Artemisia Gentileschi

Tugend und Tragödie

Ihre Bilder erzählen von Mut, Wut und Selbstbehauptung – kraftvoll inszeniert und bedauerlich aktuell. Eine Ausstellung im Pariser Musée Jacquemart-André zeigt die Malerin Artemisia Gentileschi als ein herausragendes Multitalent ihrer Epoche

Von Alexandra Wach
27.06.2025
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 243

Unter ihrer Pinselführung rauschten die Gewänder und rollten die Köpfe. Artemisia Gentileschi malte Frauen, die sich zu wehren wissen, und gilt heute als feministische Vorzeigekünstlerin. Auch die Schau „Artemisia – Heldin der Kunst“ des Musée Jacquemart-André in Paris ist zweifellos als Hommage gedacht. Sie präsentiert rund vierzig zum Teil noch nie in Europa gezeigte Werke, davon 28 mit dem Namen der Malerin. Gentileschi wird dabei weder auf die biografischen Dramen ihrer Jugend verkürzt noch aus der Perspektive eines „weiblichen Blicks“ betrachtet, sondern als herausragendes Multitalent ihrer Zeit.

Die ersten dramatischen Lichteffekte des Chiaroscuro lassen sogleich an Caravaggio denken. Vielleicht ist sie dem Malereirevolutionär schon als Kind begegnet. Immerhin zählte der Virtuose des Helldunkels ihren Vater zu seinem Gefolge. Die 1593, siebzehn Jahre vor Caravaggios Tod, in Rom geborene Malerin hat nie aufgehört, sich als dessen Erbin zu verstehen. Da ihre Mutter früh starb, war es ihr Vater, der Maler Orazio Gentileschi, der ihre Ausbildung überwachte und sie in seinem Atelier ausbildete. Er hatte eine Vorliebe für religiöse Szenen, während sie es verstand, die Psychologie ihrer Figuren, inspiriert von biblischen und mythologisch-historischen Stoffen, in dynamischen Kompositionen einzufangen.

Artemisia Gentileschis „Susanna und die beiden Alten“ (1610) ist ein Höhepunkt der Ausstellung. Realistisch zeigt es den Ekel der Protagonistin
Das berührende „Susanna und die beiden Alten“ (1610) ist ein Höhepunkt der Ausstellung. Realistisch zeigt es den Ekel der Protagonistin © akg-images/MPortfolio/Electa

Diesem Nebeneinander der Werke von Vater und Tochter begegnet man gleich in den ersten Räumen, ein Vergleich der Stile, der sich auch im Verlauf des thematisch strukturierten Parcours fortsetzt. Von ihr stammen hier die um einen Leerraum stark kontrastierten Esther und Ahasver. Der König von Persien nähert sich besorgt der in Ohnmacht fallenden jüdischen Heldin, die sich den Konventionen widersetzt und um Gnade für ihr Volk fleht. Mit nur 16 Jahren malte die frühreife Artemisia bereits „Susanna und die Alten“, ein erstaunlich vorausschauendes Gemälde, das sie zum ersten Mal signiert. Susanna ist den Betrachtenden zugewandt, ihr nackter Körper hell erleuchtet. Sie muss sich vor Ekel winden, um den beiden Richtern auszuweichen. Artemisia zeigt das fehlende Einverständnis der jungen Badenden in einem realistischen Gefühlsausdruck.

