Galerie Géraldine Banier

Fenster zum Ich

Seit zwanzig Jahren ist die Galerie Géraldine Banier im Pariser Viertel Saint Germain des Prés beheimatet – und gilt mit ihrem wohnlichen Stil noch immer als Geheimtipp

Von Lisa-Marie Berndt
24.01.2022

Angesiedelt in der Rue Jacob, unweit des berühmten Cafés Les Deux Magots (und nur durch die Pont des Arts vom Louvre getrennt), liegt die Galerie Géraldine Banier inmitten des malerischen Viertels Saint Germain des Prés. Die zahlreichen Cafés des Viertels, darunter auch das Deux Magots, dienten schon immer als verlängertes Wohnzimmer der Pariser Freigeister – von Simone de Beauvoir über Jean-Paul Sartre, Ernest Hemingway und Pablo Picasso. Als leidenschaftliche Literatur-Liebhaberin sei es für sie nur natürlich gewesen, als Standort dieses Viertel auszuwählen, erklärt Géraldine Banier, Gründerin der Galerie. Sehr weltoffen sei es, „ein wenig intellektuell und nostalgisch, aber dank der Fakultäten und Schulen zukunftsorientiert“. Seit nunmehr 20 Jahren ist ihre Galerie hier beheimatet, die großen Glasfenster geben den Blick frei auf die fast lebensgroßen Tiere aus Bronze der französischen Bildhauerin Sylvie Mangaud und kleine Keramik-Männchen mit abstehenden Ohren der deutschen Künstlerin Anna Dorothea Klug.

Trotzdem mutet der Raum beim ersten Betreten wenig wie eine klassische Kunstgalerie an. „Beim Einrichten der Galerie wollte ich versuchen, die Beklemmung zu verringern, die ich selbst beim Betreten eines fast leeren Raumes, eines White Cubes empfinde“, sagt Banier. „Ich wollte kein Krankenhaus erschaffen, keinen entmenschlichten Raum.“ Sondern einen warmen Ort, an dem man sich wohlfühlt – deshalb habe sie die Wände mit Stoff, Seide oder bestickten Paneelen verkleidet, Vorhänge angebracht und bequeme Möbel aufgestellt. Und so erscheint der Raum gleichermaßen offen und intim – ähnlich dem luxuriösen Wohnzimmer einer französischen Familie. Eine Liebe zur Stofflichkeit spiegelt sich an den Wänden der Galerie wieder. Teils Holzvertäfelung und weiße Wände, aber vor allem: Stoffe, Ornamentik, zarte Rauten, barocke Muster.

Galerie Géraldine Banier
Auf dem Ledersessel hat es sich eine Bronzeskulptur Sylvie Mangauds gemütlich gemacht - darüber hängt das Ölgemälde „Mosca (the fly)“ (2021) von Carlos Tardez. © Galerie Géraldine Banier, Foto: Deborah Rakers

Mit 19 Jahren hatte sie ihr Elternhaus verlassen, um (zwei Straßen weiter) in ein kleines Studio mit Blick auf die Pariser Zinkdächer zu ziehen. Nach ein paar Semestern an der Universität war sie fünf Jahre lang bei einer Beratungsagentur tätig – dann hörte sie von Jean-François Lesage, dem Sohn des berühmten Haute-Couture-Stickers François Lesage. Er hatte in Madras, Südindien, eine Stickereiwerkstatt eingerichtet, die auf Möbel und Dekorationsartikel spezialisiert war. Jahrelang reisten sie und Lesage um die Welt, bauten das Geschäft weiter aus. „Ich lernte gierig“, sagt Banier heute. „Die Stoffe, die Stickereien, die verschiedenen Stile…“ Von New York bis Mailand seien sie gereist, von Rajasthan bis Kerala. Und überall nichts als Stickerei und Seiden.

