Kunsthandel

Bamberg - Die Junggebliebene

In Bamberg gibt es keine falsche Patina, dafür viel pralles Leben. Bei aller Welterbe-Grandezza mit Kaiserdom und barocker Baublüte ist die Stadt dem Zeitgenössischen zugewandt. Auch die Händler pflegen dieses ganz spezielle Zusammenspiel von Tradition und Moderne und laden zu den Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen ein

Von Alexandra González
19.07.2019

Tief unter den Holzplanken rotiert eine fünfzehn Tonnen schwere Turbine und versorgt dreihundert Haushalte mit Strom aus Wasserkraft. Wir stehen auf der Nordterrasse des Welterbe-Besucherzentrums, das vor wenigen Wochen eingeweiht wurde. Das Wildwasser der Regnitz reißt den Blick mit bis zum Brückenrathaus. Letzten Sommer musste die Turbine in ihre Einzelteile zerlegt über das Nachbargebäude gehievt werden, da der Steg der Unteren Mühlbrücke nicht stabil genug gewesen wäre, um einen Schwertransporter zu tragen. Jetzt verrät nur ein sachtes Vibrieren im Welterbe-Zentrum das Energieungeheuer in seinem Bauch; so sanft wird der Aufeinanderprall von Vergangenheit und Gegenwart in Bamberg abgefedert.

Der elegante Neubau im historischen Mühlenviertel ist die erste Station unseres Stadtspaziergangs der etwas anderen Art: Wir begeben uns an Orte, wo sich Bamberg von aller Nostalgie löst, das Neue aus dem Alten Funken schlägt. Wie gerade hier. Als einzige historische Referenz hat sich das zeitgenössische Ausstellungsgebäude den Fassadenrest der alten Sterzermühle einverleibt. Stück für Stück wurden die Sandsteinblöcke abgetragen, gereinigt und in den Neubau integriert. So schloss sich die letzte Kriegswunde im Herzen einer ohnehin kaum versehrten Altstadt. Selbst mit einem Stadtplan aus dem 17. Jahrhundert würde man sich wunderbar zurechtfinden, weil die Gassen und Plätze, die mittelalterlichen oder barocken Bürgerhäuser und Adelspaläste noch weitgehend identisch sind. 1993 wurde Bamberg dafür von der Unesco mit dem Welterbe-Titel geadelt. Nun serviert das Informationszentrum Appetithäppchen zu den Vermögenswerten: Sternenmantel und Apokalypse, Süßholz und Hörnla, Bergstadt, Inselstadt und Gärtnerstadt. Vertiefen und Betrachten bitte an den Originalschauplätzen!

Bamberg ist nicht gerade als Magnet für moderne Kunst bekannt. Doch ziehen hochkarätige Kräfte an einem Strang, darunter viele Frauen wie die Chefin des Kunstvereins, die Direktorin der städtischen Museen oder Fiona von Colberg, Networkerin und Organisatorin der Kunst- und Antiquitätenwochen. „Hier gibt es keinen Quatsch«, erklärt die Lyrikerin Nora Gomringer. Sie leitet das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia. „Zeitgenössisches wird so bedacht eingesetzt, dass niemand mit einem Übermaß überfordert und gleich wieder abgeturnt ist. Das hat immer etwas mit Vermittlung zu tun.“Diese haben sich auch die Kunst- und Antiquitätenhändler auf ihre Fahnen geschrieben, wenn sie im Sommer mit ihren eigenen Festwochen von sich reden machen und dabei die Wagner-Enthusiasten aus dem nahegelegenen Bayreuth an die Regnitz locken. Dann präsentieren die Bamberger ihre übers Jahr zusammengetragene Spitzenqualität, die in dieser Dichte sonst nur auf internationalen Kunstmessen zu bestaunen ist.

Hier ist das Alte keine Fiktion

Fast noch frappierender: Nirgendwo sonst sind Antiquitäten Teil einer lebhaften, zukunftsgewandten Stadtkultur. Zur Achtsamkeit, die Bamberg prägt, gehört, dass man sich der Vergangenheit nicht entledigt, indem man sie künstlich rekonstruiert. Anders als im kriegszerstörten Frankfurt ist die Altstadt keine postmoderne Fiktion. Hier locken wahre Patina und das pralle Leben. In den alten Höfen der Innenstadt hantieren noch Schmiede, Schlosser, Schreiner. Studierende bevölkern die unzähligen Cafés, amerikanische Touristen fragen aufgekratzt nach dem Weg zum Dom. Bei Matthias Wenzel beispielsweise. Dass die Tür zu seiner Kunsthandlung im Palais Freyhaus häufig offen steht, darf man als Einladung auffassen.

