In Bonn ergänzen sich derzeit zwei Ausstellungen. Die Bundeskunsthalle würdigt Wim Wenders in einer immersiven Schau, das angrenzende Kunstmuseum Bonn widmet sich der narrativen Fotografie von Gregory Crewdson
ShareWer in diesen Wochen die Helmut-Kohl-Allee auf Höhe des UN-Campus in Bonn entlangschlendert, kann zwei unterschiedliche Arten erleben, die Welt in Bilder zu fassen. Auf der einen Seite in der Schau „W.I.M. – Die Kunst des Sehens“, einer weit ausgreifenden Hommage zum 80. Geburtstag des Filmemachers und Fotografen Wim Wenders. Auf der anderen Seite wartet die konzentrierte, fast hermetische Welt des amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson, dessen Ausstellung im Kunstmuseum Bonn einen Blick in die Tiefen der amerikanischen Vorstadt ermöglicht. Zwischen beiden gibt es viele Anknüpfungspunkte.
Wenders’ Ausstellung führt mitten hinein in ein Denken in Bildsprache. Seine Fotografien, aufgenommen auf Reisen quer durch die Welt, wirken wie ein unregelmäßig geführtes Tagebuch – verlassene Tankstellen, schattenlose Straßenkreuzungen, Fassaden, die ihre Geschichte nur noch ahnen lassen. Es ist eine Kunst des Schauens, die weniger sucht als zulässt.
Wim Wenders versteht sich nach eigener Aussage als „Reisender und dann erst als Regisseur oder Fotograf“. Die Bundeskunsthalle führt Besuchende durch seine vielseitige Filmografie, präsentiert Requisiten und alte Filmklappen. Begleitet von Szenen aus „Der Himmel über Berlin“, „Paris, Texas“ oder „Perfect Days“ wirken seine Fotografien wie ein kurzer Stillstand, in dem das Reisen nur als Erinnerung bestehen bleibt. Zu sehen sind alleinstehende Häuser, verlassene Geschäfte, Schienen in der Wüste. Die laute Stille dieser Orte ist nicht Ergebnis von Inszenierung, sondern von Aufmerksamkeit.
Crewdson dagegen komponiert Stille wie ein Regisseur – und damit auf eine Art filmischer als Wenders‘ fotografische Arbeit, die sich jedoch von seinem filmischen Lebenswerk nicht trennen lässt. In Bonn ist Crewdsons Qualität besonders eindrücklich in der Serie „An Eclipse of Moths“ (2018/19) zu erleben. „Starkfield Lane“ zeigt einen Mann scheinbar regungslos auf einer leergefegten Straße. Der Nebel und das dämmernde Licht erschaffen die Atmosphäre eines frühen Morgens in der perspektivlosen Schleife eines Dorflebens in den USA. Die distanzierte Lichtregie und die kühle Tiefenschärfe verleihen der Szene jene „filmische“ Schwere, die Crewdsons Werk so markant macht. Jeder Blick wirkt wie ein Screenshot aus einem Film, den man nie gesehen hat, aber sofort versteht – oder zu verstehen glaubt.
Gerade hierin liegt eine Überschneidung, die Crewdson mit Wenders verbindet. Beide Künstler arbeiten aus einem tiefen Vertrauen in die Macht der Orte. Doch wo Wenders das Zufällige und Gefundene sucht – das Bild als Geschenk einer Welt, die sich für kurze Zeit offenbart –, betreibt Crewdson eine radikale Verdichtung. Seine Schauplätze werden konstruiert, beleuchtet, bevölkert wie Filmsets; die erzählerische Spannung entsteht nicht aus dem Moment, sondern aus der präzisen Überdetermination jedes Details.
In „An Eclipse of Moths“ wird diese Differenz besonders greifbar. Der einsame Mann scheint in der Kulisse seiner eigenen Sehnsucht gefangen, ein Protagonist ohne Dialog. Wenders hingegen würde in derselben Landschaft wohl eher den Wind betrachten, der über die Gräser und den Asphalt streicht, oder den Horizont, der sich unscheinbar auftut. Seine Fotografie bleibt immer im Gespräch mit der Welt; Crewdsons dagegen spricht mit der Sprache der Kinoarchitektur, in der jede Lampe, jedes Auto und jeder Nebelstoß eine dramaturgische Funktion übernimmt.
Und doch: Beide schaffen Räume, in denen das Alltägliche in ein Geheimnis kippt. In der Bundeskunsthalle erscheint Wenders’ poetischer Realismus wie eine Einladung, die Welt neu zu bewohnen. Crewdsons Amerika entfaltet hingegen einen psychologischen Resonanzraum, der das Unbehagen der Gegenwart mit künstlerischer Präzision in Standbilder übersetzt.
So erzählen die beiden Bonner Ausstellungen – voneinander unabhängig und doch im Dialog – von einer gemeinsamen Suche: Wie wird Welt zu Bild? Was geschieht, wenn der Blick sich nicht zufriedengibt, sondern tiefer dringt als die Oberfläche? Die Antworten fallen verschieden aus. Aber wer beide Häuser besucht, merkt rasch, dass zwischen Wenders’ stillem Sehen und Crewdsons filmischem Erzählen nur ein schmaler Grat liegt: jener zwischen Beobachtung und Inszenierung, zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit. Ein Grat, auf dem sich die zeitgenössische Fotografie heute immer wieder neu erfindet.
„Gregory Crewdson“
Kunstmuseum Bonn
bis 22. Februar 2026
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„W.I.M. – Die Kunst des Sehens“
Bundeskunsthalle
bis 11. Januar 2026