Kunstwissen

Mensch und Maschine

Holger Liebs befragt monatlich berühmte Werke auf ihren aktuellen Gehalt. Diesmal: Wie geht man mit dem Maschinenkult der Gegenwart um?

Von Holger Liebs
16.05.2018

Dass Technik die Religion der Moderne sei, ist oft gesagt und geschrieben worden. Berühmt ist das Loblied des Philosophen Roland Barthes auf den Citroën DS (ausgesprochen „déesse“, französisch für „Göttin“) als das zeitgemäße Äquivalent der gotischen Kathedralen. Der amerikanische Maler Charles Sheeler hat das ähnlich gesehen. Die Industrie sei wie weiland Chartres im Mittelalter „das Bild, das unseren Himmel aufhellt“. Die Serie „Power“, die Sheeler ab 1938 im Auftrag des Wirtschaftsmagazins Fortune malte, war manchen in ihrer Technikverherrlichung dann doch zu einseitig. Das Bild ist eine Hymne auf die Eroberung der Lüfte, man meint förmlich das Brummen der Propeller zu hören.

Jede Schraube sitzt, alles wirkt makellos und ist gemalt, als sei es schwerelos. „Yankee Clipper“ von 1939, derzeit Teil der Ausstellung „Cult of the Machine“ im de Young Museum in San Francisco, ist aber auch ein Gegenbild. Denn Menschen kommen in Sheelers Bildern nicht mehr vor – jene, die in der Zeit der Großen Depression millionenfach verarmten, oder auch einfach nur die, die solche Maschinen bedienten. Sheeler mag selbst angesichts seiner technikeuphorischen Schöpfungen etwas unwohl geworden sein. „Was ich bedaure“, sagte er später über seine Kunst, „ist die Absenz von geistigen Inhalten.“ Daran können wir heute anknüpfen. Wieder herrscht ein Technikkult, dem die einen kritisch, die anderen euphorisch, manche auch einfach nur hilflos begegnen. Man muss sich entscheiden. Die Maschinen werden bei dieser Entscheidung keine Hilfe sein.

Service

Ausstellung

de Young Museum, San Francisco
Cult of the Machine
bis 12. August

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst 2018 / Nr. 143

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