Womöglich streift der Blick der Durchreisenden die an der Decke schaukelnden surrealen Lüsterweibchen aus fünf Jahrhunderten oder eine spektakulär geschnitzte Sakristei-Tür von 1750 mit fein gemaltem Erzengel Michael, dessen Umhang in Pontormo-Rosa sich manieristisch um die Rüstung wickelt. Eventuell sind die Besucher empfänglich für den subtilen Sexappeal der Nymphe Callisto auf einem Gemälde des Venezianers Pietro Liberi oder das Feuer eines zweiten Michaels, spätgotisch skulptiert, der auf einem Bein tänzelnd Satan bezwingt.„Look at this, it’s like a museum«, schwärmen die Amerikaner und kaufen am Ende vielleicht einen uralten Schlüssel für unter 100 Euro, den sie an den Herzensmenschen verschenken. A key to my heart. Dabei wollten sie nur nach dem Weg fragen. Das käme schon vor, sagt Matthias Wenzel lächelnd und verrät ein offenes Geheimnis des Bamberger Kunsthandels: „Wir haben Freude am Umgang mit den Menschen, gleichgültig, ob jemand 50 Euro, 50 000 oder gar nichts auszugeben bereit ist.“

Kunst wie im Privatambiente

Tatsächlich fällt auf, dass die Händler nicht von Kunden, sondern von Gästen sprechen, was kein bisschen aufgesetzt wirkt. Es passt einfach zu dem wohnlichen Flair vieler Geschäfte. Irgendwo verströmt eine Duftkerze ihr Sandelholz-Parfüm, aus einem versteckten Lautsprecher plätschert ein bisschen Klassik, vielleicht liegt zufällig eine Tageszeitung auf einer Rokoko-Kommode.  Am liebsten würde man sich in eine dieser samtbezogenen Bergèren kuscheln und eine Lesepause einlegen. Diese Eigenart, Exponate fern des Perfektionismus eines Messestandes wie in einem Privathaus zu inszenieren, führt zu einer interessanten Vielfalt der Präsentation: von festlicher Überfülle über moderne Reduktion bis zu postmoderner Eklektik. Da gibt es den berühmten Gewölbekeller, in dem Walter Senger seine gotischen Skulpturen paradieren lässt, das denkmalgerecht renovierte Barockhaus des Schwiegersohns Thomas Herzog oder Julia Heiss’ Silberkontor auf vier mal acht Quadtratmetern. Hehre Kunst wird in einem Alltagskontext greifbar und dadurch begehrenswert. Es hilft, dass man die Dinge, egal wie teuer, behutsam anfassen darf. Später werden wir von Christian Eduard Franke-Landwers lernen: „Auch bei polierten und ganz wertvollen Stücken ist es wichtig, dass Sie dem Gast eine Mischung aus Respekt und Anfassbarkeit vermitteln.“

Doch zunächst machen wir bei Julia Heiss in der Dominikanerstraße Halt. Vor vierzig Jahren sprang in Kopenhagen der Funke auf sie über. Sie entdeckte Design, Proportionen und die überragendeQualität des skandinavischen Silbers. „Als bei uns noch die Pickelhaubenzeit herrschte, entstand bei Georg Jensen bereits schlichte, aber feinnervlich elegante Ware.“Mit dreißig Serviettenringen im Gepäck kehrte sie zurück. Fortan zählte für Julia Heiss nur eines: Formgebung, die sie vom Hocker reißt. „Ich ermutige jeden, das Silber in die Hand zu nehmen.“Wer Gewicht und Volumen spürt, begreift ein Objekt intuitiv. Die Kanne der Manufaktur Frantz Hingelberg von 1938 ist so ein Handschmeichler: Sterlingsilber, aus einem Stück geschmiedet, zarte Hammerspuren, ein runder Bauch und wie ein Kontrastprogramm ein eckiger Griff aus Ebenholz.

Bevor es weitergeht, überrascht uns diese Verfechterin der Moderne mit einer rührenden Geschichte. Wie sie auf Sizilien den Kreuzgang von Monreale besuchte und in den Bann der variationsreichen romanischen Figurenkapitelle geriet. „Ein Mensch hat vor 800 Jahren eine Figur geschaffen, mit seiner Mentalität, seinem Lebensumfeld, seinen Werkzeugen. Ich sinnierte darüber, als meine Freunde riefen: Julia, bist du endlich fertig? Nein, ich fange erst an, antwortete ich.“ Sich Zeit zu nehmen, ist hier kein leeres Versprechen.