Die Anfänge werden dann mit der Spätphase konfrontiert, als Orazio Gemälde für die Könige von Frankreich und England malte. 1638 kam seine Tochter zu ihm nach London, wo er ein Jahr später starb. Es war für sie nur eine Einladung von vielen. Während ihrer langen Karriere arbeitete sie für die Medici in Florenz, aber auch für den Vizekönig von Spanien in Neapel. Die für eine Frau der damaligen Zeit ungewöhnliche Laufbahn lässt sich nicht nachvollziehen, ohne zu erwähnen, was ein Auslöser ihrer Antriebskräfte war: Im Alter von 17 Jahren wurde sie vom Maler Agostino Tassi vergewaltigt. Er versprach, sein Opfer zu heiraten, brach aber sein Wort, da er bereits verheiratet war. Orazio brachte den Freund vor Gericht. Artemisia bezahlte den Schritt mit einem Prozess, bei dem sie verleumdet und gefoltert wurde, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Das zeitgleich entstandene Gemälde „Judith enthauptet Holofernes“ spart nicht mit grausamen Details. Judith stößt ihren Dolch mit chirurgischer Entschlossenheit in Holofernes’ Hals, während das Blut auf die weißen Laken des Bettes fließt. Um 1615 malte Artemisia eine weitere Version, „Judith und ihre Magd“. Die Tat ist da bereits vollbracht, der Kopf wird in einem Weidenkorb aufbewahrt. Während der Blick von Orazio auf seinem Gemälde auf Holofernes fokussiert, bevorzugt Artemisia die Frauen, die sie ohne Anflug von Passivität darstellt. Beide Werke gelten als Höhepunkt eines Themas, auf das sie immer wieder zurückkommen wird: die Gewalt von Männern gegen Frauen – und den Widerstand dagegen.

Zerbrochen ist sie an der eigenen traumatischen Erfahrung nicht. Obwohl sie am Ende des Prozesses den Florentiner Maler Pietro Antonio Stiattesi heiratete, bestritt Gentileschi ihren künstlerischen Aufstieg zunächst als Einzelkämpferin, bevor sie ein Netzwerk von Mäzenen aufbaute. Ihr Ruhm muss beachtlich gewesen sein. Der zeitweise in Rom aktive Maler Simon Vouet porträtierte sie vor dem Hintergrund des Mausoleums von Halikarnassos, eines der Sieben Weltwunder der Antike. Eine gewaltige Verbeugung, wenn man bedenkt, dass sie in ihrer Kindheit kaum Unterricht genossen hatte.

Erst in ihren Florentiner Jahren lernte Gentileschi lesen und schreiben, während sie sich in die kultivierte Gesellschaft um Großherzog Cosimo II. mischte. Michelangelos Großneffe beauftragte sie, die „Allegorie der Neigung“ an die Decke seiner Residenz Casa Buonarroti zu malen. Sie schrieb auch Gedichte, und ein Selbstporträt in der Ausstellung zeigt sie als Lautenspielerin. Nachdem sie sich durch das Malen von Porträts unabhängig gemacht hatte, zog Gentileschi nach Neapel, wo sie ihr eigenes Atelier eröffnete.

Göttinnen, Königinnen und weibliche Allegorien blieben weiterhin ihr bevorzugtes Terrain zwischen Tugend und Tragödie. Wie im Fall ihrer Selbstmord begehenden Kleopatra, die in einem von einem Lichtblitz durchfluteten Raum steht. Mit der Natter an ihrer Brust blickt sie zum Himmel und wartet auf die versprochene Ekstase. Ihr Gesicht trägt, wie das vieler anderer Frauenfiguren, die Züge ihrer Schöpferin, deren Wirken von der Forschung mit unerwarteten Funden weiter als das einer Meisterin belegt wird – was sich auch in der Schau mit sechs kürzlich entdeckten oder neu zugeschriebenen Werken niederschlägt. Die „Büßende Magdalena“ etwa ist in Paris mit der Kopie aus der Kathedrale von Sevilla vertreten. Sie war lange der Bezugspunkt für die Kenntnis eines verloren geglaubten Originals. 2024 meldete das texanische Kimbell Art Museum in Fort Worth den Erwerb des mutmaßlichen Originals, das 2001 bei Tajan in Frankreich aufgetaucht war und damals noch als Werk aus der Werkstatt von Artemisia Gentileschi an eine Privatsammlung verkauft wurde. Die Zuschreibung ist eine von vielen wundersamen Auferstehungen, die noch kunsthistorisch geprüft werden müssen.

Service

Ausstellung

„Artemisia – Heldin der Kunst“

Musée Jacquemart-André, Paris

Bis 3. August

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