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„Wir müssen dringend über andere Wege nachdenken“

Christoph Amend befragt jeden Monat den Kurator Hans Ulrich Obrist nach seinen Entdeckungen. Diesmal geht es um Grundsätzliches: die Vielfliegerei in der Kunstwelt und eine klimafreundliche Ausstellungspolitik

Von Christoph Amend
02.03.2020

Normalerweise frage ich Sie zu Beginn ja immer, was Sie gesehen haben, Herr Obrist. Aber ich habe gerade gelesen, dass Sie künftig weniger fliegen werden, wirklich wahr?

Ja, ich habe schon vor Längerem beschlossen, weniger zu fliegen. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich in den Neunzigerjahren vor allem mit Nachtzügen gereist, leider wurden sehr viele seitdem abgeschafft – mit den lobenswerten Ausnahmen in Österreich und Schweden. In England brauchen wir auf jeden Fall mehr Nachtzüge, und ich fordere alle Ihre Leser auf, an die Deutsche Bahn zu schreiben, damit auch sie wieder Nachtzüge einführt!

Sie lieben Nachtzüge.

Das stimmt. Vor allem wegen der zufälligen Begegnungen, die man dort immer wieder machen kann. Diese langsamere Art zu reisen, ist nicht nur besser für das Klima. Sie ist auch besser für uns Menschen. Ich muss gestehen: Viele meiner Texte und Bücher sind während meiner Fahrten in Nachtzügen entstanden.

Hans Ulrich Obrist ist Kurator für zeitgenössische Kunst und leitet die Serpentine Gallery in London (Copyright: Brigitte Lacombe)
Hans Ulrich Obrist ist Kurator für zeitgenössische Kunst und leitet die Serpentine Gallery in London (Copyright: Brigitte Lacombe)

Sie sind bekannt dafür, dass Sie ständig um die ganze Welt fliegen. Mit Nachtzügen alleine kommen Sie da nicht weit.

Es geht natürlich auch darum, die Langstreckenflüge zu reduzieren. Der deutsche Aktionskünstler Gustav Metzger, der lange in England gelebt hat …

… er ist 2017 im Alter von 90 Jahren in London gestorben … 

… hat uns in der Serpentine Gallery schon vor über zehn Jahren darauf gebracht, stärker auf ökologische Fragen zu achten. Mit seiner Kritik am Destruktionspotenzial des kapitalistischen Systems und auch des Kunstbetriebs war er seiner Zeit damals voraus. Es geht, wenn wir über die Kunstwelt insgesamt reden, auch um das Verschicken der Kunstwerke für internationale Ausstellungen und Messen. Hier müssen wir dringend über andere Wege nachdenken. Der CO₂-Verbrauch durch den Transport der Kunstwerke ist einfach zu hoch.

Und Ihre eigenen internationalen Reisen – was wollen Sie da ändern?

Ich versuche, die Flüge zu reduzieren, indem ich längere Reisen unternehme. Das heißt: Ich fliege nicht mehr dreimal im Jahr irgendwohin, sondern nur noch einmal. Dafür bleibe ich dort länger. Übrigens verbraucht auch unsere Kommunikation mit E-Mails jede Menge Energie in den Serverfarmen – ich arbeite gerade daran, meinen E-Mail-Output extrem zu reduzieren. Ganz interessant ist in diesem Zusammenhang die britische Malerin Rose Wylie, die immer gesagt hat, man solle Kleider nicht wegwerfen. Sie ist jetzt 86 Jahre alt und hat seit siebzig Jahren so gut wie keine Kleider gekauft. Dafür hat sie einen unglaublichen Patchwork-Kleidungsstil entwickelt, der Lust auf Nachahmung macht. 

Ich merke, Sie sind tief im Thema!

Oh ja. Noch ein anderes Beispiel: Durch die Werke des großartigen, italienischen, 96-jährigen Künstlers Gianfranco Baruchello werde ich nie wieder Fleisch essen. Er ist 1975 aufs Land gezogen und hat die Bewegung „Agricola Cornelia S.p.A.“ gegründet, die Mythen, Kulturen und Traditionen des Ackerbaus erforscht. Wie immer gilt es, von den Künstlerinnen und Künstlern zu lernen: We need the artists to change the future.

Und jetzt frage ich Sie doch noch: Was haben Sie gesehen, Herr Obrist?

Man kann durch Europa mit dem Zug fahren – oder wie in meinem Fall auch innerhalb Englands. Ich bin gerade mit meiner guten Freundin Alice Rawsthorn, der Design-Journalistin, nach Surrey in den Süden von London gefahren. Alice macht meinen absoluten Lieblings-Instagram-Account! Wir waren im Atelier der Keramikkünstlerin Magdalene Odundo. Sie stammt aus Kenia, lebt seit Langem in England und hat ihre Arbeit mit Ton zur höchsten Meisterschaft gebracht.

Magdalene Odundo in ihrem Atelier, Foto: Josh Willdigg
Magdalene Odundo in ihrem Atelier, Foto: Josh Willdigg

Ich sehe gerade die Bilder von dem Besuch auf Ihrem Instagram-Account: Vasen, Teekannen … 

… ja, Odundo sagt, dass ihre Objekte tanzen. Seit den Siebzigerjahren zählt sie zu den besten Töpferinnen der Welt, sie unterrichtet auch am College. Sie produziert nicht nur Skulpturen, sondern zeichnet auch. Gerade wurde sie vom britischen Königshaus zur Dame geschlagen, eine großartige Künstlerin! 

Womit beschäftigen Sie sich derzeit außerhalb der Kunst? 

Ich lese gerade das aktuelle Buch des 100-jährigen Wissenschaftlers James Lovelock, einem der wichtigen ökologischen Denker unserer Zeit. Er hat die Gaia-Theorie geprägt, die besagt, dass die Erde ein Organismus ist, in dem alles mit allem verbunden ist. Sein neues Buch heißt „Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz“, und es macht tatsächlich Hoffnung, dass die Menschheit die Klimakrise vielleicht doch noch in den Griff bekommt.

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