Bambergs grünes Zentrum

Lassen wir den Touristenstrom auf den Domberg weiterziehen; wir wollen eine andere Richtung einschlagen und spazieren zum Gärtnerviertel, wo im Spätmittelalter das Urban Gardening erfunden wurde. Es lohnt sich, die dekonstruktivistisch gekippten Rampen der Aussichtsplattform zu erklimmen. Nur von hier aus lässt sich die Struktur dieser einmaligen Kulturlandschaft aus innerstädtischen Gartenflächen wahrnehmen, die ebenfalls zum Weltkulturerbe gehört. Noch heute kultivieren 19 Familienbetriebe, darunter ein Biobauer in elfter Generation, alte Gemüsesorten wie „Bambercher Wirsching, Zwiebl und Reddich“.

Im 19. Jahrhundert wuchs Bamberg über die alten Grenzen hinaus. Mit der Säkularisation gelangten aufklärerische Impulse an die Regnitz. Neue Plätze, Promenaden und Parks entstanden, auch ein gründerzeitliches Wohngebiet – der Hain – mit Alleen und in Gärten eingebetteten Villen. Mitten in dieses Quartier wurde vor 50 Jahren die Kirche St. Josef gesetzt. Dieser Nachkriegsbau aus Sichtbeton ist ein echter Geheimtipp auf unserer Tour durch das Bamberg der Perspektivwechsel. Vom Diözesanarchitekten Adam Jakob auf dem Grundriss eines gleicharmigen Kreuzes entworfen, wirkt der Kirchenraum wie ein luftiges Zelt. Am Boden gebündelte Holzbalken fächern sich nach oben zur tragenden Konstruktion auf. Das ist erhebend und erinnert an gotische Rippengewölbe. Giebelwandflächen aus Lochziegel sind durch Buntglas-Fensterbänder von der Eckkonstruktion getrennt und scheinen zu schweben. Trotz ihrer brutalistischen Betonfassade erweckt die Kirche in diesem großbürgerlichen Quartier nicht den Eindruck eines Fremdkörpers. Das menschliche Maß und der sinnlich erfahrbare Kirchenraum überbrücken alle Gegensätze.

Wandeln auf dem Skulpturenpfad

Die Überlegung, ob das Alte das Neue überhaupt verträgt, führt in Bamberg nicht immer weiter. Manchmal muss man die Frage umkehren: Kann sich das Neue im prägnanten Eigenleben der Altstadt durchsetzen? Wie behauptet sich hier die zeitgenössische Kunst? Der Skulpturenweg durchläuft diese ewige Feuerprobe. Schon merkwürdig, dass sich die Stadt bislang nicht aufraffen konnte, diese Route zu markieren. Sie führt entlang an Großplastiken von Fernando Botero, Markus Lüpertz, Joannis Avramidis und Jaume Plensa.

Zurück geht sie auf eine Initiative Bernd Goldmanns, dem Gründungsdirektor des Künstlerhauses in der Villa Concordia. Seit 1998 realisiert er Skulpturenausstellungen, und nahezu jedes Mal wurde von der Bamberger Bürgerschaft eine Arbeit angekauft. Derzeit macht der „Langsame Traum“des portugiesischen Bildhauers Rui Chafes auf der Oberen Brücke den steinernen Engelchen – wohlgerundet und himmelwärts strebend – am Rathaus Konkurrenz. Die Eisenskulptur wird ihren endgültigen Platz in unmittelbarer Nähe des Welterbe-Zentrums erhalten, nachdem die Kaufsumme von 140.000 Euroaus Spenden und Fördermitteln aufgebracht ist. Als Dreingabe verspricht der Künstler, seinen über den Fluten der Regnitz schaukelnden „Ängstlichen Mond“in der Stadt zu lassen.

Das Fluidum der Experimente

Dass viel von Bambergs Charme im Immateriellen steckt, erfahren wir von Nora Gomringer, der aktuellen Leiterin der Villa Concordia. Dieser von außen so verträumt und gegenwartsvergessen wirkende Ort am Ufer der Regnitz ist ein spannendes Labor, wo Literatur, Kunst und Musik im Fluidum des Experimentellen entstehen darf. Färbt die gewisse Enge und Übersichtlichkeit Bambergs auf die Stipendiaten ab? „Offensichtlich gibt der Genius loci ihnen etwas ein, was zu einem Umdenken führt, und sei es nur, dass wir finanziell nicht alles mittragen können. Statt etwas physisch hinzustellen, wird manchmal soziale Plastik in Betracht gezogen.“

