, dem ihr Vater damals die Sammlung Fürstenberg vermittelte und der zu einem seiner wichtigsten Kunden zählte, reagierte professionell: „Bieten Sie mir Kunst an, und wir werden sehen“, habe er damals gesagt. „Sie müssen etwas draus machen.“ Douglas legte sich ins Zeug, das Ergebnis ihrer Verhandlungen um den Meister von Meßkirch lässt sich heute in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe bewundern: Hier hängen nun die um 1535 entstandenen Tafeln „Der heilige Johannes der Täufer mit der Stifterin Apollonia von Henneberg“ und „Die Heilige Maria Magdalena“.
Ein paar Jahre später wirkt es wie selbstverständlich, dass Marie-Catherine Gräfin Douglas die Räume im Frankfurter Westend übernommen hat. Und zwar so, wie alles war. Immer noch schaut der von Lovis Corinth 1893 gemalte Verwandte Carl Wilhelm Freiherr von Gayling zu Altheim auf ein abgewetztes Ledersofa, schwere Vorhänge mit Quasten und dunkelrote Wände. Hinter einem antiken Schreibtisch türmt sich die imposante Bücherwand. Ein klassisches Herrenzimmer, eingerichtet von ihrer Mutter, der Innenarchitektin Bergit Gräfin Douglas, die der gemeinsamen Büroetage in den Achtzigerjahren ihren exquisiten Stempel aufgedrückt hat. Mit der Stoffbespannung im „Zeltzimmer“ ebenso wie den marmorierten Wänden und dem aufwendig restaurierten Parkett. Der Stil der neuen Firmenchefin blitzt durch, wenn sie etwa einen „Weltempfänger“ aus Beton der Künstlerin Isa Genzken zwischen die Erinnerungsstücke stellt oder die Fotografie ihrer eigenen kleinen Tochter.
Respekt vor der Lebensleistung ihres Vaters spiegelt sich darin, aber vielleicht auch eine größere Ähnlichkeit zwischen beiden, als man im ersten Moment vermutet. Sie fällt beim Abgleich beider Biografien auf. Auch Marie-Catherine Gräfin Douglas lernte nach dem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in München und Paris in Auktionshäusern. Zuerst beim Londoner Versteigerer Bonhams, später in der Berliner Dependance des traditionsreichen Auktionshauses Lempertz, wo sie zwei Jahre lang tätig war, bevor sie zur Galerie Michael Haas wechselte.
Den Einstieg in die Douglas Kunstberatung erleichterte ihr die langjährige Mitarbeiterin des Vaters, Melanie Schäfer, die bereits seit Sotheby’s-Tagen für ihn tätig war und das Unternehmen weiter begleitet. „Diese Kontinuität war nach dem plötzlichen Tod meines Vaters auch für die Kunden wichtig. Ich habe sicher ein gutes Auge für Kunst, erkenne Qualität und habe mich auf bestimmte Epochen fokussiert. Aber ich bin keine Expertin etwa für alte Bücher und arbeite deshalb wie mein Vater mit diversen Spezialisten zusammen, die Werke in meinem Auftrag schätzen. Erst dann sage ich den Kunden, zu welchen Konditionen ich glaube, ihre Schätze vermitteln zu können.“
Und das Geschick im Verhandeln, die Psychologie erfolgreicher Gespräche: Liegt das möglicherweise in den Genen? Eher nicht, sagt Douglas und lacht. Ihr Vater habe viel telefoniert, sei mit den Kunden in Kontakt geblieben. „Ganz ähnlich sehe ich meine Stärken im Interesse an den Menschen. Dazu begeistere ich mich für Kunst, kann mich einarbeiten und für ein Ziel kämpfen.“ Gerade, bei einem Kunden, sei es um Wandteppiche gegangen – eine gänzlich neue Aufgabe für sie, aber „immer wieder spannend“.
Wo sich die Douglas Kunstberatung verändert, geschieht dies in kleinen Schritten. Diskretion ist weiter selbstverständlich. Nur manchmal, wie bei der „Madonna im Wald“ von Otto Dix, die seit März 2019 im Museum Haus Dix am Bodensee hängt, erfährt man von Douglas Intervention. Allerdings gibt es inzwischen eine Website – ein Medium, für das sich ihr Vater nicht begeistern konnte – und neue Kunden, die sich eine Sammlung aufbauen wollen. „Junge Leute meiner Generation.“ Manche begleiten sie zu Auktionen nach Paris, London oder New York, ihrem Pflichtprogramm. Umgekehrt lud sie Kunden, die sich mehr für alte Kunst interessieren, 2019 nach Berlin zum Gallery Weekend und führte persönlich durch die zeitgenössische Galerieszene und die Ausstellung „Mantegna und Bellini“ in der Gemäldegalerie.
Neu sind auch die Ausstellungen in den Frankfurter Räumen. Gleich zwei fanden bis zum Corona-Ausbruch im Frühjahr 2020 statt, beide mischten Werke des 18. Jahrhunderts mit solchen von Lovis Corinth, Lucian Freud, Christa Näher, Daniel Richter und jungen Talenten wie Lucie Beppler aus Frankfurt, die die Kunstberaterin schon länger verfolgt: „Mich fasziniert die Ambivalenz ihrer Papierarbeiten. Die Bildräume, die sie durch ihre feinen Strichführungen schafft, wirken fragil. Gleichzeitig entsteht durch das dichte Liniengefüge ein scheinbar undurchdringliches Gewebe.“ Außerdem wolle sie zeigen, wie gut man mit Alt und Neu leben könne; dass sich geerbte Dinge integrieren ließen und für ästhetische Spannung sorgten, sagt Douglas, während sie auf die noch hängenden Bilder zeigt. Und auf ein Gemälde, das an der Wand lehnt, als „Beispiel für die alte Kunst“, um die es auch weiterhin geht. Ein Kunde möchte sich von dem Bild trennen, doch zuerst wird es gereinigt. Der Firnis ist dunkel geworden.
„Ausstellungen haben mir schon in der Galerie Spaß gemacht. Vor ein paar Jahren dachte ich, ich würde damit weitermachen und mich ausschließlich mit aktueller Kunst auseinandersetzen. Aber manchmal schließt sich eine Tür, und eine andere geht auf.“ Bei Marie-Catherine Gräfin Douglas war es die Tür ins väterliche Büro. Und wenn heute jemand sagt, das seien ja große Fußstapfen, entgegnet sie: „Man findet seinen Weg.“