Als Baniers ältester Sohn geboren wurde, wuchs der Wunsch in ihr, ihre Energie und Leidenschaft in ein persönliches Projekt zu investieren, das sie eines Tages an ihre Kinder weitergeben konnte. Aus der Vision eines Ortes des Austauschs, an dem sich zeitgenössische Kunst und Innenarchitektur vermischen, entstand das Konzept ihrer Kunstgalerie. „Ich spürte, dass es für mich an der Zeit war, mich niederzulassen und einen Ort zu kreieren, an dem ich meine Erfahrungen mit Dekoration, meine Lieblingsgegenstände und meine Liebe zur Kunst teilen konnte“, sagt die 51-Jährige. Im Januar 2002 wurde die Galerie Géraldine Banier eröffnet. Ihre erste Auswahl umfasste Bronzeskulpturen und Installationen wie die der Künstlerinnen Laurence Le Constant, Manuèle Bernardi, Yanne Kintgen und Sylvie Mangaud. Später kam Malerei und Fotografie hinzu – und ihre Erkundung der zeitgenössischen Kunst hält an. „Ich bin mit alten Stilen aufgewachsen, fühle mich aber von Neuem sehr angezogen“, so Banier. Aktuell vertritt sie rund dreißig Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt.

Galerie Géraldine Banier
Seit nunmehr 20 Jahren führt Géraldine Banier ihre Galerie im Herzen des Pariser Viertels Saint-Germain-des-Prés. © Galerie Géraldine Banier

Für Galeristinnen und Galeristen sei es wichtig, sich immer wieder überraschen zu lassen und sich eine kindliche Seele zu bewahren, so Banier. Passend dazu trug die vergangene Ausstellung, die von November bis Mitte Januar stattfand, den Titel „Une âme d’enfant“. Die Gruppenausstellung mit Claudia Ebbing, Frédéric Garnier, Anna Dorothea Klug, Carlos Tardez und Sylvie Mangaud präsentierte den Besuchenden traumverlorene Gemälde und verspielte Darstellungen von Tieren. Sie fand im Rahmen des Projekts „Bizarro“ statt, das seit 2012 jährlich die Straßen von Saint Germain des Prés in einen Ausstellungsparcours verwandelt. Mit dabei sind jedes Jahr als fester Bestandteil die Galerie Géraldine Banier und die Buchhandlung Alain Brieux, dazu jährlich wechselnde Galerien, Buchläden, Antiquitätenhändler, Hotels, Bars und Restaurants.

Das Programm der Galerie besteht aus sechs bis sieben Gruppen- und Einzelausstellungen pro Jahr. Seit dem 20. Januar zeigt die Soloschau „Fausse abstraction“ Gemälde des spanischen Künstlers Lino Lago. Seine Serie „Fake Abstract“, die titelgebend für die Ausstellung ist, erforscht die Geschichte der Malerei von der figurativen Porträtmalerei bis zum Minimalismus: Chromatische Leinwände lassen Porträts alter Meister erahnen, die durch scheinbar dickes, gestisches Zeichnen enthüllt werden. Baniers künstlerisches Programm umfasst unterschiedlichste Künstlerinnen und Künstler, die miteinander einen faszinierenden Dialog eingehen – der jedoch von außen nur schwierig zu durchschauen ist. „Wenn ich auf vergangene Ausstellungen zurückblicke, erscheinen sie mir manchmal wie Fenster zu meiner Psyche, zu meinen Träumen, meinen Revolten, meinen Leidenschaften, meinen unterdrückten Sehnsüchten und meinen Ängsten“, sagt Banier in Hinblick auf die vergangenen zwanzig Jahre. „Ich erinnere mich, dass ich in den ersten Monaten, wenn ein Besucher eine Kritik äußerte, tief im Inneren verletzt war. Die Galerie ist ein Teil von mir. Als hätte ich ein Kind zur Welt gebracht.“

Galerie Géraldine Banier
Lino Lagos „Fake abstract yellow on Ingres“ von 2022 ist bis zum 2. April im Rahmen der Ausstellung „Fausse abstraction“ zu sehen. © Galerie Géraldine Banier

Service

Ausstellung

„Fausse abstraction“,

bis 2. April,

Galerie Géraldine Banier, Paris,

geraldinebanier.fr

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