Als Beispiel nennt Nora Gomringer ein Kunstwerk von Jesús Palomino aus dem Jahr 2014. Der Spanier ließ ein großes Goldnugget spontan durch die Hände von Passanten laufen und versenkte dieses dann in der Regnitz. Ein zweites vergrub er im Wald. „Seitdem erzählt man sich von diesem Künstler, der Gold in Bamberg vergraben hat«, berichtet Gomringer. „Das ist eine Art von Konzeptkunst, die an das Urtypische in uns appelliert, nämlich dass wir Menschen das Gesprächsgeflecht sind.«

Im Labyrinth der Bücher

Auch das Antiquariat Lorang, direkt beim Rathaus am Anfang der Karolinenstraße gelegen, ist eine Stätte, um Erzählfäden weiterzuspinnen. Schon deshalb, weil Jung und Alt in einem der letzten großen Ladengeschäfte dieser Art in Deutschland aufeinandertreffen, statt einsam im Netz Bücher zu bestellen. Neuere Literatur und alte bibliophile Schätze füllen, von Robert Lorang liebevoll sortiert, diesen Kaninchenbau, wo Orientteppiche die knarzenden Dielen dämpfen. Zimmer reiht sich an Zimmer, eines gehört ganz der Kunst. Blicke zum Rathaus und Schloss Geyerswörth gibt es gratis.

Einige Meter weiter Richtung Domberg stoßen wir auf das Auktionshaus Schlosser im Bibra-Palais. Hier greift Hausherr Joseph Schlosser beherzt nach den Sternen und zeigt die auf 3D-Software basierenden Gemälde und Skulpturen Marc Gumpingers, denen eine gute Portion Weltraumkälte innewohnt: alienartige Wesen, dalíhaft zerfließende Astronauten, Bergkämme wie von fremden Planeten. „Ich freue mich, wenn ein Spannungsfeld zwischen alter und neuer Kunst entsteht. Das möchte ich in unserem Galerieraum weiter ausbauen«, sagt Schlosser. Sein Standbein bleiben aber die zweimal im Jahr durchgeführten Versteigerungen, bei denen das gesamte Spektrum von der Ausgrabung bis zum Design abgedeckt wird.

Diese Stadt ist voller topografischer Wechselspiele, Winkel und Wunder, kleiner Geschichten und großer Geheimnisse (wer ist denn nun eigentlich der Bamberger Reiter?). Ein kunsthistorischer Dauerreiz. Es gibt keinen besseren Ort, um das Gehirn zwischendurch in Stand-by-Betrieb zu schalten, als die von der Universität genutzte Weiße Aula. Vor drei Jahren wurde die Generalsanierung der ehemaligen Dominikanerkirche abgeschlossen. Einmal mehr hat man den passenden Ton gefunden, die sakrale Geschichte mit der säkulären Gegenwart in Einklang zu bringen. Zwischen Mittel- und Seitenschiff sind Stahlparavents eingebaut, sodass der Eindruck eines Raums im Raum, einer antiken Cella entsteht. Die gelochten Paneele lassen an Jean Prouvés vorfabrizierte Architekturmodule denken. Wie es der Name verrät, ist die Halle vollständig in Weiß gehalten, nur einige Fresken und die neu gestalteten Langfenster sind davon ausgenommen.

Glanz, Gloria und Gegenwart

Christian Eduard Franke-Landwers und sein Lebens- wie Geschäftspartner Christoph Freiherr von Seckendorff diskutieren noch, ob die Purifizierung der Kirche sie vollends begeistert. Ihre Antiquitätenhandlung liegt gegenüber dem Dominikanerkloster. „Bamberg ist ja nicht nur der reiche Domberg, sondern auch die Bürgerstadt mit 13 000 Studenten. An jeder Ecke gibt es ein Café,wo jemand frühstückt. Das ist reizend«, sprudelt es aus dem temperamentvollen Franke heraus. Er verwickelt uns in ein Gespräch über Authentizität, Bambergs stärkstes Pfund. „Es macht etwas mit den Menschen, dass diese Häuser keine Kulisse sind, sondern echt. Man hat sich doch viel zu sehr daran gewöhnt, der Schönheit nachzuhelfen.“Bamberg hat solche Selbstoptimierung nicht nötig. Die Dame auf Fritz Reusings Porträt von 1913, das bei Franke hängt, steht ebenfalls über solchen Dingen. „Hier bin ich ein bisschen mutig«, kokettiert der Hausherr, der sich als Generalist mit Möbel-Schwerpunkt eigentlich dem 17. und 18. Jahrhundert verschrieben hat. Reusing, ein an der Düsseldorfer Akademie geschulter Künstler, malte die Stahlbarone Krupp und Thyssen. Unprätentiös steht sie da, diese Societylady im grünen Abendkleid. „Ohne Schmuck, als hätte sie vergessen, zum Safe zu gehen.Sie besitzt eine angenehme Souveränität, die man nicht in der ersten Generation entwickelt«, findet Franke.

