Plattenbausiedlungen waren das Wohlstandsversprechen der DDR und prägen bis heute unser Bild des sozialistischen Deutschland. Wie sie zum Thema der Kunst wurden, zeigt eine Schau in Potsdam
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11.11.2025
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 246
In ihren Gemälden, Fotografien und Installationen aus fünfzig Jahren reflektieren die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung diese vielfältigen Aspekte. Fast alle haben die DDR noch miterlebt – von Ruth Wolf-Rehfeldt, geboren 1932, bis Henrike Naumann, die 2026 ihre Arbeiten im Deutschen Pavillon in Venedig zeigen wird und als Jahrgang 1984 im Minsk die jüngste Generation repräsentiert. Ihr Blick auf das omnipräsente Raster, die sachliche Romantik eines Hochhauses oder die Wirkung architektonischer Monotonie auf das (eigene) Leben verlagert sich mit zeitlicher Distanz. Dennoch verdeutlicht die sehenswerte Schau, wie tief das Versprechen des sozialistischen Staates von Wohlstand für alle in das Bewusstsein der ostdeutschen Gesellschaft eingesickert ist.
1971 malte Uwe Pfeifer im Stil des kritischen Realismus den „Durchgang in Halle-Neustadt“ als perspektivisches Extrem. Durch einen düsteren Tunnel blickt man auf ein neues, helles Zeitalter in Gestalt fünf- bis zehngeschossiger Gebäuderiegel. Ein Jahr später betonte der Künstler aus Halle das melancholische Nebeneinander von Natur und Trabantenstadt: Im Gemälde „Beton und Steine“ baumeln Hühnergötter an einem Seil auf einem Balkon – verwittertes Gestein, das man als kleine, löchrige Brocken bevorzugt an der Ostseeküste findet. Pfeifer, der selbst lange Zeit in Halle-Neustadt lebte, ist aber auch der Maler von „Fußgängertunnel“ (1973): einer gekachelten Röhre, aus der sich ein Menschenstrom ergießt. Ein gleichförmiger Block ohne Platz für Nonkonformes.
Das Bedürfnis danach artikulierte sich anderswo. Etwa in den sensiblen Familienfotos des Japaners Seiichi Furuya, der in den Achtzigerjahren in Dresden und Ostberlin als Übersetzer tätig war. Oder im „Aufbau von Marzahn“, wie ihn Harald Metzkes 1984 für sein gleichnamiges Gemälde imaginierte. Im Hintergrund wachsen identische Hochhäuser aus dem Boden, während im Schlamm der Baugruben kostümierte Artisten auf Fahrrädern balancieren. In Wolfram Ebersbachs Hochformat „Hausfassade“ von 1974 ist das gleichförmige Raster der Balkone allseitig angeschnitten und so ins Unendliche vervielfacht. Einige Austritte sind kahl, bei anderen wurden Sonnenschirme aufgespannt und Pflanzen arrangiert, eine Balkontür hat einen leuchtend gelben Vorhang. Solche Details signalisieren, wie sich die Bedürfnisse der Hausbewohner voneinander unterschieden. Der Versuch, dies auch nach außen zu zeigen, gipfelt in der Lithografie „Marzahn“ von Gisela Kurkhaus-Müller. Wie Ebersbach bildet die Künstlerin 1982 Balkone ab, die mit Ziegeltapete beklebt sind, während von der Decke alte Wagenräder baumeln.
Im Jahr 1977 verfasste der Berliner Architektursoziologe Bruno Flierl einen Essay zum Thema solcher „Do-it-yourself-Eingriffe“. Er nennt sie eine „Selbsthilfe gegen eine von der Gesellschaft und ihren ‘Gestaltern’ gelieferte autoritäre Gestaltung“ und empfahl partizipative Projekte. Doch der Staat, der die Mieten in der Platte stark subventionierte, hatte weder Zeit noch Geld für individuelle Lösungen. Außerdem fehlten oft am Ende der Schnellbaukette vorgesehene Elemente wie eine Begrünung oder der Spielplatz.
Wenn im Werk des Berliner Künstlers Christian Thoelke nun ein einsames Klettergerüst auftaucht, dann ist das mehr als die melancholische Rückschau auf vergangene Utopien. „Dass nach der Wende eine Abwertung stattgefunden hat, fühlte sich falsch an“, erklärte Thoelke, Jahrgang 1973, jüngst in einem Interview über die sozialistische Architektur. Zu seinen Motiven gehört auch eine vernagelte Kaufhalle mit typischem VT-Falten-Dach als Symbol jener Transformation, die besonders in ostdeutschen Industriestädten leere Räume – Wohnungen, Geschäfte und öffentliche Orte – hinterließ.
Manfred Pernice, 1963 in Hildesheim geboren, versammelt in seiner Installation „Hässliche Luise“ von 2004 die realen Reste der Berliner Luisenstraße. Er dokumentierte den Abriss des P2-Riegels und klaubte Fundstücke aus dem Schrott. Aus Betonfundamenten windet sich in der Ausstellung nun das rote Gestänge verbogener Spielgeräte, Fotografien vollziehen die Demontage von Wohnungen nach, in denen, wenn auch nur für wenige Jahre, Menschen lebten.
Ein „stilles Symbol zum Umgang mit DDR-Alltagsarchitektur“ nennt Kito Nedo solche inzwischen musealen Artefakte. Doch natürlich sind die Großwohnsiedlungen von Halle-Neustadt oder Marzahn nicht bloß Geschichte, sondern zugleich Realität im 21. Jahrhundert. Was heute dort passiert, ist Thema einer jüngeren Generation, wie sie Sebastian Jung verkörpert.
„Wohnkomplex: Kunst und Leben im Plattenbau“
Das Minsk, Potsdam
bis 8. Februar 2026
Der Katalog erscheint im Distanz Verlag.