Zeitgenössische Kunst in Syrien

„Syrischen Künstlern geht es schlechter als vor dem Krieg“

Mit ihrer Stiftung in Bremen fördern Chawkat Takla und seine Frau die syrische Kunst. In unserem Interview berichtet der ehemalige Unternehmer über Syriens Expressionismus, verlorene Ausstellungsmöglichkeiten und die Stile der syrischen zeitgenössischen Kunst

Von Anna-Maria Weber
22.01.2021
/ Erschienen in KQ Kunstquartal 1/21

Chawkat Takla stammt aus Homs und kam 1968 für sein Studium der Elektrotechnik nach Deutschland. Er ist seit vielen Jahren als Unternehmer in Bremen tätig und vertritt seit 2010 Syrien als Honorarkonsul in Bremen und Niedersachsen. 2017 gründete er mit seiner Frau Dr. Gudrun Takla die Takla-Stiftung, die sich der Förderung syrischer Kunst und humanitären Fragen widmet.

Was zeichnet die syrische Gegenwartskunst aus?

Von zeitgenössischer syrischer Kunst kann man eigentlich erst richtig ab den 1960er-Jahren sprechen. Damals begann der Staat, Künstler mit Ausstellungen und Stipendien zu unterstützen, die Ausbildung an den Hochschulen wurde professionalisiert. Vorher hatten die meisten Künstler bei Auslandsaufenthalten in Italien oder Frankreich die westliche Kunst kennengelernt und oft nur ihre verschiedenen Stilrichtungen kopiert. Ab den 1960er-Jahren entsteht dann so etwas wie ein Syrischer Expressionismus, der auf recht eigenständige Weise Stimmungen und Probleme im Land zum Ausdruck bringt. In dieser Zeit entstehen viele Porträts und Naturdarstellungen, in denen versucht wird, das tradierte arabische Kulturerbe als eine Bedeutungsschicht im Bild zu integrieren. Das geschah zum Beispiel durch Anleihen in der Kalligrafie, aber auch in der palmyrensischen Mythologie. Auch politische Botschaften werden mit den Bildern transportiert, etwa die Unterstützung für den Befreiungskampf der Palästinenser.

Chawkat Takla Bassem Dahdouh
Bassem Dahdouhs Gemälde aus dem Jahr 2018 zeigt seinen eigenwilligen Stil provozierender Darstellungen. © Takla Stiftung

In den 1990er- und 2000er-Jahren wurde die syrische Kunst dann immer moderner. Wichtige Pionierarbeit leisteten die 1988 in Homs gegründete Atassi Galerie und die 2006 in Damaskus ins Leben gerufene Ayyam Galerie, die beide auch heute noch existieren und einen sehr guten Ruf im arabischen Raum genießen. Erwähnt werden muss auch das Projekt „All Art Now“ der beiden Schwestern Abeer und Nisreen Bukhari aus der Hauptstadt Damaskus. Es war die erste unabhängige Plattform, die sich mit zeitgenössischer bildender Kunst und neuen Medien befasste und sich besonders um die Vernetzung mit internationalen Festivals bemühte.

Das wichtigste Jahr für die Gegenwartskunst in Syrien war 2008, das Jahr in dem Damaskus arabische Kulturhauptstadt war. Aus diesem Anlass fanden gleich vier große Ausstellungen statt, die eine umfassende Bestandsaufnahme der zeitgenössischen syrischen Kunst darstellten. Für besondere Furore sorgte dabei die Ausstellung „Die neue Generation“, in der nicht nur die klassichen Kunstformen wie Malerei und Bildhauerei vertreten waren, sondern auch Videokunst und Performances. Auf der Ausstellung waren rund 40 Künstler vertreten, alle nach 1960 geboren. Bemerkenswert war damals auch der Ausstellungsort, eine frühere Textilfabrik mit einer riesigen Ausstellungsfläche von 6000 qm, die später in ein Museum umgewandelt wurde. Das alles endete schlagartig mit dem Beginn des Krieges 2011.

Chawkat Takla Edward Shahda
Edward Shahdas Menschenbildnisse, wie das 2018 entstandene „Gold Spectrum“, arbeiten mit besonderer Farbigkeit und Lichtstimmung. © Takla Stiftung

Welche Künstler sollten im Westen bekannter sein?

Es gibt sicher einige, die das verdienen würden, aber ich möchte drei hervorheben. Der eine ist der in Latakia geborene Nizar Sabour, der u.a. in Moskau ausgebildet wurde und seit 1990 als Professor den Fachbereich Malerei an der Kunstfakultät in Damaskus leitet. Sein Werk zeichnet sich durch eine besondere formale Raffinesse aus, dabei dient ihm vor allem die Stadt als Ideenraum, aus dem er seine Motive schöpft. Seine Bilder vermitteln eine fast tempelähnliche Innigkeit und Stille und wurden schon vielfach ausgestellt. Der zweite ist Edward Shahda, der bei seinen Menschenbildnissen mit einer besonderen Farbigkeit und Lichtstimmung arbeitet, die an Intarsien oder Renaissance-Fresken erinnert. Das verleiht den Figuren in seinen Bildern etwas Spirituell-Reines. Und der dritte ist Bassem Dahdouh, der zu einem ganz eigenwilligen Stil gefunden hat. Seine Darstellungen von entstellten, unförmigen Gesichtern provozieren und stehen zugleich für eine leidgeprüfte, schmerzvolle Individualität.

Wie ist gegenwärtig die Lage der syrischen Künstler?

Vielen syrischen Künstlern geht es schlechter als vor dem Krieg. Sie haben öffentliche Aufträge und Ausstellungsmöglichkeiten verloren oder mussten ihre Heimat verlassen. Einige wenige haben es geschafft, sich im arabischen Raum, etwa in Dubai zu etablieren. Doch die überwiegende Mehrheit braucht unsere Hilfe und Unterstützung.

Chawkat Takla Nizar Sabour
Das Gemälde „Maaloula“ (2016) ist eines von Nizar Sabours Bildern, die vielfach ausgestellt werden. © Takla Stiftung

Wie unterstützt Ihre Stiftung die Künstler konkret?

Wir helfen konkret Künstlern, die in soziale Notlagen geraten sind, in dem wir sie vor Ort finanziell unterstützen bzw. Werke von ihnen für unsere Sammlung kaufen. Außerdem bereitet unsere Stiftung gerade eine Publikation vor, die erstmals umfassend die syrische Kunst seit den 1960ern präsentiert, in einzelnen Interviews und einem einordnenden Essay. Darüber hinaus organisieren wir Ausstellungen, um syrische Künstler in Deutschland vorzustellen, etwa 2017 in der Bremischen Bürgerschaft. Das mit den Ausstellungen ist im Moment etwas schwierig, aber ich bin optimistisch, dass das bald wieder anders wird. Wir freuen uns auch über Spenden, auf unserer Website ist der Kontakt zu finden.

Was sind Ihre nächsten Vorhaben und Ziele mit der Stiftung?

Wir wollen für die Stiftung im kommenden Jahr einen festen Ausstellungsraum im Zentrum von Bremen, in der Böttcherstraße, schaffen. Diese Galerie soll ein Ort der Begegnung und des Austauschs werden. Und wir haben einen Förderpreis für junge syrische Künstler und Künstlerinnen ins Leben gerufen, der 2021 zum ersten Mal von einer hochkarätigen Fachjury vergeben wird und auch eine Ausstellungsmöglichkeit beinhaltet. Hoffentlich wird der oder die Preisträgerin dann zu uns nach Bremen reisen können!

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