Paul Klee

Verzweifelter Engel

Paul Klees verzweifelter Engel „Angelus Novus“ kommt zurück nach Berlin und erinnert im Bode-Museum an unsere dunkle Vergangenheit

Von Simone Sondermann
06.05.2025
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 241

Es ist kaum größer als ein DIN-A4-Blatt. Und doch verkörpert dieses zarte Kunstwerk wie kaum ein zweites das 20. Jahrhundert – seine Schönheit und seinen Schrecken. Dass es nun für zwei Monate in Berlin zu sehen sein wird, kann man durchaus ein Ereignis nennen. Denn Paul Klees „Angelus Novus“ verlässt das Israel Museum in Jerusalem so gut wie nie, und auch dort ist meist nur ein sehr gutes Faksimile ausgestellt – zu empfindlich ist die aquarellierte Zeichnung und zu bedeutend ihre Geschichte.

Paul Klee schuf das Werk im Jahr 1920, ein Engel mit großen, dunklen Augen, geöffnetem Mund und seltsam nach oben gerichteten Flügeln, die wie Hände aussehen. Das Blatt steht in einer Reihe diverser Engeldarstellungen Klees und ist doch außergewöhnlich, nicht zuletzt durch die Faszination, die es auf den Philosophen Walter Benjamin ausübte. Dieser erwarb den „Angelus Novus“ 1921 in München und nahm ihn mit nach Berlin, ohne zu ahnen, wie schicksalhaft sich dieses kleine Kunstwerk mit seinem Leben und Denken verbinden würde. Als die Nazis 1933 an die Macht kommen, geht Benjamin ins Exil. Er lässt den „Angelus Novus“ zunächst zurück, doch 1935 bringen ihm Freunde das Werk nach Paris. Mit dem Einmarsch der Deutschen spitzt sich die Lage für den Juden Benjamin zu. Er versteckt Klees Zeichnung zusammen mit vier Manuskripten in einem Koffer und übergibt diesen seinem Freund Georges Bataille, der das kostbare Gut in der Bibliothèque nationale verbirgt. Benjamin selbst gelingt die Rettung nicht. Er flieht nach Südfrankreich, doch nach einem gescheiterten Versuch, nach Spanien zu gelangen, nimmt er sich im September 1940 im Grenzort Portbou das Leben.

Zuvor, in den letzten Wochen und Monaten seines Lebens, hat er an einem Buch gearbeitet, das posthum unter dem Titel „Über den Begriff der Geschichte“ veröffentlicht wird. Es enthält seine geschichtsphilosophischen Thesen, die er, zunehmend verzweifelt, in Reaktion auf den Siegeszug des Faschismus und die drohende Vernichtung der europäischen Juden schrieb. Klees Engel spielt darin eine entscheidende Rolle, er wird für Benjamin zum „Engel der Geschichte“, der mit aufgerissenen Augen auf die Vergangenheit starrt wie auf „eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert“.

Giovambattista Bregnos kriegsbeschädigte Marmorskulptur „Kniender Engel“, um 1500 © Jörg P. Anders/Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst
Giovambattista Bregnos kriegsbeschädigter „Kniender Engel“, um 1500 © Jörg P. Anders/Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst

Klees „Angelus Novus“ und Benjamins Deutung hat große Wirkung in der Geistes- und Kunstgeschichte entfaltet. Der Berliner Kurator Neville Rowley, dessen guten Kontakten nach Israel die Leihgabe anlässlich des 80. Jahrestags des Weltkriegsendes zu verdanken ist, zeigt zum einen diesen Einfluss – etwa auf Wim Wenders’ Film „Der Himmel über Berlin“. Zum anderen bringt er Benjamin und Klee mit Engeldarstellungen aus Berliner Museen zusammen, die im Zweiten Weltkrieg beschädigt oder zerstört wurden. So werden die Wunden, die der Nationalsozialismus schlug, gleich auf mehreren Ebenen erfahrbar. Für die Zukunft ist zu hoffen, dass uns mehr bleibt als der entsetzte Blick auf die Trümmer einer sich stetig fortschreibenden Historie. 

Service

Ausstellung

„Der Engel der Geschichte. Walter Benjamin, Paul Klee und die Berliner Engel 80 Jahre nach Kriegsende“

Bode-Museum, Berlin

8. Mai bis 13. Juli

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