Kunstwissen

Stilkunde: Goldledertapeten

Luxuriöse Goldledertapeten schmückten jahrhundertelang die Wände von Schlössern und Residenzen und entwickelten dabei eine prächtige Vielfalt

Von Gloria Ehret
20.10.2018

Hinter Tizians nackter, 1538 gemalter „Venus von Urbino“ schmückt eine Goldledertapete den Nebenraum. Und auf zahlreichen niederländischen oder flämischen Gemälden des 17. Jahrhunderts gehört der geprägte wie bemalte Wandschmuck als Statussymbol zum eleganten Interieur. Über drei Jahrhunderte zierten solche Tapeten Repräsentationsräume in ganz Europa. Marmor galt als kostbarste Wandverkleidung fürstlicher Schlösser und Residenzen, gefolgt von Tapisserien, auf denen sich mythologische Geschichten oder historische Ereignisse bildhaft erzählen ließen. Letztere wurden im frühen 16. Jahrhundert vielfach von den haltbareren, gegen Feuchtigkeit und Ungeziefer resistenteren Goldledertapeten verdrängt.

Ein aufwendiger Herstellungsprozess

Die Kenntnis des „Corduanleders“ oder der „guadameci“, so die Synonyme für frühe Goldledertapeten, kam mit den Mauren nach Südspanien und verbreitete sich im 16. Jahrhundert von Cordoba aus über ganz Europa. Der Herstellungsprozess war langwierig und kostenintensiv. Nur die Haut junger, gesunder, frisch geschlachteter Schafe, Ziegen und Kälber kam dafür infrage. Nach dem Reinigen und einer pflanzlichen Gerbung wurden die Häute auf das Normalmaß 70/75 mal 60/65 Zentimeter zugeschnitten und mit Pergamentleim grundiert. Eine hauchdünne Blattsilberauflage verlieh ihnen ihren unvergleichlichen Glanz. Zum Schutz vor Oxydation trug man eine weitere Leimschicht und dann Goldlack – eine goldfreie Lösung aus Harzen und Ölen – auf. Nach dem Trocknen wurden die Flächen mechanisch mit Punzen bearbeitet oder geprägt und zuletzt mit opaken oder transluziden Farben bemalt.

Die Karrees, Paneele oder Tafeln klebte bzw. nähte man auf Stoß mit verzogenen Stichen zusammen, sodass die Kanten nur auf der Rückseite sichtbar waren. Das Prozedere hat Auguste Denis Fougeroux de Bondaroy 1763 beschrieben und illustriert. Wegen der Temperaturschwankungen wurden die kostbaren Luxusgüter nicht direkt an der Wand befestigt, sondern an den Rändern auf Holzleisten genagelt. So konnten sie je nach Jahreszeit und Mode ausgewechselt und umgehängt werden. Paneele wurden auch zu Paravents, Altar-Antependien, Sitzmöbelbezügen oder sogar liturgischen Gewändern verarbeitet.

Vielfältige Spielarten der Ledertapete in Europa

In Italien stieg Venedig zum Produktionszentrum von Goldledertapeten auf, das Fürstenhöfe wie die der Medici in Florenz, der Gonzaga in Mantua oder der Montefeltro in Urbino belieferte. Stilistisch orientierten sich die punzierten Ledertapeten der Renaissance an den beliebten Brokatstoffen mit Granatapfel- und Spitzoval-Mustern, wie erhaltene Beispiele im Deutschen Ledermuseum in Offenbach, im Deutschen Tapetenmuseum in Kassel oder in Venedig am originalen Ort im Palazzo Ducale zeigen.

Späte Blüte und Verdrängung

Der Werkstatt Boissier in Avignon werden Goldledertapeten zugeschrieben, die mit Theaterfiguren in tänzerischer Pose um 1680/1700 bemalt sind. Nach 1700 eroberten die Dessin-Motive des in die Niederlande geflohenen Hugenotten Daniel Marot (1663–1752) Europa. „Vogeltapeten“ nach seinem Entwurf sind wohl in der Werkstatt des Carolus Jacobs in Mechelen entstanden. François le Coutre, ein weiterer hugenottischer Ledermacher, ging an den Hof des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm nach Berlin. Während der Chinamode stattete man vor allem Land- und Jagdschlösser mit Goldledertapeten in hellen Farben und feiner Rokoko-Ornamentik aus, bevor Stoff- und Papiertapeten diese in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verdrängten.

Im Historismus erlebten sie in Schlössern und Rathäusern eine Renaissance. So lieferte Georg Hulbe mit seiner Werkstatt in Hamburg Goldledertapeten in jedem gewünschten Stil sowie eigene Schöpfungen. Auf der Weltausstellung 1900 in Paris erhielt er dafür eine Goldmedaille. In einigen Schlössern wie Oranienbaum bei Dessau und Schloss Weesenstein in Sachsen hängen Originale. Vor allem aber in Schloss Moritzburg, wo zwischen 1722 und 1733 August der Starke 60 Räume mit Goldledertapeten ausstatten ließ. In situ sind jene im Billard- und Monströsensaal, Letztere restauriert.

Service

Museen

Deutsches Tapetenmuseum, Kassel

Deutsches Ledermuseum, Offenbach

 

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 146/2018

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