Distinktionsgewinn mit reichlich Furore verspricht dagegen die Breitrandplatte aus dem Hofsilber des Herzogs Sachsen-Eisenberg von 1690/95. Sie ist mit einer großen Wappengravur, eingerollten Akanthusblättern und vier frechen Cherubinköpfen dekoriert, stammt aus einer wirklich alten Sammlung und durfte zuvor nie veräußert werden. So viel Exklusivität hat ihren Preis: 86.000 Euro kostet die Prunkplatte. „Es gibt einen kleinen Kreis von Sammlern, die sich mit meiner Zeit beschäftigen und diese Kunst lieben. Für sie möchte ich eine Adresse sein«, erklärt Franke. „Es kommen aber ebenso Menschen, die an einem Einzelstück Interesse haben und das unter einen Baselitz oder Arnulf Rainer stellen.“So gelingt der Spagat zwischen Glanz, Gloria und Gegenwart auch in der Herrenstraße.

Unseren letzten Halt machen wir bei der Händlerfamilie Senger. In dem gegenüber dem Stammsitz gelegenen neuen Haus geht Thomas Herzog, Geschäftsführer und Schwiegersohn des Unternehmensgründers Walter Senger, noch einen Schritt weiter und paart gotische Skulpturen mit zeitgenössischer Kunst und Mid-Century-Design. Der Vorstellungskraft des begehrten Sammlernachwuchses möchte er damit auf die Sprünge helfen: wohnliches Setting, modernes Lebensgefühl, darin die Topstücke. Sogar eine kleine Übernachtungssuite steht für die entschlossenen wie auch zögerlichen Kunden bereit, samt schmalem Ankleidezimmer, dem ein enormer Augsburger Renaissanceschrank mit fulminanten Eisenbeschlägen unerwartet Tiefe gibt. Wer behauptet bitte, mit diesen alten Riesenschränken ließe es sich nicht mehr gut leben? Herzog kann sich diese für Bamberger Verhältnisse recht kühne Mixtur leisten, denn die alte Kunst, mit der zu neunzig Prozent der Umsatz bestritten wird, hält dem Kräftemessen mühelos stand. Das reklamieren schon die beiden Engel aus der Werkstatt des Veit Stoß, die einen coolen Schreibtisch von George Nelson flankieren. „Sehen Sie nur die Bewegung, wie die Engel in sich gewunden sind. Schlank wie Mannequins und ein Lächeln im Gesicht. So zugeneigt.“Wenn es um seine Figuren geht, spricht aus dem sonst eher zurückhaltenden Senger die Leidenschaft.

Über Maastricht in die Welt

Im prestigeträchtigen Rahmen derMaastrichter Messe Tefaf hat die Kunsthandlung sich weithin Aufmerksamkeit verschafft. „Wir sind schon a weng international«, sagt Senger mit fränkischem Understatement. „Die Tefaf hat uns zur Qualität und Spezialisierung erzogen«, ergänzt der Schwiegersohn. Abstriche in der Moderne sollte man sich da keine leisten. Erlesen sind die Vintage-Stücke des 20. Jahrhunderts, etwa ein seltenes Ensemble von Jens Quistgaard aus vier „Stokke“-Sesseln mit originalem Wildlederbezug und quadratischem Palisander-Tisch zu 48.000 Euro. Zum Abschied gibt es eine Kostprobe des Lindenhonigs, den Senger für das Enkelkind imkert. Und einen letzten Einblick in seine Händlerseele: „Napoleon ließ die Biene in seinen Krönungsmantel sticken. Sie ist ein Symbol des Arbeitseifers und perfekter Organisation. Fleißig, das möchten wir hier auch sein. Dass die Bamberger ein Gespür für die richtigen Themen haben, beweisen sie erst recht mit ihrer Bienenfreundlichkeit. Das gefährdete Insekt gilt als Botschafterin von Artenvielfalt und nachhaltigem Handeln. Etwas Schöneres lässt sich auch über den Antiquitätenhandel nicht sagen.

Service

TERMIN

Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen
23. Juli bis 23. August

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Bamberg, Sommer 2019

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