Ihre Bilder erzählen von Mut, Wut und Selbstbehauptung – kraftvoll inszeniert und bedauerlich aktuell. Eine Ausstellung im Pariser Musée Jacquemart-André zeigt die Malerin Artemisia Gentileschi als ein herausragendes Multitalent ihrer Epoche
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27.06.2025
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 243
Das zeitgleich entstandene Gemälde „Judith enthauptet Holofernes“ spart nicht mit grausamen Details. Judith stößt ihren Dolch mit chirurgischer Entschlossenheit in Holofernes’ Hals, während das Blut auf die weißen Laken des Bettes fließt. Um 1615 malte Artemisia eine weitere Version, „Judith und ihre Magd“. Die Tat ist da bereits vollbracht, der Kopf wird in einem Weidenkorb aufbewahrt. Während der Blick von Orazio auf seinem Gemälde auf Holofernes fokussiert, bevorzugt Artemisia die Frauen, die sie ohne Anflug von Passivität darstellt. Beide Werke gelten als Höhepunkt eines Themas, auf das sie immer wieder zurückkommen wird: die Gewalt von Männern gegen Frauen – und den Widerstand dagegen.
Zerbrochen ist sie an der eigenen traumatischen Erfahrung nicht. Obwohl sie am Ende des Prozesses den Florentiner Maler Pietro Antonio Stiattesi heiratete, bestritt Gentileschi ihren künstlerischen Aufstieg zunächst als Einzelkämpferin, bevor sie ein Netzwerk von Mäzenen aufbaute. Ihr Ruhm muss beachtlich gewesen sein. Der zeitweise in Rom aktive Maler Simon Vouet porträtierte sie vor dem Hintergrund des Mausoleums von Halikarnassos, eines der Sieben Weltwunder der Antike. Eine gewaltige Verbeugung, wenn man bedenkt, dass sie in ihrer Kindheit kaum Unterricht genossen hatte.
Erst in ihren Florentiner Jahren lernte Gentileschi lesen und schreiben, während sie sich in die kultivierte Gesellschaft um Großherzog Cosimo II. mischte. Michelangelos Großneffe beauftragte sie, die „Allegorie der Neigung“ an die Decke seiner Residenz Casa Buonarroti zu malen. Sie schrieb auch Gedichte, und ein Selbstporträt in der Ausstellung zeigt sie als Lautenspielerin. Nachdem sie sich durch das Malen von Porträts unabhängig gemacht hatte, zog Gentileschi nach Neapel, wo sie ihr eigenes Atelier eröffnete.
Göttinnen, Königinnen und weibliche Allegorien blieben weiterhin ihr bevorzugtes Terrain zwischen Tugend und Tragödie. Wie im Fall ihrer Selbstmord begehenden Kleopatra, die in einem von einem Lichtblitz durchfluteten Raum steht. Mit der Natter an ihrer Brust blickt sie zum Himmel und wartet auf die versprochene Ekstase. Ihr Gesicht trägt, wie das vieler anderer Frauenfiguren, die Züge ihrer Schöpferin, deren Wirken von der Forschung mit unerwarteten Funden weiter als das einer Meisterin belegt wird – was sich auch in der Schau mit sechs kürzlich entdeckten oder neu zugeschriebenen Werken niederschlägt. Die „Büßende Magdalena“ etwa ist in Paris mit der Kopie aus der Kathedrale von Sevilla vertreten. Sie war lange der Bezugspunkt für die Kenntnis eines verloren geglaubten Originals. 2024 meldete das texanische Kimbell Art Museum in Fort Worth den Erwerb des mutmaßlichen Originals, das 2001 bei Tajan in Frankreich aufgetaucht war und damals noch als Werk aus der Werkstatt von Artemisia Gentileschi an eine Privatsammlung verkauft wurde. Die Zuschreibung ist eine von vielen wundersamen Auferstehungen, die noch kunsthistorisch geprüft werden müssen.