Kunsthaus Minsk

Das Wohnen im Quadrat

Plattenbausiedlungen waren das Wohlstandsversprechen der DDR und prägen bis heute unser Bild des sozialistischen Deutschland. Wie sie zum Thema der Kunst wurden, zeigt eine Schau in Potsdam

Von Christiane Meixner
11.11.2025
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 246

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Im Fall von „P2“, der großartigen fotografischen Serie von Sibylle Bergemann über die Wohnzimmer eines Häuserblocks in Berlin-Lichtenberg, gleicht diese Lücke einem Schlauch: Linkerhand wird der längliche Raum von einer Fensterfront begrenzt, auf der gegenüberliegenden Seite bewahrt eine Vitrine Gläser und Vasen vor Staub.

Dazwischen entfaltete sich der Wille zum Wohnen. Vorrangig in Gestalt opulenter Couchgarnituren, die die Dimensionen des Zimmers sichtbar sprengen. Bei einigen Arrangements fragt man sich, wie die Bewohner überhaupt zu ihren Sofas gelangten, ohne über die dekorativen Beistelltische zu steigen. Die Einrichtungen auf den Fotos gleichen sich und dokumentieren doch feine Unterschiede in der ästhetischen Ausgestaltung. Selten entschied man sich für einen Esstisch mit vier schlanken Stühlen. Dabei hätte dieses Interieur perfekt zur P2-Wohnungsbaureihe gepasst, die Anfang der 1960er-Jahre vom Institut für Hochbau, der Bauakademie der DDR, entwickelt worden war. Als progressives Detail verband eine Durchreiche Küche und Wohnraum miteinander.

Wohnkomplexe mit Gesellschaftsorientierung

Die Planer des neuen Plattenbautyps hatten hohe Erwartungen. Wer in der Küche wirkte, sollte künftig parallel am Leben der Familie teilnehmen und so nicht länger isoliert sein. Man träumte sogar vom Ende der traditionellen Geschlechterrollen – nun würden sich auch Männer zum Herd hingezogen fühlen. Dass es anders lief, zeigt der Leipziger Maler Kurt Dornis: In seinem Bild „Zweite Schicht“ aus dem Jahr 1986 fällt der Haushalt in einer Gesellschaft der gleichberechtigt Werktätigen schließlich auch noch den Frauen zu.

Seiichi Furuya, Berlin-Ost 1986.
Seiichi Furuya, Berlin-Ost, 1986. © Courtesy Galerie Thomas Fischer

Plattenbau-Ausstellung in ehemaligem DDR-Bau

In seiner aktuellen Schau „Wohnkomplex“ richtet Das Minsk in Potsdam den Blick zurück auf den ostdeutschen Plattenbau. Einst ein beliebtes Terrassenrestaurant und vor drei Jahren vom Sammler Hasso Plattner nach aufwendiger Sanierung als Ausstellungsort wiedereröffnet, ist das Museum selbst ein Zeugnis modernistischer DDR-Architektur. Und obwohl Sibylle Bergemanns zwischen 1974 und 1981 entstandene Serie, in der sich der Wunsch nach Einzigartigkeit in einem normierten Umfeld manifestiert, auch sozialpolitisch gelesen werden kann, geht es in „Wohnkomplex“ vorrangig um künstlerische Perspektiven. Für den Autor und Kulturwissenschaftler Kito Nedo, der die Ausstellung mit gut 60 Werken kuratiert hat, ist dies ein wichtiger Aspekt. Diese „Architektur polarisiert“, schreibt er im Vorwort zum Katalog, und diese Widersprüchlichkeit findet ihr Echo in so unterschiedlichen Arbeiten wie den Gemälden von Karl-Heinz Adler oder Harald Metzkes, den Schreibmaschinenbildern von Ruth Wolf-Rehfeldt oder den Installationen von Henrike Naumann und Manfred Pernice.

Plattenbausiedlungen, deren Fertigteile industriell produziert und später vor Ort montiert werden konnten, waren der Nukleus des DDR Wohnbauprogramms. Von 1971 bis kurz nach dem Mauerfall wurden knapp zwei Millionen Wohnungen errichtet, es entstanden dichte Neubauviertel mitten in den Städten oder autarke Großprojekte wie Halle-Neustadt und Jena-Lobeda für Tausende Menschen. Wer nicht dort wohnte, hatte zumeist Verwandte, Freunde oder Kolleginnen und Kollegen, die den Komfort von Warmwasser und Zentralheizung einem bröckelnden Altbau vorzogen. Man lebte mit der Platte, die Beziehung zum betonierten Lebensraum war eine emotionale.

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